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Meeresrauschen im Gefängnis

Wieviel Nähe ertragen wir? Wie kommunizieren die Körper? Das TanzLabor lädt zu „a/skin '95“ in die Akademie der Künste. Zu sehen sind Choreographien von Norbert Servos, Jorge Morro, Robert Poole und Tatjana Orlob  ■ Von Katrin Bettina Müller

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. So endet das Märchen. Was sollte man von der erfüllten Liebe schon groß erzählen? Wie sich aber in der Nähe Kraftfelder der Abstoßung und Anziehung bilden und bald Gräben den Minikosmos der Beziehung wie ein Minenfeld durchziehen, hat neben der Literatur auch der zeitgenössische Tanz als unerschöpfliches Thema entdeckt.

Als ob sie ewig weitertanzen könnten, als ob das Perpetuum mobile ihres Begehrens niemals zum Stillstand käme, umkreisen sich drei Tänzer in „Songs“. Schon ihre halbgeöffneten Lippen verraten, wie sie die Kunst der Verzögerung, die Rituale des Verführens und Rivalisierens auskosten. Zu den rauhen Stimmen von Flamencoliedern tragen die gezähmten Kraftpakete, die mit locker geballten Fäusten in die Drehung gehen, ihre Konkurrenz aus.

Ihre Gesten sind expressiv und zugleich Abstraktionen einer theatralischen Sprache: Wenn ein Tänzer die aufgespannte Hand wie einen Fächer über sein Gesicht zieht, sieht man auf dem Grund dieses Bildes spanische Damen winken. Kommen die Tänzer sich nahe, nutzen sie den Körper des anderen, um den Sekundenbruchteil des Sprungs zu verlängern. Diese steten, sanften Steigerungen, diese weichen Landungen verleihen den „Songs“ eine schöne Linie.

„Songs“ entwickelte Servos für drei Tänzer der Komischen Oper, die seit einiger Zeit wagemutig mit der Off-Szene zusammenarbeitet. Servos belohnt sie mit einer Choreographie, die ihre Spannung ganz aus der Bewegung bezieht und ohne narratives Gerüst, ohne symbolische Requisiten auskommt. Diese Tugend teilt „Songs“ mit den vier anderen Choreographien, die im Programm „a/ skin“ ihre Premiere erleben.

Wieviel Nähe erträgt man, über welche Entfernung können Körper miteinander kommunizieren? Diese Fragen, erzählt Norbert Servos, haben sich für ihn und Tatjana Orlob, mit der er im „TanzLabor“ verbündet ist, in ihrer Arbeit entwickelt. Zu diesem Thema luden sie die Duos zweier spanischer Choreographen und das Junggesellen-Solo „Window-Sleep“ von Robert Poole ein.

Allein, das inhaltliche Konzept bleibt etwas dünn, das Spektrum der Ansätze schmal. Zwar wird die alte Beziehungskiste des Tanztheaters unter dem Motto „Berührungen und Häutungen“ mit großer Sensibilität durchforstet, doch der Befund ist vertraut. So tanzt Jorge Morro mit Gloria Garcia zu einem Trommelfeuer der Zikaden temperamentvoll und heftig eine emotional dichte Analyse über das Pendeln zwischen Nähe und Einsamkeit.

Bei Bebeto Cidra und Viviane Calvetti dagegen gewinnt der Bewegungsfluß eine Qualität, die über die psychologische Skizze hinausgeht. Mit Rädern, Drehungen, Rollen und Spiralen zeichnen sie ein verschlungenes Ornament auf den Bühnenboden und entwickeln ein harmonisches Geflecht, in dem Positionskämpfe überwunden sind.

Dieses weiche Verschmelzen, das sich bei Cidra aus dem Atmen der Körper fast von selbst zu ergeben scheint, gelingt in „Olfacts“ von Tatjana Orlob nur nach harter Arbeit. Über weite Strecken wirkt ihr Tanz für zwei wie ein Solo mit Double: Trotz paralleler Bewegungen scheinen Orlob und Steffen Eckert nicht durch einen Raum verbunden. Trotz der weitausgreifenden Gesten wirken sie wie festgenagelt. Das aber ist genau das Thema Orlobs, deren Fingerspitzen auch noch in der größten Spreizung einwärts auf den eigenen Körper zurückweisen: Wie kommt man aus seiner Haut heraus?

In „Olfacts“ dauert es lange, bis das Meeresrauschen der Musik von Marcus Waibel die in ihren Kaspar-Hauser-Gefängnissen eingesponnenen Körper durchspült. Noch in der konkreten Berührung – dem Ziehen, Halten, Anlehnen, Wegdrücken – erkunden sie sich mit großer Fremdheit.

„a/skin '95“. Bis Sonntag, täglich 20 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten

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