: Vier Jahre für Craxi
■ Der „Vater aller Prozesse“ in Italien endet mit langjährigen Haftstrafen
Rom (taz) – Die Angeklagten glänzten durch Abwesenheit, auch einer der Protagonisten des Verfahrens war nicht präsent: Antonio Di Pietro. Der 45jährige, schon fast legendäre Staatsanwalt hatte am letzten Tag seines Plädoyers vor zehn Monaten demonstrativ seine Toga abgelegt und den Staatsdienst quittiert. Bis heute ist nicht ganz klar, warum. Daß Di Pietro aber mit seiner Forderung nach Verurteilung aller 22 Angeklagten nicht nur eine „Inszenierung zum Schaden honoriger Politiker“ veranstaltet hatte, wie die Angeklagten stets behaupteten, hat er nun bestätigt bekommen.
Im „Vater aller Prozesse“, dem Verfahren um Schmiergelder in Höhe von umgerechnet mehr als 350 Millionen Mark durch den Ferruzzi-Konzern, hat das Gericht saftige Strafen verhängt. Zur Höchststrafe von vier Jahren wegen Verstoßes gegen das Parteienfinanzierungsgesetz wurde der ehemalige Chef der Sozialistischen Partei, Bettino Craxi, verurteilt. Sein christdemokratischer Ex-Kollege Arnaldo Forlani bekam zwei Jahre und vier Monate, der ehemalige Chef der Liberalen, Renato Altissimi acht Monate. Der Sekretär der industrienahen Republikanischen Partei, Giorgio La Malfa soll laut Urteil für sechs Monate und zehn Tage in den Knast. Verurteilt wurde auch der ehemalige Schatzminister Paolo Cirino Pomicino, der vor zwei Wochen wegen Fortsetzung seiner illegalen Sammeltätigkeit verhaftet worden war und in Hausarrest sitzt: Er bekam zweieinhalb Jahre. Der ehemalige Außenminister Gianni De Michelis bekam sechs Monate, sein Mitarbeiter und Geldwäscher Giorgio Casadei vier Monate. Der Führer der Liga Nord, Umberto Bossi, wurde zu acht Monaten Haft verurteilt.
Die mit Abstand höchste Strafe handelten sich die ehemaligen Manager des Ferruzzi-Konzerns ein: Giuseppe Garofano, Ex-Präsident der aus der Ferruzzi-Tochter Montedison und dem staatlichen Chemieriesen Eni gegründeten Holding, bekam wie der Generalmanager, Carlo Sama, vier Jahre und acht Monate aufgebrummt.
Grundlage der Strafen war die nach Ansicht des Gerichts eindeutig bewiesene Zahlung hoher Summen für zwei höchst gewinnträchtige Manöver: Zuerst die Fusion des Privat- mit dem Staatskonzern, was Ferruzzi den einzig großen Konkurrenten im Lande vom Hals schaffte und die Aktien hochtrieb – und zwei Jahre danach, die Wieder-Trennung der beiden Firmen, wobei der Staat wesentlich mehr bezahlte als beim Verkauf der ENI. Insgesamt hat Ferruzzi auf diese Weise umgerechnet mehr als zwei Milliarden Mark Profit gemacht.
Nach Ansicht von Analytikern hat das Gericht hier deutliche Zeichen zu setzen versucht, wofür auch die relativ kurze Zeit der Beratung nach Abschluß der Plädoyers von vier Stunden spricht.
Alle Angeklagten gehen in Revision. Gute Chancen haben dort aber nur zwei: Liga-Chef Umberto Bossi, der mit umgerechnet knapp 250.000 Mark eine vergleichsweise geringe Summe zu verantworten hat. Der zweite Mann mit Chancen auf Strafmilderung ist der ehemalige Ferruzzi-Manager Garofano. Er hatte stark zur Aufklärung des Falles beigetragen und war dennoch zur Höchststrafe verurteilt worden. Werner Raith
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