: "Sie träumen es nicht!"
■ Filmnackte, Erfolgsautorin, Berlin-Botschafterin und gefeierter Broadwaystar - Hildegard Knef war immer ein wenig vor ihrer Zeit. Heute wird die Schauspielerin und Diseuse, die mit Willy Brandt befreundet war, sieb
Nach sieben Jahren in Los Angeles sind Sie ausgerechnet 1989 nach Deutschland zurückgekehrt. Zufall?
Du großer Gott, ich war ja zwischendurch immer mal wieder da, seit ich auf einen Filmvertrag von David Selznick weggegangen bin, und das war 1947. Ich habe in England und Frankreich Filme gedreht, ich habe in Deutschland Filme gedreht, Chansontourneen gemacht, aber auch den „Geschenkten Gaul“ geschrieben und andere Bücher. Außerdem hat man mir hier das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen, zu einer Zeit, als das noch nicht so verteilt wurde wie nette Bonbons, sondern es war mehr eine Corps- diplomatique-Angelegenheit ..., also der Kontakt war eigentlich nie abgerissen.
Was hat Sie aber immer wieder von Berlin und Deutschland weggetrieben?
Sehen Sie, 1968 wurde meine Tochter geboren, sie ging dann hier in Berlin zur Schule, die sehr gut war, vorher allerdings in Österreich, da hatten sie noch Fibeln aus dem letzten Jahrhundert, wo die Mutter immer das Essen kocht und die Pantoffeln hinstellt. Ich war von ihrem Vater geschieden, und das zu einer Zeit, die ... grauenhaft war, ich hatte Krebs. Ich hatte gerade „Das Urteil“ geschrieben, da brach also der Taifun, der Hurricane, ich weiß nicht was alles auf mich nieder. Eines Tages lese ich in einer Boulevardzeitung – und ich hab wirklich gedacht, ich krieg'n Herzanfall, ich hatte mit denen überhaupt keen Interview gehabt, nie gesprochen, jarnüscht – „Knef“, Doppelpunkt, „Ich hasse alle Deutschen“.
Gelogen!?
Och, na kommen Sie! So'n Schwachsinn könnt' ich nicht in Narkose sagen. Man kann nicht ein ganzes Land hassen, was soll der Käse? Außerdem bin ich Deutsche, und ich meine, hören Sie, ich hab genug deutsche Freunde, und was soll denn dis? Aber da sehen Sie mal, was eine Lapidarzeitung anrichten kann, Lobotomie ist noch was Nettes dagegen. Aber wer am meisten darunter zu leiden hatte, war meine Tochter. Wir haben uns dann für Amerika entschieden, wo wir uns gesagt haben, mein jetziger Mann Paul von Schell und ich: So, jetzt soll sie ein Familienleben haben. Heute ist sie Tierärztin, hantiert mit Tigern und Schlangen, da wird mir manchmal auch ganz anders. Aber es ist mir gelungen: Sie hat nicht diese Obsession, einen meiner Berufe auszuüben.
Darüber sind Sie glücklich?
Ich wollte nicht, daß sie sieht: Aha, da ist die Mutter auf dem Titel, das möchte ich bitte schön auch. Sie sollte sehen, wie das wirklich alles zustande kommt, deshalb habe ich sie in den ersten Jahren auch immer mitgenommen, auf Chansontournee und alles. Mittlerweile ist sie glücklich verheiratet, mit Peter Gardner, dem Vizepräsidenten von Warner Brothers, und nachdem wir ein Jahr die Zaungäste der jungen Ehe waren, sagte mein Mann: Ist eigentlich dämlich, was wir hier machen, auch eine Behinderung für die Ehe. Außerdem geriet ich in Gefahr, meine deutsche Sprache ... daß die mir n'bißchen einrostet. Der langen Rede gar kein Sinn: Ich hatte ein Angebot für einen französischen Film, wir sehen in St. Maxime fern, auf einem Minifernseher, und sehen also plötzlich, daß die Mauer gefallen ist. Ich hab gedacht, ich werde ohnmächtig. Und so sind wir also, nach einem Umweg über München, wieder in Berlin.
Sie haben gesagt, Berlin sei provinziell.
Na, das war vor dem Mauerfall. Inzwischen empfinde ich es, trotz all der Bauarbeiten, als faszinierende Großstadt – mit all diesen schizophrenen Zügen, die Großstädte haben.
Sie waren mal eine Art Botschafterin für Berlin – als Willy Brandt Bürgermeister war.
Richtig, ich war Botschafterin, bin dreieinhalb Monate durch Amerika gezottelt und habe jedem Menschen, der es wissen wollte oder auch nicht, am Fernsehen oder im Radio erzählt, was es heißt, plötzlich mitten in der Stadt eine Mauer zu haben. Das war ich Willy Brandt, mit dem ich befreundet war, schuldig. Es war eine sehr prekäre Zeit damals, denn die Amerikaner hatten gerade die Luftbrücke '48 hinter sich und wollten davon nun überhaupt nichts wissen. Die wußten: Die haben genug Truppen hier, und jeder, der hier in Berlin war, von den einfachsten Soldaten bis zum Oberst, war ja sozusagen „handpicked“ — wenn einer ausgeflippt wäre am Checkpoint Charlie, das hätte ja Ungeheures ausgelöst. Die Reise war also nicht leicht. Man spürte, ob nun in Los Angeles, bei Reden, Banketts oder in einem Radiosender: Oh Gott! Nicht schon wieder ein deutsches Problem! Wir haben doch gerade erst West-Berlin gerettet, nun seid mal eine Weile zufrieden.
Hätten die Deutschen Sie dafür mehr lieben müssen?
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich glaube, es würde kein Mensch mehr von mir sprechen, was immer ich schreibe, tue – auch wenn's gut wäre –, wenn ich nicht manchmal, ohne daß ich mir dessen bewußt war, meiner Zeit voraus war. Und vielleicht manche Ärgernisse dadurch ..., na ja, ausgelöst habe. Schauen Sie, in einer Zeit, in der gerade der Softporno lief, schrieb ich den „Geschenkten Gaul“, ein Kriegsbuch, ein doch ziemlich hartes Buch, nich? Wurde in 17 Sprachen übersetzt, hat Preise gekriegt – Sie träumen es nicht! Dann „Das Urteil“. Das ist, als ob Sie, na, das wär heute noch sanft, ein Buch über Aids schreiben. Wie kann eine Frau die Infamie besitzen, über Krebs zu schreiben!
Sie waren die erste deutsche Filmschauspielerin nach dem Krieg in den USA, die erste Deutsche am Broadway – das Motiv zieht sich durch. Unter der Regie von Willi Forst waren sie die erste Nackte im deutschen Film ...
In „Die Sünderin“, ja.
Es wirkt lustigerweise, als hätten Sie einen Ganzkörperanzug aus Licht an ...
Da ist was dran. Das war alles sehr harmlos. Aber Sie ahnen ja nicht, was das damals ausgelöst hat. Proteststürme! Ich habe es schon dem Walter Harrich erzählt, der vor kurzem den Film über mich gedreht hat, „Für mich soll's rote Rosen regnen“: Ich hatte die Schande, und sie, also die Produzenten, hatten das Geld. Na, und ich hab den ersten deutschen Nachkriegsfilm überhaupt gedreht, „Die Mörder sind unter uns“.
Wie kommt's?
Schicksal.
In Ihren Büchern haben Sie eine andere Erklärung: Ehrgeiz.
Ehrgeiz isses nicht, Ehrgeiz ist das falsche Wort. Das hat mit Ehre und mit Geiz zu tun. Von beidem halt ich nicht viel. Ohne Geiz und ohne Ehr – ich hab es angegriffen. Ehrgeiz ist so wie Neid, es hat was Bösartiges. Es ekelt mich fast ein bißchen an. Zensurenverteilen, verstehen Sie? Da ist keine Besessenheit oder eine Freude an der Arbeit. Oder auch eine Qual.
Im „Geschenkten Gaul“ liest sich das so: „Wir hatten Ehrgeiz im besten Sinne des üblen Wortes; ich hatte Ehrgeiz, habe Ehrgeiz, werde ihn behalten, er begleitet mich wie eine Liebe, die gute und schlechte Tage hat.“
Sehen Sie, dann haben Sie recht gehabt. Hui! Aber ein übles Wort bleibt es, das habe ich auch gesagt.
In den Sechzigern ging es richtig los mit ihrer Chansonkarriere. Man hat den Eindruck, sie wollten damit der Gängelei durch Produzenten und Filmbosse entkommen.
Musiker sind eben anders. Als ich mich in meinem Leben von der Schauspielerei entfernte, habe ich Leute getroffen, Musiker, die ich unendlich zu schätzen gelernt habe – weil ein Großteil das eben nicht hat: Du, ich muß der erste sein. Zum Beispiel ein Kai Rautenberg würde sagen: Mensch, da kommt'n Pianist, sowas hast du noch nicht gehört! Es ist die Freude, daß man gut ist und etwas wirklich Gutes macht. Ich geriet also vom Rekreativen ins Kreative.
Sie haben sich mal als „Mutter der Liedermacher“ bezeichnet.
Nein! Ich bin doch nicht verrückt geworden! Das hat ein anderer gesagt.
Deswegen ist es doch nicht falsch.
Doch. Schauen Sie, die Liedermacher, die sogenannten Liedermacher, die zumeist mit Gitarre arbeiten und so, haben ja nicht sehr viel gemein mit mir. Ich hab damals angefangen, Texte zu schreiben und erste Platten aufzunehmen in London, auch Paris, mit'm Vian, für die Decca. Und immer habe ich gesagt: Um Gottes Willen, wir müssen auf jeden Fall vermeiden, das französische Chanson nachzuäffen, das geht einfach auch mit unserer Sprache nicht. Ich war die erste, die darauf bestand, bei meiner Tournee '66 und schon vorher auf Platte, Jazzelemente reinzubringen. In vielen meiner Songs. Das ist was ganz anderes, keine Liedermacher.
Vergleichbar ist das Mehr an Selbstbestimmung. Sie wurden Autorin.
Während einer Nacht, übrigens in einem Berliner Hotel, habe ich plötzlich angefangen zu schreiben. Es wiederholte sich paarmal, bis ich 8 oder 10 Texte beisammen hatte. Mit Kurt Richter und Ossi Drechsler, mit denen ich zusammenarbeitete, habe ich dann besprochen, was wir als nächste LP machen. Da hab ich diese Texte hingehauen, aber da stand nicht drauf, wer's geschrieben hat. Da haben die gesagt: Wer immer diese Texte geschrieben hat, sollte die nächsten LPs machen. Ich also: Nun bleibt schön sitzen, bleibt ganz ruhig, die hab ich selber geschrieben. Und da sprangen die also von den Sitzen hoch — fabelhaft, prima! Und dadurch begann eine ganz neue Phase der Arbeit. Plötzlich hab ich gesagt: Der Komponist da, diese Arrangements gefallen mir nicht. Ich habe Les Humphries in irgend ner dämlichen Diskothek gehört, wußte gar nicht, wer das war, und ich also: Den will ich haben. Und die: Bist du waaaahnsinnig geworden, der spricht kein Wort Deutsch. Ich sage: Man kann ja übersetzen, und wenn er Musiker ist, wird er ein Flair dafür haben, was ich sagen will.
Komisch nur, daß so viele Lieder aus der Zeit von Desillusion erzählen: „Von nun an ging's bergab ...“
Sie dürfen nicht vergessen, daß ich Berlinerin bin und – ich weiß nicht, inwieweit der Humor heute noch blüht, aber in mir isser drin. Naja, so ein gewisser Sarkasmus manchmal, ein tongue-in-cheek. Ein Witz, hoffentlich.
Wieso wollten Sie Ende der Sechziger so wenig von der Studentenbewegung wissen – und die nichts von Ihnen?
Da lebten wir am Starnberger See.
War's da nicht langweilig?
Na ja, meine Tochter wurde 68 geboren. Natürlich habe ich einiges mitgekriegt, war immer wieder in Berlin, machte Fernsehsendungen und was weiß ich. Aber die volle Wucht ... Es hat sich so ergeben. Wir hatten die herrliche Umgebung, ein herrliches Haus. Dort war auch meine Tochter viel leichter zu beschützen, es war ja schon Terroristenzeit. Und dort sind einige Maßnahmen ergriffen worden, meine Tochter und mich zu beschützen.
Aber Sie waren doch nicht Hanns Martin Schleyer.
Den Drang, meine Tochter zu beschützen, habe ich immer verspürt, auch später, als wir eine Schule für sie suchten, in Los Angeles. New York schien uns zu gefährlich für ein junges Mädchen, das sehr schön ist und blonde Haare hat und ein zauberhaftes Wesen. Der Gedanke allein: die in einem Fahrstuhl ... na, unmöglich.
Die Schriftstellerin Gabriele Wohmann warf Ihnen nach dem „Geschenkten Gaul“ vor: Die Bösen sind für die Knef immer die anderen, nie sie selbst.
Haben Sie schon mal erlebt, daß irgendein Werk, sei es Malerei, Musik, Schriftstellerei, von allen gelobt wird? In dem Moment haben Sie Ärger. Oder Sie sind schlecht.
Das hat Sie alles nicht berührt?
Ich hab's gar nicht gewußt. Schauen Sie, wenn Sie Berufe haben, die sich im öffentlichen Leben abspielen, müssen Sie damit rechnen, daß Sie soundsoviel Feinde haben. Wenn Sie das nicht verkraften können, dann lassen Sie die Pfoten weg. Aber sofort.
Warum hat die Frauenbewegung Sie nie für sich entdeckt?
Weil ich wahrscheinlich das bereits beruflich tat, was die in Vereinen und Reden von sich gaben.
Sie waren sozusagen schon weiter?
Das Gefühl hab ich, ja. Ich mußte mir nicht mehr das alles noch anhören, daß Frauen eventuell auch schreiben können oder einen Einfluß auf die Schallplattenindustrie haben. Es hat mich immer maßlos gelangweilt, dieses ganze Emanzipationsgequatsche, weil ich gedacht habe: Entweder es entwickelt sich ... – aber viele Frauen haben sich auch durch einen falschen Einsatz oder eine falsche Emanzipation in eine Einsamkeit hinausgeschleudert. Also, ich kann mir mein Leben ohne Paul nicht vorstellen.
Ohne Männer wollen die meisten Frauen auch heute nicht leben.
Oh, ich kenne viele Frauen, die sagen: um Gottes willen, nein. Die sind nicht unbedingt lesbisch.
Wäre „lesbisch“ schlimm?
Natürlich nicht, jeder soll das nach seiner eigenen Fasson abmachen, was immer die Zeitungen auch an Mist schreiben. Bloß meiner eigenen Vorstellung vom Zusammenleben kommt es nicht so sehr entgegen.
Sie schreiben: „Ich war immer ein Eroberer“ – mit männlicher Endung.
Ja, „Erobererin“ – das hört sich bißchen dämlich an.
Hätte einfach nur schlecht geklungen?
Wahrscheinlich. Außerdem haben wir alle maskuline und feminine Fäden in uns, und der Eroberer ist nun mal sehr maskulin geprägt. Nun sah ich den Eroberer aber nicht mit Pistole, Maschinengewehr oder Handgranate in der Hand, das hatte ich hinter mir, im Krieg. Und auch da wollte ich nicht erobern, ich wollte mich einfach nur retten.
Eine Bewegung hat Sie doch für sich entdeckt: die Schwulen.
Ja, das habe ich schon ganz früh an den Autogrammwünschen gemerkt, daß da viele homosexuelle Menschen dabei sind. Warum das so ist, kann ich mir auch nicht erklären. Vielleicht, weil ich keine Zensuren vergebe.
Vielleicht ist es auch die Liebe der Schwulen zu Diven und Glamour. In England hätten längst die Pet Shop Boys eine Platte mit Ihnen gemacht.
Schon möglich. Ich werde auch öfters zu Veranstaltungen eingeladen, Schirmherrschaft und pipapo. Ich habe mich auch immer für Aidskranke aus dem Bekanntenkreis eingesetzt, die sind mir also, was soll ich sagen – um den Hals gefallen. Aber einmal habe ich erfahren müssen, daß die auf so einer Show nichts anderes machen als ungeheuren Rock zu spielen, mit bunten Fummeln, und also eine sehr billige Form von Homosexualität zu betreiben.
Das hat Sie gestört?
Ich hab mir gesagt: Na, das geht zu weit. In der ersten Reihe saßen sehr erschütternde Gestalten, von der Krankheit gezeichnet, und ich zu meinem Mann: Also nüscht wie raus hier, also das ist doch nur noch mad, mad, mad. Später habe ich in der Zeitung gelesen, daß ich mit Michael Jackson, Liz Taylor und anderen auf einer Aids-Gala war. Ich meine: Das Unglück ist doch, daß viele Aids-Kranke aus bürgerlichen Familien kommen, die nichts mit dem allem zu tun haben wollen. Und dann Modeschau machen! Außerdem weiß niemand, wo das Geld hingeht, und in der Forschung sind sie keinen Zentimeter weiter. Man weiß im Grunde so wenig wie beim Krebs.
Sie schreiben, daß Frauen Sie befangen machen. In Männergesellschaft fühlen Sie sich wohler.
Das hängt mit meiner Erziehung zusammen. Ich bin bei meinem Großvater aufgewachsen, ein feiner, sehr ästhetischer Mann. Der zweite Einfluß war die Kriegsgefangenschaft. Nur einer unter 40.000 Soldaten wußte, daß ich eine Frau bin. Oder ein Mädchen.
Ihre erste Rolle im Schützengraben war eine Hosenrolle.
Natürlich. Ich war als Junge verkleidet. Das war nur möglich, weil dieser wahnwitzige Hitler 14- bis 72jährige eingezogen hat zum Volkssturm. „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ – totaler ging's eh nicht mehr. Und ich hatte den gesamten Krieg hier in Berlin erlebt und also miterlebt, wie diese Stadt mehr und mehr zum Krater wurde, Bombenangriffe, von denen heute keiner mehr träumt. Und ich habe also genug Tote gesehen und Menschen, die man nicht mehr rauskriegen konnte, weil einfach da fünf Stockwerke runtergedonnert waren. Aber trotzdem war die Hilfsbereitschaft unter diesen zusammengeschlagenen, kaputten, vom Krieg angewiderten Leuten ganz enorm.
Der Krieg schweißt zusammen – eine gewagte These. Ein bißchen wie in Ihrem Lied: „Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke ...“
Das ist keine These, das ist etwas, was ich erlebt habe, gesehen habe, Menschen, die also an Typhus ..., ich meine, in diesem Lager gab's ja alles an Krankheiten, was man sich nicht wünscht, Dyphterie, Läuse, keine Pflege, nüscht zu essen, aber dennoch war da diese Verbundenheit in der größten Not. Und ich finde es ein Debakel, daß wir offenbar nur fähig sind, einander so zu helfen, wenn wir so nah den Tod vor Augen hatten, haben ... das find ich schon sehr bedrückend.
Das Bestürzende ist aber, daß der Holocaust in Ihrem Buch nur mit 16 Zeilen erwähnt ist: als Sie in einem Kino in Pankow erstmals die Leichenberge sehen.
Das war so grauenhaft, das kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich habe gedacht, ich werd wahnsinnig. Ich habe die Auswirkungen des Holocaust erst begriffen, als ich in Amerika war. Und sich einige der Emigranten daran erinnerten, wie alt ich war, als Hitler zur Macht kam, ich also keine Möglichkeit gehabt hätte zu emigrieren oder Resistance in Bewegung zu setzen. Ich wußte gar nicht, was los war. Und uns jungen Dingern hat ja sowieso keiner was erzählt. Wir hätten ja bloß mal den Mund aufmachen müssen, und die Eltern wären im KZ gewesen.
Die alte Entschuldigung: Wir haben nichts gewußt.
Ich meine, daß es Konzentrationslager gab, das wußten wir. Aber mit welcher Infamie das betrieben wurde, mit welchem Wahnwitz, unter dem wir ja immer noch leiden. Dieses, ich möchte fast sagen ... eindämmernde Schuldgefühl, das aber doch immer wieder hochkommt und uns wahrscheinlich daran gehindert hat, wirklich eine Filmindustrie aufzubauen. Es ist vielleicht verständlich, daß man nicht sechs Jahre nach Kriegsschluß, als das Wirtschaftswunder anfing, diese Filme sehen wollte bzw. das kaputte Berlin. Aber dann wurde es ja doch langsam Zeit, von den Heimatfilmen und all den wunderbaren, ach so gepflegten Menschen bißchen Abstand zu nehmen. Das ist ja nie passiert. Leider habe ich so einen genialen Burschen wie Fassbinder nie kennengelernt, da war ich im Ausland, und dann ist er gestorben – zu früh, aber das wollte er ja.
Welchen Film hätten Sie selber gerne gedreht?
Etwas, was mich sehr irritiert hat, schwachsinniges Wort in diesem Vergleich, ist, daß der Enkel eines Betroffenen, Herr Spielberg, einen nicht so grandiosen Film wie „Schindler's Liste“ machen mußte, damit die Enkel hier in Deutschland sagen können: Ach, wir hatten das wirklich? Und ich meine: Auschwitz war ja viel, viel grausamer. Ich habe in der Zwischenzeit sehr viele Dokumentarfilme gesehen, russische, englische. Und ich habe auch genug Freunde, deren Verwandte umgebracht worden sind. Mein erster Mann, Kurt Hirsch, hat 16 Verwandte in Auschwitz verloren. Heute läuft das natürlich auf jedem Sender.
Der Liedermacher Klaus Hoffmann hat gesagt, die Knef sei „ein altersloser Mensch“.
Das von sich selber zu sagen, ist eine Herausforderung ans Schicksal. Man kann nur hoffen, daß man genug Kraft behält, was natürlich auch mit Gesundheit zu tun hat, die nach 61 Operationen ja manchmal ziemlich in Frage gestellt war – daß man wirklich noch weiterarbeiten kann mit der Intensität, die man dringend benötigt für jede halbwegs kreative Arbeit.
Sie schreiben weiter?
Ja, aber dazu gehört diese unglaubliche Selbstdisziplin. Ich sage immer: Wenn Isherwood nicht schon geschrieben hätte „I am a camera“, würde ich genau das schreiben. Ich kuck eigentlich immer lieber zu, auch manchmal mir selber.
Schreiben ist Ihnen die liebste Ihrer drei Karrieren?
Wenn der letzte Satz raus ist, wenn ich „Ende“ drunterschreiben kann – dann ja.
Interview: Thomas Groß
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