: Beim Gongschlag ist es genau...
1923 begann die Berliner Hörfunkgeschichte in den Vox-Studios an der Potsdamer Straße / „Brauner Rundfunk“ an der Masurenallee / Den „Frontstadtfunk“ haben die privaten Sender abgelöst / Eine Revue der Radio-Days ■ von Rolf Lautenschläger
Radiotage sind besondere Tage. Die Tage des Hinhörens verteilen sich nur noch auf ganz wenige Ausnahmen: etwa wenn man fieberkrank im Bett liegt und Töne, Nachrichten, Features oder Talks regelrecht mit ausschwitzt oder wenn man halbsteif im Auto sitzt und sich über die gleichgeschaltete Vielfalt der Programme ärgert. Radiotage sind – heute – einsame Tage.
Einsam geworden sind die Tage seit den Anfängen des Fernsehens, erst recht seit den Tagen totaler Information und übermächtiger Bilderfluten. Erst kürzlich entzauberte Friedrich C. Delius mit seiner Erzählung „Der Sonntag an dem ich Weltmeister wurde“ den Mythos vom Volk am Äther schon 1954, das sich beim Gewinn der Fußballweltmeisterschaft freudig in den Armen gelegen haben soll, als Herbert Zimmermann sein unvergeßliches „Tor! Tor! Tor! Halten Sie mich für verrückt, für übergeschnappt. Deutschland ist Weltmeister“, in die Wohnzimmerstuben brüllte. Nichts dergleichen. Stumm hockte der kleine Delius vor dem Gerät, starrte das grüne Auge an und war – allein. Das Fernsehen hatte dem Radio den Rang abgelaufen.
Die Anfänge des Berliner Hörfunks waren dagegen noch ganz von den Idealen des Mediums und den demokratischen Ansprüchen der Weimarer Republik durchdrungen: Unterhaltung und Aufklärung für die Massen, aber auch politische Propaganda und Nachrichten sollte der „Drahtlosfunk“ in alle Wohnungen bringen.
Am 29. Oktober 1923, jener „Geburtsstunde“ des Hörfunks in den Dachkammerstudios des Vox- Hauses in der Potsdamer Straße, von der aus die erste „Funk- Stunde“ ausgestrahlt wurde („Achtung, Achtung. Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf der Welle 400 Meter“), erklärte der Mitbegründer Hans Bredow: „Der Rundfunk wird für die Allgemeinheit freigegeben zur Erholung und Abwechslung. Es soll gelingen, allen Schichten künstlerisch und geistig hochstehende Vorträge aller Art zu Gehör zu bringen.“ Gehört hat das damals kein einziger zahlender Radiobesitzer. Erst Tage später erwarb ein Tabakhändler die erste Empfangserlaubnis der „Funk-Stunde“ zum Inflationspreis von 350 Milliarden Reichsmark.
Den Aufstieg des Berliner Hörfunks zu einem gigantischen Massenmedium konnten die Schwarzhörer indessen nicht bremsen. Noch 1923 wurde der erste politische Bericht – über den Putsch Hitlers in München – ausgestrahlt. Abteilungen wurden im Vox-Haus eingerichtet. 1924 gab es einen Wetterbericht und „Live-Berichte“. Im Herbst desselben Jahren ging die erste Werbesendung über den Äther. Eine halbe Million Berliner zahlten bereits Rundfunkgebühren, als im Dezember 1924 die „Erste Große Deutsche Funkausstellung“ ihre Pforten auf dem Messegelände öffnete.
Während Siemens, Grundig, AEG und Saba mit modernen Geräten den Markt überschwemmten, waren die Vox-Studios technisch veraltet. Die Reichsrundfunkgesellschaft (RRG), die 1926 bereits den Funkturm bauen ließ, beauftragte 1929 den Architekten Hans Poelzig, das Haus des Rundfunks an der Masurenallee zu bauen: ein expressiver dreieckiger Verwaltungsbau mit großen Sendestudios in der Hofmitte und Büros für ein Heer von Redakteuren, Musikern und Autoren.
Hatte Bredow politische Sendungen im Hörfunk noch „heruntergefahren“, benutzten die Nazis den Sender als Instrument politischer Stimmungsmache. Goebbels tobte bereits 1932 im Reichsfunk. Nach der Machtübernahme 1933 und der „Reinigung des Rundfunks“ (Hans Bredow wurde ins KZ Oranienburg verschleppt, rund die Hälfte der RRG-Mitarbeiter gefeuert) hatte der Hörfunk rein propagandistische Funktion.
Da der Rundfunk noch nicht jeden „Volksgenossen“ erreichte, entschied Goebbels, statt teurer Radios billige Spargeräte herzustellen. Auf der 10. Funkausstellung 1933 wurd der erste „Volksempfänger“, kurz VE301 genannt, für 76 Mark präsentiert. Die sogenannte „Goebbels-Schnauze“ gab es 1938 für 35 Mark.
Die Geschichte des Berliner Hörfunks, der ab 1940 mit einem Einheitsprogramm auf allen Wellen sendete, gebiert im Krieg eine Schattengeschichte. Ausländische Sender, BBC oder Radio Moskau, wurden „hereingefummelt“. Illegale Radioprogramme und betriebsfähige Kurzwellensender gingen auf Sendung. „Freiheitssender“ und Nachrichtenwellen funkten aus dem Untergrund. 1941 wurde das erste Todesurteil in Berlin wegen „Rundfunkverbrechens“ vollstreckt. Ab 1942 mußte der Kauf von Kurzwellengeräten der Gestapo gemeldet werden.
Die Nachkriegsentwicklung des Berliner Hörfunks gleicht einer Zelle im Ausnahmezustand: sie teilt sich und verkümmert zugleich. Im Sendezentrum am Funkturm funkten ab 1945 bis in die fünfziger Jahre hinein die Sowjets „Radio Berlin“. Im Gegenzug richteten 1946 die amerikanischen Militärs den „Drahtfunk im amerikanischen Sektor“ (Dias, später Rias) für antikommunistische Hetze und Soldatenrhythmen ein. British Broadcasting war am Heidelberger Platz auf Sendung.
Es ist die Zeit der großen Reportagen, des Ätherkriegs aus der „Frontstadt“. An den Mikros saßen damals Profis der Demagogie: Peter von Zahn und Eberhard Schütz, Karl-Eduard von Schnitzler und Wolfgang Harich. Der Hörfunk wurde mobil und baute sich gleichzeitig neue Festungen: In Adlershof legte der Ost-Berliner Magistrat, unter der Kontrolle der Sowjets, 1948 den Grundstein für ein neues Rundfunkzentrum.
Wurde in Ost-Berlin noch 1949 der Berliner Rundfunk mit Sitz an der Nalepastraße gegründet und mit drei Programmen ausgestattet, zogen die West-Berliner erst 1953 mit dem SFB als Landesrundfunkanstalt und erst zwei, dann drei Programmen nach. Welche Bedeutung dem Kalten-Kriegs-Funk für die politischen Tagesabläufe zukamen, kommentierte Erich Loest: „Ohne den Rias wäre die Kunde vom Aufstand 1953 nicht in die DDR hinausgeflogen. Ohne den Rias wäre es in Magdeburg und Halle still geblieben.“
Konnten sich Ost- und West- Rundfunk mit 500.000 beziehungsweise rund 1,3 Millionen Höreranschlüssen in den sechziger und siebziger Jahren monopolartig „einrichten“, so gelten seit 1985 mit der Zulassung privater Hörfunkanbieter andere Gesetze: Private Sender machen den „öffentlich-rechtlichen“ Konkurrenz. Neue Studios entstanden, um UKW-Frequenzen wird nach wie vor gekämpft, die Hörer waren und sind die Köder im Haifischbecken von DS2, RTL, Rockradio, 100,6, Energy 103 und anderer mehr.
Während etwa Dudelfunk 100,6 fast aus dem Stand zum Renner unter den Hörern wurde, gefolgt von Rias 2, konnte Jugendradio SFB 4 den Trend nicht umkehren. „Durch die Erweiterung des Markts“, so Horst Ulrich und Uwe Prell, „wurde die Konkurrenz um Hörerzahlen verschärft, was den SFB dazu veranlaßte, sich auch der Programmstruktur der Privaten anzupassen. Im Ergebnis kam es zu einer Reduzierung der Wortprogramme.“ Mit dem Fall der Mauer steigerte sich der Strukturwandel noch einmal, durch die Schließung ganzer Programmschienen in Ostberlin und die Entlassung von 5.000 Medienarbeitern. 1992 sendeten bereits 20 Sender über Antenne und 28 per Kabel.
Was übrigblieb vom kollektiven Hörrausch der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre, ist die Berieselung für die Zerstreuung. Alles, bis auf die berühmten Ausnahmen, was der SFB dem entgegensetzt, ist die Meinung, daß „die Neigung zu informationshaltigen Sendungen offenbar abnimmt“. Darum macht man jetzt auch Dudelfunk. Wer Buletten mag, kriegt kein Schnitzel, könnte man sagen. Es wird mitgeschwommen auf der Ätherwelle – bis einem die Soße heraushängt und man sich nach einsamen Radio-Days sehnt. Ein paar Deppen im Sender soll es dafür ja noch geben.
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