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Wiedergeburt in Müll

■ Museum für Kunst und Gewerbe zeigt Michaelis Arfaras

Ein Wesen aus Bügeln, einem Plastikhuhn, Wattestäbchen, Wäscheklammern, Löffel, Gabel, Lederresten und Elektroteilen schwebt über einem Monitor mit schattenhaft fledermausähnlichem Flügelpaar: Ein altes Monster hat sich aus der Elektronik erhoben und in Restmüll materialisiert. „Verstummte Sirene oder Schlaf der Vernunft“ heißt diese Collage-Installation von Michalis Arfaras. Der Professor für Graphik und Trickfilm in Hildesheim appelliert damit zugleich an Erinnerungen an antike Mittlerwesen zwischen Gott und Mensch, an mittelalterlich umdefinierte böse Versucherinnen und an neuzeitlich-aufklärerische, ambivalente Symbolik bei Goya.

Nach dem Pierides Museum für Gegenwartskunst in Athen zeigt jetzt das Museum für Kunst und Gewerbe diese und viele andere aus Müll recycelten Götter, Halbgötter und Heroen als Sendboten vergessener Räume, wie der Ausstel-lungstitel die Figurinen nennt. Eine „Attributreiche Nachbildung der Großen Mutter aus dem bioelektrischen Zeitalter“ mit überreichen Schnullerbrüsten gebiert Piktogramme, und ein „Kreuzförmiges Doppelidol, frühelektrische Epoche“ zeigt Mutter und Kind sich gegenseitig haltend, während im Zentrum des so entstehenden Kreuzes sich Technik seltsam manifestiert.

Arfaras macht sich in seinen Objekttiteln beiläufig über den archäologischen Klassifizierungswahn lustig, verbindet aber vor allem Müll und Mythos zu ironischer Zivilisationskritik. Sehr zeitgemäß erscheinen die Sinnbilder letzlich sinnloser Aufbrüche, wie die zerbrechliche Ikarusmaschine oder das leckgeschlagene Schiff der Argonauten. „Im vorigen Jahrhundert war der Künstler der Dädalus, der heroische Erbauer von Welten. Heute ist der Künstler der scheiternde Ikarus. Doch ich bin kein Pessimist, ich setze auf die Phantasie des Menschen, das wäre mein positiver Aspekt“, sagt Arfaras.

Es geht ihm dabei um anthropologische Konstanten, um die im Hintergrund der Kultur immer schwebend präsenten Vorstellungen, die sich im Jahrtausende alten Kykladenidol genauso personifizieren wie in einer Kunstfigur von Arfaras. Innerhalb des Kunstkontextes bezieht er sich auf die durch Picasso, Miro und dada durchgesetzte Anverwandlung simpler Materialien und in weitestem Sinne auf die Gedankensysteme der Antike. Der 41jährige Athener ist aufgewachsen mit der byzantischen religiösen Erziehung, aber in einem Land, das seine alten Götter nie ganz vergessen hat. „Ich habe keine Angst, mich beschützt der tote Gott der Hellenen“, sagt er in einem seiner Gedichte. So brauchte Arfaras, obwohl er schon lange in Deutschland lebt, kein akademischer Forscher zu werden, sondern benutzt sein mythisches Wissen mit weisem Humor.

Hajo Schiff

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