: Tödliche Polizeischüsse im Wald bei Lyon
■ Der mutmaßliche Attentäter Kerkal wurde von einer französischen Sondereinheit erschossen, ein weiterer Algerier verletzt. Jetzt werden die Auftraggeber gesucht.
Paris (taz) – Khaled Kelkal, Frankreichs meistgesuchter Mann, war ein paar Stunden tot – erschossen von Polizisten der Elitetruppe GIGN – da hatte Innenminister Jean-Louis Debré ein „Gefühl“. Er verriet es am Wochenende vor Journalisten. „Ich habe das Gefühl“, sagte er, „daß Kelkal auch an dem RER-Attentat von Saint-Michel beteiligt war.“ Bei der Explosion am 25. Juli waren 7 Menschen ums Leben gekommen und über 100 verletzt worden.
Hinweise aus der Bevölkerung für die Polizei
Der zuvor wegen eines fehlgeschlagenen Bombenanschlags auf die Bahnstrecke Paris–Lyon gesuchte 24jährige war am Freitag abend kurz an einer Bushaltestelle im ländlichen Westen von Lyon aufgetaucht. Anwohner hatten über die Anwesenheit des jungen Mannes „arabischen Typs“ informiert. Bei Eintreffen von drei Polizisten soll Kelkal nach Polizeiangaben sofort eine Pistole gezückt und geschossen haben. Als er auch nach einem Warnschuß ins Bein weitergefeuert habe, „neutralisierte“ ihn die Polizei in „legitimer Verteidigung“, wie es im Bericht des zuständigen Staatsanwaltes von Lyon heißt.
Zwei Augenzeugen, die die Schießerei im Rückspiegel ihres Fahrzeugs verfolgten, bestätigen lediglich, daß Kelkal eine Pistole zückte. Wer das Feuer eröffnete, konnten sie nicht erkennen. Binnen 30 Sekunden wurden 40 Schüsse abgegeben. Ob Polizisten verletzt wurden, ist nicht bekannt.
Bereits seit Mittwoch war das dichtbewaldete und hügelige Gebiet von zeitweise 800 Polizisten durchkämmt worden. Pilzsammler hatten von einem schlafenden Landstreicher und einem suchend umherfahrenden Pkw berichtet. Der „Landstreicher“ entpuppte sich als Karim Koussa, der wie Kelkal aus Vaulx-en-Velin bei Lyon stammt. Er wurde von Polizisten geweckt und, so die offizielle Darstellung, bei dem folgenden Schußwechsel so schwer verletzt, daß er gestern noch nicht vernehmungsfähig war. Zwei Insassen des Pkw, der angeblich Nachschub für den verstecken Kelkal brachte, wurden verhaftet. Einem weiteren Mann – Khaled Kelkal selbst – gelang zunächst die Flucht. Nähere Einzelheiten, etwa über den genauen Aufenthaltsort Kelkals bei diesem Vorfall, waren zunächst nicht bekannt. Bei der Aktion stellte die Polizei Schußwaffen, Campingmaterial, Lebensmittel, ein tragbares Telefon und religiöse Literatur sicher.
Vorverurteilung in den französischen Medien
Die französische Medien informierten ihr Publikum mit großen Bildern des lebendigen und des tot auf der Landstraße liegenden Kelkal über das Ende der mehrtägigen Polizeijagd. Die Boulevardzeitung Le Parisien titelte „Der Terrorist wollte sich nicht ergeben“. Und eine Fernsehjournalistin, die den Polizisten hinterhergefahren war, versicherte, sie habe gesehen, wie Kelkal als erster geschossen habe.
Die mediale Verurteilung des nie wegen Attentaten oder islamisch-fundamentalistischer Verbindungen verurteilten Kelkal hatte schon Wochen zuvor begonnen. Kaum war er am 9. September landesweit zur Fahnung ausgeschreiben worden, schilderten Journalisten seinen Werdegang vom „einfachen Delinquenten zum Terroristen“.
Der Lyonner katholische Geistliche Christian Delorme, der in den 80er Jahren den Dialog mit den jungen arabischstämmigen Vorstadtjugendlichen begonnen hatte, forderte Kelkal bereits vor drei Wochen im Fernsehen auf, sich zu stellen. Nach Kelkals Tod am Freitag warnte Delorme, daß eine Verteufelung den jungen Mann zu einem Märtyrer der Vorstädte machen könnte. In Vaulx-en-Velin, wo Kelkal bis Juli lebte, und in mehreren Nachbargemeinden setzten Jugendliche am Wochenende zahlreiche Autos in Flammen. Innenminister Debré warnte seine Landsleute, daß die Gefahr weiterer Attentate keineswegs gebannt sei. Wie seine Ermittler geht auch Debré davon aus, daß Kelkal im fremden Auftrag tätig wurde. Die Recherche über die Identität dieser Hintermänner wird nach Kelkals Tod noch schwieriger. Dorothea Hahn
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