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■ Thomas Schmid — wie einer von sponti-links übers Ökolibertäre zur „Jungen Freiheit“ fandGedächtnistrübungen

Man kennt sie, die Leute, die vor aller Öffentlichkeit verbrennen, was sie einmal angebetet, und anbeten, was sie einmal verbrannt haben, weil sie sich geändert haben, aber auch, weil sie das Bedürfnis haben, dort gesichtet zu werden, wo sie den Zeitgeist vermuten. Was sie nicht wollen: unsichtbar bleiben oder als Verteidiger einer Sache gelten, die sie für verloren halten. Wer hätte etwas gegen Lernprozesse? Gegen die Korrektur von Überzeugungen oder Meinungen, die der sich Ändernde als irrig erkannt hat? Gegen die Kontrolle der Theorie mit Hilfe erfahrener Praxis? Aber gegen den ostentativen und aggressiven Hemdenwechsel, dem kein Sauberkeitsbedürfnis zugrunde liegt, läßt sich wohl doch dies und jenes einwenden, schon gar dann, wenn er mit der Denunziation der vermeintlich unsauberen Hemden einstiger Gesinnungsgenossen verbunden und von einem gewissen Opportunismus nicht ganz frei ist oder zu sein scheint.

Einer von denen, die so handeln, ist Thomas Schmid, ehedem ein extremer Linker, um es höflich auszudrücken, später, als die Zeit dafür reif war, ein Kaderschmied der Grünen, und jetzt? Jetzt teilt er seine neuesten Stimmungen in der Jungen Freiheit mit, wenn auch dort nicht zuerst. Großzügig läßt er alle, wo immer, an seiner Wandlung teilnehmen und gibt zu erkennen, daß der kardinale Fehler derer, zu denen er einmal gehörte, ihre Weigerung gewesen sei, sich mit den Fragen der Nation und der „deutschen Vereinigung“ zu beschäftigen. Er tut das an einem Ort, der bekannt dafür ist, daß Nation und Vereinigung an ihm für fundamentale Werte gehalten werden. Er tut das vornehmlich an Orten, die er vor einem Vierteljahrhundert konservativ, reaktionär oder faschistoid genannt hätte.

Er erweckt den Schein, als habe er sich ihnen angenähert und als teile er zumindest einige Meinungen, die daselbst vertreten werden. Er biedert sich an, indem er den Gegnern von einst – und vielleicht auch noch von heute – diejenigen zum Fraße vorwirft, die nach wie vor deren Gegner sind, die 68er. Das fällt ihm um so leichter, als er ein Bild von ihnen malt, in dem er vor allem sich selbst erkennen könnte, in dem andere aber keineswegs zu erkennen vermögen, was die 68er waren. Er tut, als wäre das eine durch und durch einheitliche Gruppierung gewesen, in seinen Worten eine „Bewegung“, die sich dadurch ausgezeichnet habe, daß sie sich aus Leuten zusammensetzte, die zwar ständig von Demokratie sprachen, zum größten Teil aber keine Demokraten waren.

Das mag für ihn und manche andere zutreffen, für alle diejenigen wenigstens, die keine Hemmungen vor der Gewalt gegen Sachen und auch Menschen empfanden. Kaum für die vielen, die nicht ganz unberechtigte Zweifel an dem äußerten, was zwar Demokratie genannt wurde, deren Bedingungen aber nicht zu erfüllen bereit waren. Die APO hat sich entwickeln können, weil während der Großen Koalition eine Opposition nicht mehr existierte; sie hat nicht weniger, sondern mehr Demokratie gewollt, durchaus in einem radikalen Sinne. Sie hat nicht die Verfassung außer Kraft setzen wollen, sondern sie verteidigt, gegen eine kaum noch legitimierte Herrschaft.

Auf jeden Fall haben APO und die sich aus ihr rekrutierenden 68er die Republik ebenso notwendig wie wünschenswert verändert – modernisiert, wie Thomas Schmid sagt. In seinen Augen ist das heute eher ein Kinderspiel gewesen, denn was verwirklicht wurde, lag, sagt er, in der Luft, und es seien die 68er „bei weitem nicht so radikal mit den Tendenzen der Zeit über Kreuz“ gewesen, wie sie vorgaben. In Wirklichkeit meinten sie nicht, gegen die Tendenzen der Zeit zu handeln, sondern gegen die Repressionen einer unbeweglichen und tief in der schlechtesten Vergangenheit verankerten Herrschaft.

Thomas Schmid wirft ihnen vor, daß ihr Denken utopisch gewesen sei, „aber nicht in irgendeinem sozialistischen Sinne, sondern im Sinne der entwickelten Industriegesellschaften“, ein Schlenker, bei dem man ihm kaum folgen kann. Die sozialistische „Utopie“ hat sich von Beginn an auf die Industriegesellschaften bezogen, von Marx an bis hin zu Marcuse, der seine Hoffnungen ja gerade auf die in seinen Augen fast unerschöpflichen Produktionsmöglichkeiten der Industrie gründete. Nur hat er sich die Sache nicht so vorgestellt, daß diese Möglichkeiten einzig zur „Freistellung“ von Arbeitskräften, das heißt zu ihrer Entlassung in die Arbeitslosigkeit, führen würde. Sein Lösungsvorschlag war weniger Arbeit für möglichst alle im Sinne von Freiheit und Gleichheit – Gedanken, von denen sich Schmid längst verabschiedet zu haben scheint, da der Sozialismus ja historisch oder doch politisch überwunden und die Ökologie jetzt sein großes Zauberwort ist.

Kurz und gut, die 68er waren nicht nur nicht liberal und freiheitlich, sie waren auch noch antiamerikanisch, obgleich sie die amerikanische Kultur „nachhaltig“ durchgesetzt hätten. Auch so eine Zwangsvorstellung von einem Prozeß, der 1945 begonnen hat und durch die 68er weder behindert noch beschleunigt worden ist. Und, waren sie wirklich antiamerikanisch? Sie waren gegen die offizielle, von ihnen imperialistisch genannte nordamerikanische Außenpolitik, aber doch nicht prinzipiell gegen die Nordamerikaner. Manche vielleicht, vielleicht auch Thomas Schmid, der freilich an dieser Stelle ausnahmsweise nicht von „wir“ spricht.

Und schließlich: Diese angeblich kohärente Masse der 68er, von der ja nichts geblieben ist als die Tausenden von einzelnen, aus denen sie sich einmal zusammengesetzt hatte, erscheint in Thomas Schmids Darstellung als große Lobby, die nach wie vor ein Deutungsmonopol beansprucht, das ihr selbstverständlich verwehrt werden muß. Ein wunderbarer Pappkamerad, der vor allem an Schulen und Universitäten und in den Medien sein Unwesen treiben soll, als könne man nicht sehen, daß, ganz natürlich, seit zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren jeder nur noch für sich selbst kämpft, um einen Platz in dieser Gesellschaft zu erlangen oder zu behalten. Ganz wie Thomas Schmid auch. Sie waren weder Berufs- noch Dauerrevolutionäre, sondern haben eine kurze Zeit lang, in einem historisch günstigen Augenblick versucht, einen Wandel herbeizuzwingen. Das ist ihnen gelungen. Jetzt suchen andere das Rad zurückzudrehen, und Thomas Schmid leiht ihnen seine Stimme. Er geht auf sie zu, privat ebenso wie als Vizechef der Wochenpost, deren Charakter sich nicht zu ihren Gunsten verändert hat – allenfalls zu ihren ökonomischen Gunsten. Walter Boehlich

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