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Im Himmel eins – auf Erden entzweit

Vollkommene Harmonie und die Verschmelzung mit ihrem Gott ist für die Krishna-Jünger eine alltägliche Übung – doch die Vereinigung zwischen Ost und West im Diesseits will einfach nicht klappen  ■ Aus Berlin Jana Simon

Jeden Morgen um fünf vibriert der Boden in Kathis Hinterhauswohnung. Zu dumpfen Trommelrhythmen gesellt sich ein monotones Gemurmel: „Hare Krishna, hare Krishna ...“

Besonders an den Wochenenden, wenn unter ihr 30 Leute völlig asynchron immer wieder das Mantra zur Ehre des Gottes Krishna anstimmen, verflucht die junge Italienerin den Tag, an dem sie aus den Tiroler Bergen ausgerechnet in die Lychener Straße nach Ostberlin gezogen ist.

Ein Stockwerk tiefer tanzen 25 Krishna-Jünger um eine kleine indische Puppe, die ihren Gott symbolisiert. Um die Verschmelzung mit dem Göttlichen zu erreichen, sollen sie am Tag mindestens 1728mal „Hare Krishna, hare Krishna, hare, hare, hare Rama, hare Rama, Rama, Rama, hare, hare“ „shanten“, also singen. Was für jeden Normalsterblichen pure Zeitverschwendung wäre, beschert Bv. Svami Vaishnava Maharadsch (spiritueller Name) aus Aschaffenburg das „Gefühl von ewigem Glück“. Sein Leben ist, Krishna zu dienen und zu erfreuen. Damit will er den Kreislauf der Wiedergeburten durchbrechen, um für immer auf den höchsten Planeten „Krishnaloka“ zu gelangen.

Seit einem Jahr ist Maharadsch Tempelpräsident der Sri Chaitanya Bhakti Gemeinde im Prenzlauer Berg.

Er macht seinen Job nicht schlecht. An diesem Samstag, beim öffentlichen Tempelgebet, wird das „Hare Krishna ...“ von den Neuankömmlingen mitgesungen, allerdings nicht 1728mal. Dann murmelt Maharadsch leise und mit geschlossenen Augen: „Du bist nicht Materie. Dein Körper ist Materie, aber nicht du. In dieser Welt sind wir in einem Traum. Die spirituelle Welt ist die Wirklichkeit.“ Das geht etwa anderthalb Stunden so. Einige Gemeindemitglieder lauschen, andere sacken in sich zusammen und sehen müde aus. „Jede Wissenschaft ohne Religion ist reine Spekulation“, sagt der 38jährige Tempelpräsident; und Mozart ein Beispiel für die Wiedergeburt: „Wie konnte er als Sechsjähriger schon so gut musizieren, wenn er es nicht in seinem vorherigen Leben gelernt hatte?“

Nach der Lektion über die Unwirklichkeit der Materie und Mozarts unbekanntes Vorleben fällt die Gemeinde wieder ein in den Hare Krishna-Gesang. Das ist ganz nach Maharadschas Geschmack. Schließlich war er in seinem früheren, „materiellen Dasein“ Popmusiker und führte ein „verrücktes Leben“. Er bereiste die halbe Welt, feierte wilde Feste, genoß reichlich Alkohol und hatte viele Frauen. Bis zu jener durchzechten Nacht in Mexiko, in der ihn der Verdacht beschlich, daß das doch nicht alles gewesen sein konnte.

Er erinnerte sich an seine Oma, die ihm prophezeit hatte: „Junge, du wirst Priester!“ Das wurde er dann auch. Seit zehn Jahren steht Maharadsch jeden Morgen um vier Uhr auf und shantet 1728mal das Krishna-Mantra. In Mexiko hatte er sich den Jüngern angeschlossen und reiste weiter um die Welt, nun allerdings in höherem Auftrag. Seine Bandmitglieder unternahmen in Wien einen letzten Versuch, ihn für das „materielle Dasein“ zurückzugewinnen, doch Maharadsch blieb standhaft. Daß er nun in diesem tristen Hinterhaustempel gelandet ist, ist Zufall. Er kümmert sich um die Gemeinde von etwa 30 Mitgliedern und organisiert von den Finanzen bis zu vegetarischen Kochkursen alles, was ein Krishna-Herz begehrt. Seine Gemeinde unterstützt ihn mit Geld. Jeder, der arbeitet, spendet dem Tempel einen Teil seines Gehalts.

Maharadsch verkauft spirituelle Literatur und Schallplatten. Als Prediger sollte er eigentlich im Land umherreisen und die Menschheit bekehren. Er würde dies am liebsten mit einer Krishna- Band tun. Doch sein spiritueller Meister schickte ihn in den grauen Osten, wo er sich noch immer ein wenig fehl am Platze fühlt. Die Regeln, an die er sich halten muß: kein außerehelicher Sex, sexuelle Kontakte in der Ehe sollten nur dem Zweck der Fortpflanzung dienen. Glücksspiele, Rauschmittel, Fleisch, Eier, Fisch und sogar Kaffee sind verboten. Heiraten darf Maharadsch als Gemeindevorsteher nicht, er ist damit einverstanden: „Ich habe kein Interesse mehr an Körpern, und Sex fehlt mir nie.“

Dafür shantet er den heiligen Namen, so oft er will. Das monotone Mantra kann wie eine Droge wirken. Irgendwann schaltet der Verstand ab, der Jünger fühlt sich frei für die Zwiesprache mit seinem Gott. „Mir ist in Berlin zwar niemand bekannt, der davon abhängig geworden ist. Bei einzelnen kann die verlangte Selbstaufgabe aber psychische Schäden hervorrufen“, sagt Anne Rühle, Sektenbeauftragte des Berliner Senats.

1966 gründete der Inder Abhay Charan De, der unter dem Namen Bhaktivedanta Svami Prabhupada verehrt wird, in New York die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein (Iskcon). Ein Schüler Prabhupadas brachte zwei Jahre später seine Lehre nach Europa. In Deutschland enstanden Tempel in Berlin und Hamburg. Und auch in der DDR gründete sich eine Krishna-Gemeinde, nachdem in den siebziger Jahren die ersten West-Krishnas zur Missionierung nach Ostberlin gekommen waren. Die kleine Gruppe traf sich regelmäßig in einer Köpenicker Gartenlaube. Es wurde vegetarisch gekocht, geshantet und die Bibel der Krishna-Bewegung, die „Bhagavad-gita“, studiert.

Später zogen die Jünger in ein Haus in Friedrichshagen. Durch die vielen Besucher wurde schließlich die Staatssicherheit auf sie aufmerksam. Ende 1981 stürmte sie das „konterrevolutionäre Zentrum“ und beschlagnahmte sämtliche Literatur, Tonbänder und Briefe. Alle Anwesenden wurden verhaftet und verhört. Ihnen wurde vorgeworfen, eine staatsfeindliche Organisation gebildet und gegen das Drogengesetz – wegen der Räucherstäbchen – verstoßen zu haben. Allerdings war die Staatsmacht schlecht informiert. Einige Tage zuvor hatten Krishna- Jünger versucht, ihre Gemeinde im Staatssekretariat für Kirchenfragen als Religionsgemeinschaft anzumelden. Eine Geheimorganisation konnte sie folglich nicht sein. So wurden die Inhaftierten nach einer Nacht wieder entlassen. Sie hatten jedoch für eine Fortbildung der besonderen Art bei der Stasi gesorgt. Ein damaliges Mitglied berichtet: „Die Stasi war geschockt. Das war völlig neu für sie. Die haben dann extra zwei Leute für uns ausgebildet.“

Nach der Öffnung der Mauer pilgerten die Gottesbrüder und -schwestern Ost zu den Gottesbrüdern und -schwestern West. Doch der Westtempel entsprach nicht den Vorstellungen der Ostler. „Da war alles so durchorganisiert und unpersönlich“, sagt Hari Gopal, ehemaliger Ost-Tempelpräsident. Obwohl die Iskcon jahrelang ihre Schwestergemeinde mit spiritueller Literatur und Utensilien versorgt hatte, entschlossen sich die undankbaren Ostler, einen spirituellen Meister zu verehren, der nicht der Iskcon angehört. Bei aller gepredigter Toleranz ging das entschieden zu weit. So brachte die Wiedervereinigung den Krishnas keinen gemeinsamen Mantrataumel. Im Gegenteil.

Nachdem sich die Abtrünningen im Osten für eine eigene Gemeinde entschieden hatten, räumte die Iskcon ihnen den Tempel leer und vergaßen auch die Gewürze nicht. Seitdem gibt es kaum Kontakte zwischen den beiden Gruppen. Sie beteuern zwar gegenseitige Akzeptanz und Achtung, aber das traumatische Erlebnis der mißlungenen Vereinigung können viele nicht vergessen.

Der Westler Maharadsch, der der Ostgemeinde vorsteht, will eine erneute, peinliche Konfrontation mit der Iskcon vermeiden: „Wir verehren zwar andere spirituelle Meister, aber ansonsten sind wir eine Familie“, sagt er. Offenbar mit den üblichen Zwistigkeiten: Die religiös fanatischere Westgemeinde bringt schon mal böse Gerüchte über ihre Ostverwandten in Umlauf. So wurde zum Beispiel behauptet, diese würden Alkohol trinken und Zigaretten rauchen.

Auch bei der Iskcon redet man nicht gerne über den allzu diesseitigen Ost-West-Konflikt bei den Berliner Krishna-Jünger. Tempelcommanderin Rasamandala sagt nur: „Ich weiß nichts darüber.“ Dabei schaut sie ihrem Gegenüber in die Augen, als wolle sie geradewegs in die Seele vordringen. Zur wirklichen Wirklichkeit eben: „Jeder sucht die absolute Wahrheit, auch du.“

Wie lange Kathi die geräuschintensive Wahrheitssuche in der Lychener Straße noch erdulden wird, weiß sie nicht. Was ihr bevorsteht schon: eine Wohnungssuche.

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