: Aufschwung 96 mindestens in Japan?
■ Börsenhoch, mehr Gewinne und mehr Arbeitslose
Tokio (taz) – Für einmal waren Japans Konzernlenker mit der Politik zufrieden. Der sonst eher zurückhaltende Arbeitgeberpräsident Shoichiro Toyoda, Chef des Automobilherstellers Toyota, lobte die „aktive Politik“ des neugekürten Oppositionschef im Tokioter Parlament, Ichiro Ozawa. Der Meisterstratege japanischer Politik, der am Donnerstag offiziell die Führung der oppositionellen Fortschrittspartei übernahm, versprach dem Land daraufhin ein neues Jahr, „in dem sich die Politik der Regierung und der Opposition klar voneinander unterscheiden werden“. Der Tokioter Börsenindex Nikkei hatte am Vortag seinen Jahreshöchststand erreicht.
Ozawas kompromißlose Reformideen – er verspricht eine drastische Steuerreform und weitgehende Deregulierungsmaßnahmen, die vor allem großen Unternehmen helfen – könnten Japan die seit langem herbeigesehnte neue Perspektive geben. Seit fünf Jahren verzeichnet die zweitgrößte Wirtschaftsmacht nur noch Nullwachstum, und 1995 markierte das Stimmungstief. Vom Erdbeben in Kobe über die große Bankenkrise des Sommers bis zu dem Schnellbrüterunglück im Dezember schien die japanische Wirtschaft vom Pech verfolgt.
Nach der japanischen Tradition beginnt das Leben an jedem Neujahrstag neu. Und das heraufziehende Neujahr sandte umjubelte Vorboten: Um 1,3 Prozent wuchs die Industrieproduktion im November. Gleichzeitig stieg erstmals seit 1991 der Umsatz der Kaufhäusern im November wieder an.
„Das Anziehen der Industrieproduktion legt einen Aufschwung im nächsten Jahr nahe“, kommentierte Tetsufumi Yamakawa, Chefvolkswirt beim US-Wertpapierhaus Goldman Sachs in Tokio, die Neujahrslage. Toru Oshiro, Volkswirt beim japanischen Wertpapierhaus Yamaichi in Tokio, war in seinem Urteil etwas vorsichtiger: „Die Wirtschaft kommt dem Aufschwung langsam, aber sicher näher, doch ist es noch zu früh ist, um einen klaren Aufwärtstrend festzustellen“, sagte Oshiro.
International hegen die Ökonomen große Erwartungen an Japans Abschneiden im kommenden Jahr: Gerade weil der Aufschwung in Japan Jahr für Jahr vorausgesagt wurde und nie eintrat, glauben viele, daß es nun endlich soweit ist. Im Zeichen sinkender Wachstumsprognosen für die USA und Europa haben ausländische Investoren in den vergangenen sechs Monaten 43 Milliarden Mark an der Tokioter Börse investiert, mit ein Grund weshalb der Nikkei-Index jetzt ein gutes Drittel über seinen Tiefstwerten von 1995 liegt.
Eine Reihe von Gründen sprechen dafür, daß die „Bullen“ diesmal recht haben:
– nicht nur die Regierung, sondern auch private Institute sagen für 1996 ein Wirtschaftswachstum um zwei Prozent voraus;
– die Unternehmen des Landes konnten nach Jahren niedriger Gewinne ihre Profite zwischen April und September um ansehnliche 30 Prozent steigern;
– seit den gemeinsamen Interventionen der japanischen und amerikanischen Notenbank im Sommer hat sich der Yen auf einen Dollarkurs von 100 Yen eingependelt und liegt damit weit unter dem im Frühjahr erreichten Höchstand von 79 Yen. Insbesondere die Stabilisierung an der Währungsfront hat den japanischen Unternehmen in den vergangenen Monaten höhere Gewinne ermöglicht.
Der erschreckendste und gleichzeitig vielsagendste Anzeiger für die wirtschaftliche Wende ist freilich die gestiegende Zahl der Arbeitslosen in Japan. Mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent, die nach europäischen Berechnungsmaßstäben zwischen fünf und sechs Prozent liegen würde, registrierte Japan im November die höchste Arbeitslosenzahl seit 1953. Dabei entspricht diese Ergebnis durchaus dem Börsenhoch: Es zeigt nämlich an, daß Japans Firmen erstmals seit Beginn der Krise ernsthaft zum Mittel des Stellenabbaus greifen. Die Börse quittiert das positiv.
Das japanische Durchhalterezept für die Krise gerät damit freilich ins Wanken: Kern der Regierungspolitik war nämlich gewesen, daß die großen Firmen auf administrativen Weg zum Erhalt des Prinzips der lebenslangen Beschäftigung gezwungen wurden, während kleinere Firmen von der Regierung Beschäftigungszuwendungen gezahlt bekamen. So stieg die Arbeitslosigkeit in Japan trotz der langjährigen Krise nicht drastisch an. Erst jetzt wollen die Unternehmen diesen Weg nicht länger einhalten: Sie kürzen Arbeitsplätze auch ohne Zustimmung der Behörden, eine Praxis, unter der Japans sozialer Konsens dauerhaften Schaden zu nehmen droht.
Insofern kommt es also ganz auf den Standpunkt an, wie gut man in Japan heute die Aussichten für 1996 beurteilt. Georg Blume
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