: Neuverschuldung statt Luftnummer
■ Ein Plädoyer für mehr Spielraum in der Finanzpolitik von Rudolf Hickel
Thesen zu den „Perspektiven der Sanierung der Landesfinanzen“ – für die Mitglieder der Kommission Arbeit, Wirtschaft und Finanzen der Bremer SPD“ – so ist das Papier des Bremer Wirtschaftspro-fessors Rudolf Hickel überschrieben, mit dem er sich nun schon zum wiederholten Mal in die aktuelle Spardiskussion einmischt. Die taz veröffentlicht hiermit den Debattenbeitrag – nicht ohne Hintersinn: Wir wollen angesichts der dramatischen finanziellen Lage des Landes und der drohenden Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt eine Diskussion entfachen, die mehr ist, als die hastige und verzweifelte Suche nach kurzfristigen Lösungen. Was könnten die Perspektiven der Stadt sein, wenn schon heute erkennbar wird, daß sie nicht aus der Zwangsjacke der Überschuldung rauskommen kann, so sehr sie sich auch anstrengen mag? Am Montag wird der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Ralf Fücks seine Thesen zur Zukunft Bremens entwickeln.
1. Die an Heftigkeit gewinnende Kontroverse um das Zwei-Säulen-Projekt: Sanierung und Sonderinvestitionsprogramm (ISP) ist nicht nur auf die sinkende Steuereinnahmen 1995 und 1996 zurückzuführen. Der eigentlich Grund liegt in der Tatsache, daß die bisherige Finanzierung dieses Doppelprogramms eine Luftnummer darstellte. Unterstellt wurde, das ISP ließe sich aus der Einsparung von Zins- ausgaben im vollen Umfang der Teilentschuldung durch den Bund finanzieren. Da jedoch die öffentlichen Haushalte des Landes Bremen zur Finanzierung der Ausgaben ohne ISP auf eine Normalverschuldung angewiesen sind, mußte von Anfang an klar sein, daß Zinsersparnisse nur um das Ausmaß der effektiven Teilentschuldung anfallen würden. Nachdem die Zinsersparnisse nicht erzielt werden können, konzentriert sich die Finanzierung des ISP auf Einsparungen von Ausgaben und/oder Vermögensveräußerungen. Das ISP gerät zum Instrument, Kürzungen in den konsumtiven Bereichen durchzupeitschen, Diese Entwicklung wäre nicht akzeptabel.
2. Die Bremer Politik steht, wie der Entwurf zum Doppelhaushalt 1996/97 zeigt, vor dem Problem, im dem Ausmaß, in dem die Überweisung aus Bonn mit je 1,8 Milliarden Mark erfolgt, sich neu verschulden zu müssen. Innerhalb dieser gesamten Neuverschuldung soll das ISP finanziert werden. Damit erfolgt effektiv keine Teilentschuldung, die Gesamtschulden bleiben also konstant. Die Zinsausgabenquote (Zinsausgaben zu Gesamtausgaben) verändert sich bei gegebenen Zinssätzen und Konstanz der Schuldenstruktur ebenfalls nicht. Da nach neuesten Prog-nosen für alle Gebietskörperschaften mit noch stärkeren Steuerausfällen in 1996 gerechnet wird, steht der Doppelhaushalt unter hohem Risiko. Auch der Senator für Finanzen sieht die Gefahr, daß der Rahmen nicht ausreicht, also die effektive Neuverschuldung zumindest leicht ansteigen kann. Diesen Fall nennt er prophylaktisch Minus-Tilgung um begrifflich das faktisch gebrochene Tabu der Neuver- schuldung zu pflegen.
3. Das Grundkonzept Sanierung und Sonderinvestitionen verlangt endlich eine realistische Anpassung an die mittelfristige Entwicklung. Ad hoc-Korrekturen zerstören das Vertrauen in dieses so wichtige Projekt sowie dessen Kalkulierbarkeit.
Ich plädiere für folgende Elemente:
3.1. Die Aufgaben– und damit Ausgabenkritik bleibt eine Kernaufgabe der Sanierung. Es gibt durchaus noch Einsparpotentiale. Aufgabenkritik muß jedoch die notwendige sozialen, kulturellen und bildungsbezogenen Mindestanforderungen an einen lebenswerten Stadtstaat respektieren. Wichtig ist es, die qualitative und quantitative Aufgabenkritik mit einer Modernisierung der öffentlichen Verwaltung zu verknüpfen. Zur Reform dieses Sektors sind bisher viel zu wenig Pilotprojekte gestartet worden.
3.2. Die Diskussion um den Solidarpakt zur Sicherung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor muß ernsthaft geführt werden. Der ursprüngliche Vorschlag durch den Bürgermeister, im Ausmaß der Arbeitszeitverkürzung (von 38,5 auf 35 Wochenstunden) die Arbeitseinkommen zu reduzieren, stößt bei der großen Masse der Beschäftigten auf Grenzen. Alternativ wäre zu überprüfen, inwieweit künftig ein Teil der Lohn- und Gehaltserhöhungen zur finanziellen Absicherung von Arbeitsplätzen genutzt wird. Dabei wird es auf die Konditionen dieser beschäftigungsorientierten Entlohnungspolitik ankommen. Schließlich muß sich das Land Bremen der Schaffung eines Fonds zur Sicherung der Pensionszahlungen für Beamte zuwenden (vgl. Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen).
3.3. Im Kern darf das Investitionssonderprogramm (ISP) nicht gekippt werden. Es gilt auch mit Blick auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dem Ziel, die Wirtschafts- und Finanzkraft zu stärken sowie durch Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen die Krisenkosten der Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das schließt die Überprüfung einzelner Großprojekte nicht aus. Um das Entscheidungsverfahren zu erleichtern, sollten für die kommenden vier Jahre die jeweiligen Volumina festgelegt werden.
3.4. Nachdem die Luftnummer künftig eingesparter Zinsausga- ben, die aber als Finanzmasse nicht verfügbar sind, geplatzt ist, muß die Finanzierung des ISP endlich verbindlich festgeschrieben werden. Dazu wird in der Phase der Unterstützung durch den Bund folgender Rahmen vorgeschlagen: (1) Die Normalverschuldung beläuft sich pro Jahr in der Höhe des Sanierungsbeitrags durch den Bund, also über 1,8 Mrd. DM. Das ISP wird innerhalb dieses Rahmens nicht finanziert. Der Druck, Einsparungen vorzunehmen, bleibt auch bei dieser Normalverschuldung wegen unzureichender Steuereinnahmen erhalten. (2) Ausschließlich das ISP – etwa mit einem jährlichen Volumen von 300 Millionen Mark – wird durch öffentliche Kreditaufnahme finanziert. Dabei muß gesetzlich festgelegt werden, daß die effektive Neuverschuldung – also über die per Tilgung aus Bonn kompensierte Normalverschuldung hinaus – nur im Rahmen des ISP in Anspruch genommen werden darf. Regionalökonomisch und finanzpolitisch ist die streng begrenzte Finanzierung per effektiver Neuverschuldung bei Sonderinvestitionen wegen ihrer wirtschaftsstärkenden Wirkung gerechtfertigt. Die Folge wäre ein Anstieg der Gesantschuldung um ca. 1,5 Milliarden Mark (fünf Jahre je 300 Millionen Mark). Dieser Vorschlag darf nicht als Freischein für zügellose Neuverschuldung mißinterpretiert werden. Am Ende der Sanierungs- und Investitionsperiode wäre zwar die Zins-Ausgaben-Quote gestiegen, im Verhältnis zur Entwicklung der anderen Bundesländer stünde jedoch das Land Bremen erheblich besser da, denn die Neuverschuldung wächst in diesen Ländern deutlich schneller. Und noch ein Hinweis: Die Gefahr, daß es ohnehin zu dieser Neuverschuldung – „Minustilgung“ – kommt, ist groß. Das hier vorgeschlagene Konzept begrenzt diese streng auf das ISP und erhält damit den Zwang zu Einsparungen in den öffentlichen Haushalten des Landes Bremen.
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