■ Vor welcher Wahl stehen die geschlagenen Serben, wird die kroatisch-bosnische Koalition in der Zukunft halten?: Bosnien, die Serben und der Krieg
Schon wird an einem neuen serbischen Mythos gefeilt: Nur mit dem Einsatz der Nato sei es möglich gewesen, die Serben militärisch zu schlagen. Die serbischen Machthaber versuchen angesichts der militärischen und politischen Niederlage mit solchen Argumenten ihre Position zu retten. Sonst müßten sie ja zugeben, daß sie mit ihrer Politik des Krieges die serbische Nation an den Rand des Abgrunds geführt haben.
Es ist zwar richtig, daß vor allem die Unterstützung der USA für Bosnier und Kroaten die Wende im Krieg herbeigeführt hat. Mit dem Washingtoner Abkommen vom März 1994 wurde der „Krieg im Kriege“ beendet, die Aggression der westherzegowinischen Kroaten gegen die muslimisch dominierte bosnische Restrepublik. Das war zugleich eine schallende Ohrfeige für die „Europäer“ und ihre Politik der Nachgiebigkeit angesichts der serbischen Aggression. Es setzte sich die Erkenntnis durch, daß der Krieg in Kroatien und Bosnien nur mit militärischen Mitteln zu beenden ist.
Mit Hilfe von US-Experten sind seit Sommer 1994 die kroatische und die bosnische Armee konsolidiert worden. Beide Armeen begannen, ihre Positionen zu verbessern. Geländegewinne in Zentralbosnien folgten im Herbst 1994, im Mai 1995 wurde Westslawonien zurückerobert, im Juni begann die Offensive zur Befreiung Sarajevos. Der Weg war damit frei für die Aktion „Sturm“ zur Rückeroberung Kroatiens im August. Ihr folgte schließlich der jetzige Feldzug zur Wiedereroberung Bosniens.
Der Vorwurf, die Nato habe den Krieg entschieden, wird nicht ausreichen, einen neuen serbischen Opfermythos zu begründen. Erstens wurde den serbischen Führern mehrmals die Gelegenheit geboten einzulenken. Die Chancen, für sie immer noch sehr günstige Friedenspläne in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien zu unterschreiben, wurde von ihnen verspielt. In der jetzigen militärischen Auseinandersetzung hat die Nato zwar mit der Bombardierung serbischer Kommunikationssysteme die serbische Militärmaschinerie getroffen. Dennoch ist die Nato- Aktion nicht entscheidend für das Kriegsgeschehen, wohl aber die militärische und moralische Überlegenheit der bosnisch-kroatischen Truppen.
Die serbische Seite hat den Krieg verloren, und sie wird weitere Rückschläge hinnehmen müssen. Wenn es der bosnisch-serbischen Bevölkerung, vor allem der Banja Lukas, aber auch der Ostslawoniens, nicht gelingt, ihre Machthaber zum Teufel zu jagen und sich wieder friedlich in die Staaten Bosnien-Herzegowina bzw. Kroatien zu integrieren, wird sie wahrscheinlich einen hohen Preis zahlen müssen. Denn der dann folgenden erneut einsetzenden bosnisch- kroatischen Offensive haben sie kaum mehr etwas entgegenzusetzen. Die schon in Bosnien kämpfenden Truppen aus Serbien können kein Schutzschild mehr sein. Es mangelt ihnen wie den serbisch- bosnischen Truppen an Kampfmoral. Das kollektive schlechte Gewissen angesichts der im serbischen Namen erfolgten Verbrechen ist zum Hemmschuh für ihre Aktionen geworden.
Es ist zu fürchten, daß dieses schlechte Gewissen der serbischen Bevölkerung zum Exodus auch aus Westbosnien führen wird. Denn zu große Teile der Bevölkerung wurden von den Machthabern in die Verbrechen verwickelt. 1991 in Kroatien und 1992 in Bosnien verließ die serbische Bevölkerung vor einem Angriff der serbischen Truppen jeweils ihre Wohnorte. Nur in den seltensten Fällen warnten die Serben ihre muslimischen und kroatischen Nachbarn vor dem nahenden Unheil. Ein Großteil der serbischen Bevölkerung war von einem fanatischen Willen zur „ethnischen Säuberung“, zur Zerstörung der gesamten Kultur der „anderen“ erfüllt.
Der serbischen Niederlage steht der kroatische Sieg gegenüber. Er könnte die kroatischen antidemokratischen und nationalistischen Kräfte dazu verleiten, die Position ihrer Hauptgegner zu übernehmen. Der Sieg schafft die Versuchung, Kroatien zur „Ordnungsmacht“ auf dem Balkan aufzubauen. Gerade in Bosnien wäre dies eine gefährliche Vision. Denn sie führte unweigerlich in einen neuen muslimisch-kroatischen Konflikt.
Vor allem die Führungsschicht der westherzegowinischen Kroaten hat die Vision einer Teilung Bosniens noch nicht aufgegeben. Sie will die Offensive ihrer bosnisch-kroatischen Streitkräfte, der HVO, und der kroatischen Truppen in Bosnien dazu nutzen, den selbsternannten Teilstaat Herceg-Bosna zu konsolidieren. Bei der Eroberung der zentralbosnischen Stadt Jajce durch Truppen der HVO kamen erste Spannungen zwischen den Verbündeten auf. Für die Bosnier ist Jajce wichtig, weil es an der Straßenverbindung Sarajevo–Bihac liegt. Die kroatischen Westherzegowiner aber könnten über Jajce eine Verbindung zu den zentralbosnischen kroatischen Enklaven herstellen, wofür sie allerdings die bislang bosnische Stadt Travnik besetzen müßten.
Wichtiger jedoch noch ist, daß die Führungsschicht Westherzegowinas auf die Rückeroberung Ostbosniens verzichten und dort einen serbischen Teilstaat dulden will. Die Existenz eines serbischen Teilstaats in Bosnien käme ihren Interessen, einen kroatischen Teilstaat zu etablieren, entgegen. Die bosnische Regierung jedoch will und kann nicht auf Srebrenica, Zvornik, Foca und Žepa verzichten. Sie kann nicht dulden, daß die westherzegowinischen Radikalen weiterhin Teilungspläne wälzen.
Vieles spricht allerdings dafür, daß in Zagreb gegenüber den Plänen der westherzegowinischen Extremisten Hürden aufgerichtet werden. Erstens will ein Großteil der kroatischen Bevölkerung keinesfalls einen neuen kroatisch-bosnischen Konflikt. Auch Tudjman, dem man Sympathien für die Westherzegowiner nachsagt, kann diese Stimmung nicht ignorieren. Zweitens jedoch würde Kroatien mit einer solchen Politik gerade die Interessen seiner besten Verbündeten verletzen. Sowohl in den USA wie auch in Deutschland würde eine Neuauflage des kroatisch-bosnischen Konflikts zu Recht zu harschen Reaktionen führen. Eine politische Lösung in Bosnien-Herzegowina entlang den Interessen der westherzegowinischen Führungsschicht würde also negativ für Kroatien zu Buche schlagen. So kann die Regierung in Sarajevo darauf hoffen, nach der Beendigung des Krieges mit Kroatien zu einem langfristigen Interessenausgleich zu kommen.
Die Zukunft in Serbien jedoch sieht düsterer aus. Die Frage, was nach dem Krieg mit Serbien geschehen soll, muß von der serbischen Bevölkerung selbst beantwortet werden. Gelingt es ihr nicht, die Nationalisten und Extremisten auszuschalten (so auch Slobodan Milošević, dem Hauptschuldigen am Krieg) und eine moderate und demokratisch denkende neue Führung zu etablieren, wird Serbien den Anschluß an die Entwicklung in Europa verlieren. Die Alternative, sich vollständig Rußland auszuliefern, wäre angesichts der unsicheren Entwicklung in Rußland nach der Politik des Krieges der zweite historische Fehler der serbischen Politik. Erich Rathfelder
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