: Weltmusikhändler im Eurotempel
Raus aus der Nische: Die Weltmusikmesse „Womex“ fand diesmal im fünften Stock des Brüsseler Europaparlaments statt. Volksvertreter kamen und staunten. Doch an der Grenze ist jeder Weltmusiker ein „Scheinasylant“ ■ Von Johannes Waechter
Das Europäische Parlament kann keine Gesetze erlassen, doch für ihre Machtlosigkeit werden die Abgeordneten mit zwei Parlamentsgebäuden in Brüssel und Straßburg entschädigt, die nicht gerade bescheiden zu nennen sind. Der Brüsseler Zweitsitz des einzigen demokratisch gewählten Organs der EU ist ein gewaltiger Glaspalast, der selbst im an mächtigen Bürogebäuden wahrlich nicht armen Stadtbild der belgischen Hauptstadt was hermacht. Auf einem Hügel über dem Parc Leopold errichtet, ragt das Parlament als gläserner Klotz in den Himmel, wird von Baugruben und Kränen flankiert, die darauf hinweisen, daß die EU expandiert – und daß diese Expansion nicht am Mangel an Büroraum scheitern soll.
Gehobenes Prestige im Parlamentsgebäude
So führt der Weg zur Womex an Bauzäunen und dekorativen Sandhaufen vorbei. Außerdem müssen die TeilnehmerInnen der Musikmesse an Security-Leuten vorbei, die aus heiterem Himmel das Geburtsdatum aller Delegierten erfahren wollen. Auch die Örtlichkeiten im fünften Stock des Parlaments, die der Womex zugewiesen wurden, sind alles andere als ideal. Die Stände der ausstellenden Firmen sind an den Rand eines Lichtschachts gequetscht worden, in der beengten Bar tritt man sich beim Genuß des subventionierten Kaffees auf die Füße, und die Telefone funktonieren nur mit speziellen EP-Telefonkarten, die prompt nach zwei Tagen ausverkauft sind. Logistisch wäre die Womex in einer Messehalle oder einem Veranstaltungszentrum wie dem Berliner Haus der Kulturen der Welt, wo die Messe letztes Jahr stattfand, sicher besser aufgehoben gewesen. Doch für das Prestige, das der offizielle Veranstaltungsort der jungen Messe und dem veranstaltenden Netzwerk, dem European Forum of Worldwide Music Festivals, verlieh, schienen die meisten TeilnehmerInnen die organisatorischen Nachteile gern in Kauf zu nehmen.
Man kann es nicht anders sagen: Der Womex ist ein Coup gelungen, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind. Der Einzug der Weltmusikhändler (die ihre Veranstaltung geschickt als „Info-Messe“ tarnten, um nicht Opfer des parlamentarischen Kommerzverbots zu werden) in den Tempel der Europapolitik zeigt eine neue, offiziell bestätigte Anerkennung dieser Nische des Musikmarkts an, eine Anerkennung, die sich nicht zuletzt in höheren Förderungsgeldern niederschlagen könnte – die reellste Macht, die das Europäische Parlament hat, liegt in der Verfügungsgewalt über zahlreiche Subventionstöpfe.
Möglich wurde dieser Schritt nach vorn durch den politischen Anspruch der Weltmusik. Anders als beim Pop geht es bei globalen Klängen nicht nur um Unterhaltung, Szeneverständigung, Konsumgemeinschaft und letztlich viel Geld – beim Konsum von „Weltmusik“ ist immer auch die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen gefragt, die im besten Falle zu Toleranz und zu interkulturellem Verständnis führt. Eine Marktmesse wie die Kölner PopKomm im Bundestag ist undenkbar, beim Blick auf die Weltmusik läßt sich das geschäftliche Element bei entsprechender Perspektive jedoch einigermaßen ausblenden.
Inwieweit der politische Anspruch im wirklichen Leben eingelöst wird, ist eine andere Frage. Die Welt besteht nicht nur aus Westafrika und der Karibik, Musikstilen, wie die Veranstalter von Festivals sie immer wieder gern anbieten. Abseits dieser mittlerweile chartskompatiblen Stile gibt es eine überwältigende Fülle an Klängen, die häufig schon deswegen die Herstellung eines Kontexts erzwingen, weil man ohne nähere Informationen zu der Musik und den Menschen, die sie machen, sozusagen mit den Ohren schlackert. Ein Beispiel dafür war bei der Womex die Musik der Inuit, die als besondere Präsentation in einem der Konferenzräume des Parlaments aufgeführt wurde: Zwei in Felle gehüllte Inuit-Frauen aus Nord-Quebec standen sich gegenüber und sangen sich stakkatohechelnde „Kattajak“-Gesänge ins Gesicht. Ohne erläuterende Worte hätte man hiermit nichts anfangen können, als sich an der Fremdheit zu berauschen.
Diese Präsentation war jedoch eine Ausnahme. Die Womex ist nicht dazu da, den musikalischen Reichtum der Welt öffentlich zu machen – ein Bewußtsein dieses Reichtums wird bei den TeilnehmerInnen vorausgesetzt. Und obwohl es bei den Showcases natürlich darum geht, weniger bekannte Bands in die Szene einzuführen, ist das Entdecken neuer Musik nicht der Fokus der Messe. Bei der Womex geht es vielmehr darum, „exotische“ Musiken mit den europäischen Realitäten kompatibel zu machen. Zum einen sind das die geschäftlichen Realitäten eines Nischensounds im Schatten der übermächtigen Popmusik. Außerdem sind das die politischen Realitäten einer Situation, in der die Weltmusik einerseits willkommene Toleranzstifterin in einem immer wieder auf gefährliche Weise nationalistischen Europa ist, andererseits zunehmend darum kämpfen muß, daß ihre ausführenden Kräfte überhaupt in die Festung Europa hineingelassen werden. Für die Behörden der meisten europäischen Länder ist jeder Musiker aus einem „Entwicklungsland“ ein potentieller Scheinasylant, und die Geschichten über verweigerte Visa, behördliche Willkür und generelle Schikane, die bei der Womex die Runde machten, waren alles andere als idyllisch.
Was die geschäftlichen Realitäten der Weltmusik anbelangt, hat die Messe zu beträchtlichem Anteil auch therapeutischen Charakter. Noch niemand hat mit Weltmusik richtig Geld verdient. Alle Beteiligten schichten knappe Einnahmen um, beantragen bei allen ihnen bekannten Quellen Subventionen, verzweifeln an (durch stundenlange Gespräche nach Madagaskar und Senegal) in exorbitante Höhen getriebenen Telefonrechnungen und wursteln sich irgendwie durch die Saison, an deren Ende häufig der Entschluß steht, sich nun endlich ein anderes Betätigungsfeld zu suchen. Was jedoch niemand tut.
Erfolg zumindest auf psychologischer Ebene
So gesehen ist der große Erfolg der Womex auch mit psychologischen Notwendigkeiten zu erklären. Die hier tätigen Kleinunternehmer haben es nötig, sich einmal im Jahr gegenseitig den Wert der eigenen Arbeit zu versichern, zu erfahren, daß andere genau dieselben Probleme haben, weil sie sich sonst womöglich selbst für bekloppt halten würden. Geschäfte werden natürlich auch gemacht, doch die bei anderen Musikmessen wie der PopKomm oder der Midem durch die Gänge scharwenzelnden Anzugmänner, die aus allen Körperöffnungen nach Geld stinken, gibt es bei der Womex nicht.
Die einzigen Anzugmänner, die hier beobachtet werden konnten, waren Parlamentarier und Euro- Beamte, die sich, plötzlich aus dem Innern des Hauses auftauchend, unter die Weltmusik-Crowd mischten.
Auf diese Personengruppe war der Konferenzteil der Messe zugeschnitten. Unter Stichworten wie „World music and the awareness of intolerance“ wurde die Verständigungsbotschaft der Weltmusik neu paraphrasiert, andere Schwerpunkte waren die zahlreichen Immigrantenkulturen in der EU und ihre Entdeckung für den Weltmusik-Mainstream. Für die MessseteilnehmerInnen war vieles von dem, was erörtert wurde, nicht neu. Wohl aber für die Parlamentarier. Die parlamentarische Gruppe namens „Friends of Music“, die die Womex nach Kräften unterstützt hat, war dem Vernehmen nach bisher eher damit beschäftigt, mit Pierre Boulez zu dinieren und Kompositionen zur Feier der Jahrtausendwende in Auftrag zu geben, als sich mit den Realitäten des Musikgeschäfts auseinanderzusetzen.
Als am Sonntag die Stände abgebaut wurden, sah man überwiegend zufriedene Gesichter. Mit der Womex '95 ist es gelungen, die europäische Weltmusik so zu definieren, daß sie sowohl Wirtschaftsfaktor als auch – in gewissem Ausmaß – gesellschaftliche Triebkraft sein kann. Die offizielle Anerkennung dieser Position durch das Europaparlament hat momentan natürlich noch keine konkreten Ergebnisse nach sich gezogen, doch man kann sicher sein, daß diese Sanktionierung nicht folgenlos bleiben wird.
Ein weiterer erfreulicher Aspekt der Womex ist die Tatsache, daß endlich die unselige Diskussion über den Begriff „Weltmusik“ abzuklingen beginnt. Klar, die Musik der Welt ist so verschieden, daß es im Prinzip ein Unding ist, sie unter einem Namen zusammenzufassen. Doch daß der Begriff world music, der im Jahr 1987 von einigen Londoner Plattenfirmen zu dem expliziten Zweck erfunden wurde, ihre Musik besser vermarkten zu können, eine notwendige Krücke ist, um geschäftlich laufen zu lernen, haben inzwischen alle kapiert. Nur wenige Außenseiter haben sich bei der Womex noch über die „Schwammigkeit“ des Begriffes erregt, und genau an diese Außenseiter waren die T-Shirts gerichtet, die man vereinzelt auf der Messe sah: „What is World Music?“ stand auf der Vorderseite, die Antwort, die auf dem Rücken gegeben wurde, lautete: „Fuck off“.
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