■ Zensur im Internet? Nein. Aber deswegen ist das Internet noch keine demokratische Kommunikationsgesellschaft: Wie im wirklichen Leben
Jetzt haben wir angeblich den ersten Fall von massiver Zensur im sonst ach so anarchischen Internet. Die Münchener Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen die Verbreitung von Kinderpornographie eingeleitet. Das ist wahrlich keine Zensur, sondern es geht um die Verhinderung von Straftaten nach §184 StGB. Danach ist die Verbreitung von harter Pornographie verboten. Der US-Datenhändler CompuServe hat daraufhin freiwillig mit Selbstzensur reagiert und 200 Diskussionsforen im Internet gesperrt. Das ist nun tatsächlich Zensur. Aber eigentlich geht es um mehr: Für den kommerziellen Anbieter zum Beispiel um einen Test, den Zugriff auf das Netz zu regulieren. Deutschland ist Entwicklungsland im Reich der Netze, ein Meer trennt es vom Kern der „Netz- Community“ in den USA, deren Sturm der Entrüstung die erwarteten Wellen geschlagen hat. Und es gibt noch eine extra pikante Note: In der US-amerikanischen Debatte wird Zensur in Deutschland gern mit der deutschen Geschichte erklärt. Im Gegensatz zu dieser autoritären Nation verkrafte eine langjährige, funktionierende Demokratie wie die USA grenzenlose Meinungsfreiheit spielend, meinte beispielsweise der Chefkommentator der Zeitschrift Village Voice. Diese Diskussion entzündete sich schon am Leugnen des Holocaust, das in den USA im Rahmen der Meinungfreiheit verfassungsmäßig erlaubt ist.
Eher nebenher hat die Aktion von CompuServe diesen erzlibertären Standard von Meinungsfreiheit aus den USA direkt nach Deutschland geschwappt. Direkt konfrontiert sind wir aber auch mit der ebenso speziellen US-amerikanischen Prüderie: CompuServe hat nicht nur Kinderpornos zensiert, sondern gleich alles, was mit Sex zu tun hat. Dazu gehören auch Foren von Lesben und Schwulen sowie solchen, die sich für Opfer sexueller Diskriminierung einsetzen.
Genau dies führen Bürgerrechtsgruppen in den USA gegen die Zensur ins Feld. Das Beispiel CompuServe belegt ihre These, nach der jede Zensur nach hinten losgehen muß. Ihr Widerstand richtet sich vor allem gegen das in den USA geplante „Anstandsgesetz für die Kommunikation“. Unter dem in diesem Gesetz vorgesehenen Begriff „unanständige Äußerungen“ könnten Moralapostel auch Berichte über sexuelle Gewalt, Zwangsprostitution oder etwa die Massenvergewaltigungen in Bosnien zensieren lassen. Für den Fall, daß das Gesetz durchkommt, haben Menschenrechtsgruppen bereits eine Klage vorbereitet.
Ihre Vorsorge ist klug und einsichtig. Gerade sonst unterrepräsentierte Gruppen nutzen die neuen Möglichkeiten des Internet, um ihre Informationen zu verbreiten. Und besonders die laufen Gefahr, der Zensur zum Opfer zu fallen. Viele dieser offensiven Netz- UserInnen bleiben allerdings nicht stehen bei der verständlichen Empörung gegenüber dieser Form von Zensur. Für sie bedeutet das Internet viel mehr: eine grundlegend demokratische Kommunikationsgesellschaft, die mitunter sogar zu einer Art Ersatzutopie für gesellschaftliche Veränderungen wird. Und da fängt es an, problematisch zu werden.
Nadine Strossen, Professorin an der New York Law School, vertritt beispielsweise die Aufassung, daß das Netz die Partizipationsmöglichkeiten von Frauen an der Regierung erweitere und Wege biete, traditionelle Geschlechterrollen zu durchbrechen. Der leichte Zugang zu sexuellen Themen im Cyberspace erweitere die Freiheit von Frauen. Auch seien Frauen vor dem Bildschirm auf jeden Fall sicherer vor Belästigungen als auf der Straße, und die technisch erzeugten pornographischen Bilder im Internet würden sogar in Zukunft die Zahl der Frauen verringern, die „live“ für Pornofilme posieren müssen.
Im Gegensatz zu diesem Unsinn ist die Faszination des Internet für die UserInnen durchaus nachvollziehbar. Wie jedes neue Medium wird das Internet von den einen verteufelt und weckt in den anderen den alten Traum von der demokratischen Kommunikation, die soziale Ungleichheiten beseitigen könne. Doch die Glorifizierung der anarchischen Netzgemeinschaft verdrängt mitunter jeden Realitätssinn. Das zeigen einige Reaktionen auf die Aktion von CompuServe. Es beweise die Macht des Netzes, daß die Herrschenden aus lauter Angst vor den Meinungen der BürgerInnen Zensur praktizieren, schrieb eine Userin im Netz.
Daß CompuServe die kommerzielle Zweckentfremdung des Internet probt, fällt bei allem Zensur- Geschrei unter den Tisch. Denn die Netz-Ideologie aus der euphorischen Anfangszeit hat sich überholt. Wenn die UserInnen erst Gebühren bezahlen müssen, dann werden knallharte Marktkriterien die Informationen regeln. Um die Anteile an diesem Markt tobt schon seit Jahren der Kampf von Unternehmen wie zum Beispiel CompuServe.
Die Geschäftsinteressen spielen im Augenblick ebensowenig eine Rolle wie die Tatsache, daß die jetzt so hochgelobte „Netz-Community“ gar nicht so egalitär ist, wie behauptet wird. Das zeigt die sogenannte „Netiquette“ – das sind die internen Regeln im Netz. Diese sogenannte Ethik der Netzgemeinschaft führt zum Beispiel dazu, daß „Schweinkram“ aus dem Netz verschwindet, meinte der Medienphilosoph Mike Sandbothe vorgestern in dieser Zeitung. Das System regelt sich also angeblich selbst. Leute, die Pornos publizierten, so Sandbothe, seien mit Protestschreiben zugemüllt worden, wodurch ihr Internet-Zugang blockiert wurde. Bravo. Aber genauso kann es innerhalb eines Diskussionsforums die Regel geben, daß jemand ausgeschlossen wird, der für das Recht auf Abtreibung eintritt. Christian Huitema, Präsident des Internet Architecture Board, meint dazu: „Wie in jeder anarchistischen Gesellschaft hat sich im Internet eine Aristokratie gebildet, die aus denen besteht, die sich am meisten um das Netz verdient gemacht haben. Wir sind gegen Könige und Präsidenten, aber auch gegen Abstimmungen, denn sie könnten zu willkürlichen Entscheidungen führen.“
In dieser oligarchischen Gemeinschaft gibt es also durchaus schon Zensur, nur eben nach den unausgesprochenen Regeln der Mehrheit der NetzteilnehmerInnen. Davon leben 71 Prozent in den USA, sind 90 Prozent weiße Männer im Alter von 26 bis 35 Jahren, meist mit Hochschulabschluß und überdurchschnittlichem Einkommen. Das Netz ist also nicht besser als das wirkliche Leben. Was Frauen- und Minderheitenrechte angeht, sogar schlechter. Karin Gabbert
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