: Dogmatisch selten, militant ja
Acht Menschen, drei Katzen, ein Hund = Chumbawamba, der letzte linksradikale Pop-Debattierklub im Herzen der Kulturindustrie. Die neue Platte ist wieder ganz anders als die vorigen – mit Studentenrapping und Gummibärchenharmonien! ■ Von Thomas Winkler
Wir merken, es ist Zeit, eine neue Platte zu machen. Dann fragen wir uns, was soll die Platte aussagen, wie soll sie klingen. Diese Sitzungen dauern Wochen. Jede Menge Einfälle werden verworfen und schlußendlich einigen wir uns dann auf eine Idee.“ Alice Nutter sitzt da so und sagt das ganz ernst, anstatt dabei ironisch zu lachen, wie sie es sonst oft und gerne tut. Wie laufen denn die Stunden im Probenraum so ab? „Strukturiert.“ Immer noch kein Zucken im Mundwinkel der Sängerin. Ihr diskutiert also erst mal eine halbe Stunde, um dann fünf Minuten Musik zu machen? „So ungefähr.“ Nun muß sie doch ein wenig lächeln.
Eigentlich sind Chumbawamba gar keine Band. „Wir sind nicht mal Musiker“, sagt Harry Hamer, „wir können gar nicht jammen, wir lehnen es ab.“ Ihre letzten Platten erreichten regelmäßig die Spitze der Indie-Charts, aber fast 15 Jahre nach dem ersten Auftritt hält der Trommler sich immer noch nicht für einen Musiker. „Es gibt diesen gewaltigen Mythos vom heroischen Künstler“, liefert Alice die Theorie zum Debattierklub, „der isoliert Großes erschafft. Aber wir wissen, daß wir nicht isoliert existieren, daß wir bei anderen stehlen.“
Die Band als Kleptomane
Aus den verschiedenen Fähigkeiten und Talenten von acht Personen entsteht „dieses Chumbawamba-Ding, das größer ist als die Individuen. Zu gewissen Zeiten haben bestimmte Leute mehr Macht als andere. Das ist in Ordnung, solange sich niemand über einen längeren Zeitraum als Bandleader durchsetzt. Das wäre das Ende von Chumbawamba.“
Chumbawamba stehlen nicht nur, sie sind Kleptomanen. Eine ganze Platte voller Samples hatten sie 1992 in Arbeit. Aus Abbas fröhlichem „Money, Money, Money“ wurde Chumbawambas antikapitalistisches „Money, Money, Money“. Die Platte ist nie erschienen. Die Rechteinhaber verhinderten durch utopische Honorarforderungen oder schlichte Verbote die Benutzung der Samples. Überrascht hat sie das allerdings „nicht wirklich“. Harry gibt sogar zu, man habe es provoziert. Die Platte war fertig, eigentlich zu schade für den Müll, immerhin ein Bootleg ist erschienen. Aus den Ruinen von „Jesus H Christ“ erstand „Shhh“, ein Konzeptalbum mit dem Thema Zensur. Und die „bessere Platte“, findet Harry. Der Schöpferstolz des Künstlers ist ihnen eh recht fremd. Nicht selten zitieren sie sogar sich selbst, recyceln Melodien und Texte.
Musikanten sind sie also nicht. Aber Anarchisten, und darauf legen sie Wert, auch wenn es zu Mißverständnissen geführt hat: „Viele Leute glauben, Anarchismus drehe sich nur um die Macht des Individuums, aber diese Idee von persönlicher Freiheit ist ein verrotteter Liberalismus. Wir sind Anarchisten, weil Anarchismus individuelle Macht mit sozialer Verantwortlichkeit zusammenbringt. Und es ist eine der wenigen Geisteshaltungen, die die Möglichkeit der Veränderung beinhaltet. Anarchismus adaptiert, was immer auch kommt.“
Das Mißverständnis wird weiter kultiviert. Vor allem die britische Presse hat eine dezidierte Meinung von der ehemaligen Wohngemeinschaft. Das Magazin Select erwartete zum Interviewtermin einen Haufen verranzter Lederjackenträger und wunderte sich dann über die „netten Klamotten“ der „gefährlichsten anarchistisch-linken Spinner in der Rockmusik“. Es sollte ein Lob sein. Der NME war weniger nett: „Gralshüter des Gesinnungs-Rock“. Die Zitate sind aus den letzten beiden Jahren und offenbaren neben dem politischen ein musikalisches Mißverständnis: Rock war da schon vorbei für sie. Längst schon schrieben sie Pop in Großbuchstaben und die Tanzböden dieser Welt waren ihr Zuhause. Ihre Shows glichen Kabarett-Veranstaltungen und Alice Nutter hat sogar schon E ausprobiert.
Die Band als Kollektiv
Begonnen hatte alles zugegebenermaßen ganz anders. Aus einem Trio, das sich auf den Straßen Europas das Reisegeld verdiente, entstand Anfang der 80er Chumbawamba. Acht Menschen, die mit drei Katzen und einem von der örtlichen Polizei gefürchteten Hund in einem besetzten Haus in Leeds wohnten. Ihre erste Single hieß „Revolution“. Erste Aufregung provozierten sie mit „Pictures of Starving Children Sell Records“, ihrem Kommentar zum damals grassierenden Live-Aid-Wahnwitz. Als sie Jahre später für das Cover von „Anarchy“ ein Foto einer Geburt (inklusive blutbeschmiertem Baby und Vagina) verwendeten, wurden ihnen Benetton-Methoden unterstellt und Scheinheiligkeit vorgeworfen. Dogmatisch waren Chumbawamba selten, militant schon, aber „unsere Ideen ändern sich ständig“, versichert Harry. Das Auftauchen von Chumbawamba fiel zeitlich mit dem großen Bergarbeiterstreik zusammen, Benefizkonzerte und andere Aktivitäten verfestigten das Bild vom verbiesterten Politico. Bei Auftritten trugen sie Maggie-Thatcher-T-Shirts mit der Aufschrift „The Beast Must Die“, auf dem Ärmel fand sich in kleinen Lettern: „A Bullett is Worth a Thousand Words“. Ein Bild, von dem Chumbawamba nicht mehr loskommen.
Aber Chumbawamba tun nicht das, was sie tun, um reich und berühmt zu werden. Nicht, daß sie etwas dagegen hätten, sollte es tatsächlich so weit kommen. „Es wäre sehr einfach gewesen, noch mal ,Anarchy‘ zu machen“, erzählt Harry, „vielleicht kommen wir später mal wieder auf Dancefloor zurück, aber jetzt wollten wir Veränderung, eine neue Herausforderung.“
Das bedeutete für die neue Platte „Swingin' with Raymond“, durch eine strenge, „konzeptionelle“ Trennung der sie beherrschenden Einflüsse den von ihnen allseits erwarteten „Stil-Cocktail“ nicht zuzulassen: Für die erste Hälfte, Alice nennt sie die „Love Songs“, kehren Chumbawamba zu ihrer Folkphase zurück, üben sich in den berüchtigten Gummibärchen-Harmoniegesängen, in den lieblichsten Melodien. Die Texte allerdings sind immer noch weit entfernt von üblicher Herzschmerzmetaphorik und lassen sich statt dessen nur mit viel Phantasie als Liebeslieder lesen.
Die zweite, die „Hate-Side“, rekapituliert ihre Zeit als Punkrocker, wenn auch auf wesentlich gemäßigterem Niveau: Hier finden sich dann auch die Bläser, das Studenten-Rapping und vor allem der anschwellende Herzschlag-Rhythmus von „Anarchy“, die „ticking ticking timebomb“, wieder. Fast gänzlich haben sie für „Swingin' With Raymond“ auf die eingängigen Slogans verzichtet, mit denen sie bisher die Revolution zum Tanzen brachten. Kein „Homophobia the Worst Desease“, kein „Enough is Enough“, kein „Never rest again 'til every Nazi dies.“ Erstmals wagen ihre Texte Privatheit. Eine „bewußte Entscheidung“ wie alle ihre bisherigen Kehrtwendungen vom Punk zum traditionellen Folk, a capella vorgetragen, zum Rave. „Wir selbst waren an einem Punkt, wo wir wußten, was wir von uns erwarten durften, und davon hatten wir genug. Wir hätten als Band all die Jahre nicht überlebt, hätten wir uns an eine einzige Formel gehalten.“
Die Band als Strategie
Strategie spielt hier natürlich eine nicht unwesentliche Rolle. In ihrem Fall Pop-Strategien, wenn man so will. Ein verfemtes Wörtchen seit den Zeiten von Gang of Four, von Scritti Politti, von Prefab Sprout, ja selbst von ABC. Heutzutage sagt keiner mehr Strategie, nicht mal die Pet Shop Boys – und die hätten allen Grund dazu. Die Zeitbombe aus Leeds tickt weiter. Sehr leise, aber stetig. Wahrscheinlich wird sie nie explodieren, aber sie ist scharfgemacht. Ein kleiner Stachel im Fleisch der Musikindustrie. Trotzdem akzeptieren sie die geschäftlichen Gepflogenheiten: „Es gibt so wenige anarchistische Stimmen in den Medien. Und einer der Vorteile daran, Mitglied von Chumbawamba zu sein“, so sieht es Alice, „ist der, daß man an Orten über Politik reden kann, an denen normalerweise nicht über Politik geredet wird.“ Trotzdem machen sie sich keine Illusionen „wie andere, die glauben, daß sie die großen Firmen benutzen könnten, ohne von ihnen benutzt zu werden.“ Und das haben sie schon gewußt, bevor sie selbst zum Manager-Spielball degradiert wurden. Daß sie hierzulande von Virgin vertrieben und damit auch promotet werden, liegt daran, daß ihr englisches Label One Little Indian den Vertriebs-Vertrag mit Rough Trade kündigte. Ein halbes Jahr hatten sie verhandelt, damit so etwas nicht passieren sollte, hatten sich sogar eine Klausel in ihren Vertrag schreiben lassen, der ihnen dessen Auflösung garantierte, falls Anteile von One Little Indian an wen auch immer verkauft würden. „Wir fühlten uns sicher“, erzählt Alice, „und zwei Monate später fanden wir uns auf Polygram. Und dann beendete One Little Indian die Zusammenarbeit mit Polygram und verscherbelte uns an Virgin.“
Im Ergebnis war man dann zwar nicht unzufrieden, steckte Poly
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
gram doch „mehr Geld und Mühe in Werbung und Pressearbeit“ als jedes Label zuvor, aber gefragt worden wäre man schon gern. „Wir werden jetzt mal sehen, wie das hier bei Virgin so läuft. Wir haben ja sowieso keine Wahl.“
Die Band als Infiltration
Auch die Erfolgsaussichten ihrer Infiltration des Kapitals sehen sie realistisch: „Wir waren nicht höllisch erfolgreich bisher“, glaubt Alice, „aber wir versuchen es. Popmusik muß keine Scheißtexte haben.“ Sie versprechen sich davon zumindest größeren Erfolg als vom Gegenmodell, im Gespräch repräsentiert von Fugazi und ihrem Dischord-Label. Zwar schlagen sich die von ihnen ausdrücklich respektierten Freunde aus Washington DC. leidvoll mit ähnlichen Vorurteilen herum, aber ihre Antwort ist eine andere: „Nicht mit der Presse zu sprechen“, glaubt Alice, „ist keine gute politische Lösung. Denn wenn sich deine Ideen vom Mainstream unterscheiden, ist es nicht angebracht, den Mainstream zu ignorieren, sondern verdammt noch mal da reinzugehen und zu versuchen, ihn und seine Denkweisen zu ändern.“
Ihr eigenes Label Agit-Prop scheiterte an Finanzen und Zeitnot, aber auch theoretisch haben sie sich von der Fugazi-Methode, jeweils kleine lokale Infrastrukturen im Untergrund aufzubauen, um die dann miteinander zu verknüpfen, verabschiedet. „Fugazi stehen in ihrer Ecke und gucken aus einer gesicherten Position zu. Wir haben irgendwann beschlossen, daß wir nicht immer nur die Ausgewählten erreichen wollen.“ Eine vollständige Kontrolle über die eigene Außenwirkung, das haben ihnen ihre Probleme mit One Little Indian vorgeführt, ist letztendlich sowieso nicht möglich. Und außerdem „fehlt es dem Großteil der politischen Musik an Freude. Wir teilen nicht den Snobismus anderer Polit-Bands, was Popmusik angeht. Wir lieben Popmusik. Das heißt ja nicht gleich, daß wir Idioten sind.“ Der englischen Presse gestand Alice sogar eine sehr konkrete Leidenschaft: „Take That are just so loveable.“
Bleibt die Frage, ob die Strategie erfolgreich sein kann. Alice und Harry glauben fest daran. Briefe von „15jährigen, die uns um Buchempfehlungen bitten“, lassen sie hoffen, daß die Revolution eher morgen als übermorgen doch noch kommen möge. Und einer zumindest schon hat ihre Methode adaptiert. Harrys Vater, selbst Musiker und verantwortlich für die Tom- Jones-Interpretation von „Timebomb“, die „Anarchy“ beschloß, hat den Song inzwischen ins eigene Programm aufgenommen. In den Clubs von Leeds, wo sich einsame ältere Herzen zum Schwoofen treffen, erklingt also regelmäßig „Stop now, what's that sound / London bridge is falling down.“
Chumbawamba: „Swingin' with Raymond“ (One Little Indian/Virgin). Tournee: 2.12. Köln, 3.12. Hamburg, 8.12. Berlin, 9.12. Leipzig, 10.12. Bremen, 12.12. Bielefeld, 13.12. Essen, 14.12. Frankfurt, 15.12 Stuttgart, 16.12. München
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen