: Atomlager Nord in Lubmin: größer als beantragt
■ Die Bürgerinitiative Kernenergie in Greifswald rechnet mit 10.000 Einwendungen. Die öffentliche Anhörung findet im nächsten Frühling statt
Der Rohbau ist fast fertig, und kein Mensch bezweifelt, welchem Zweck er dienen soll. In die acht nebeinander liegenden Hallen passen 10.000 Tonnen abgebrannter, hochradioaktiver Brennelemente, für 200.000 Kubikmeter schwach und mittelaktiven Atommüll ist in dem Komplex in Lubmin bei Greifswald außerdem Platz. Aber erst Monate nach Baubeginn, nämlich am 31. August 1995, haben die Energiewerke Nord als Betreiber dieses größten Atomlagers Deutschlands einen Genehmigungsantrag nach dem Atomgesetz gestellt. Am 13. Oktober hat ihn das Bundesamt für Strahlenschutz in der Lokalpresse bekanntgemacht, seit gestern beschreitet nun auch die Bürgerinitiative Kernenergie in Greifswald den Rechtsweg. Sie sammelt Einwendungen. Dazu berechtigt sind alle von den Plänen Betroffenen, nicht nur Deutsche, sondern auch Bürger und Bürgerinnen Polens, Schwedens und Finnlands. Rosemarie Poldrack, Sprecherin der Bürgerinitiative, rechnet mit „10- bis 20.000 Einwendungen“. Bis zum 22. Dezember müssen sie bei den Behörden vorliegen.
Den Termin der öffentlichen Anhörung will das Bundesamt für Strahlenschutz jedoch „nicht vor dem 1. April 1996“ bekanntgeben. Die Fachbehörde muß sich bis dahin nicht nur mit bekannten Argumenten gegen die Atomindustrie auseinandersetzen. Die Bürgerinitiative hat insgesamt acht Einwände vorformuliert. Sie reichen von der „Gefahr für Leben und körperliche Unversehrtheit“ über Konstruktionsmängel und fehlenden Schutz gegen Flugzeugabstürze bis hin zu einigen juristischen Sonderbarkeiten, mit denen hier allein die Energiewerke Nord aufwarten können.
Ausdrücklich erwähnt etwa der Genehmigungsantrag nur radioaktive Stoffe aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Greifswald. Tatsächlich wird das Lubminer Lager weit größer gebaut. „Die Transportbehälteranlage ist so groß dimensioniert, daß nicht nur die hochradioaktiven Abfälle aus den Atomanlagen von Greifswald und Rheinsberg eingelagert werden können“, schreibt die Bürgerinitiative im Punkt sieben ihres Einwendungskatalogs. „Mindestens die Hälfte des Lagerraums wird für die Einlagerung von hochradioaktiven Abfällen aus den alten Bundesländern und dem Ausland zur Verfügung stehen.“
Daß genau das geplant ist, geben inzwischen die Energiewerke Nord zu. Am 9. Oktober bestätigte deren Geschäftsführer Dieter Rittacher gegenüber dem evangelischen Pressedienst, daß hier „Atommüll aus der ganzen Bundesrepublik“ eingelagert werde. Entsprechende Verträge mit den Betreibern des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich würden „zur Zeit erarbeitet“.
In Argumentationsnot dürfte das Bundesamt aber auch kommen, weil nach europäischem Recht eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich wäre. Sie ist nicht in Sicht. Ein besonders schwerer Verstoß gegen das EU- Recht, meint die Bürgerinitiative, weil für die hochradioaktiven Abfälle kein Endlager bekannt ist. Das „Zwischenlager Nord“ sei somit eine „Anlage mit dem ausschließlichen Zweck der Endlagerung radioaktiver Abfälle“ im Sinne der EG-Richtlinie, die zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorschreibt.Niklaus Hablützel
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