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■ Aus Siegen lernen oder lieber schön verlieren? Die Linken bei den Grünen müssen lernen, Mehrheiten zu organisierenEin zwei, viele linke Lager

Die Entscheidung für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik auf der Bremer Bundesversammlung von Bündnis 90/Die Grünen war ein Sieg der Parteilinken. In einer für sie einmalig günstigen Situation haben die Realos lediglich eine beachtliche Minderheit für sich organisieren können. Anders als etwa bei der Entscheidung über das Asylrecht hatten in diesem Falle die linken Positionen in der Partei nicht das moralische Gefühl hinter sich, sondern eigentlich alles gegen sich. Wo die Rollenverteilung sonst lautet: linke Prinzipien gegen realitätstüchtige Politikfähigkeit, argumentierte hier die Linke realitätsbezogen, während den Realos von der Gewaltfreiheit bis zur Solidarität keine Sprechblase groß genug war ...

Anders als die von der machohaften Variante grüner Politik vorgesäuselten Allmachtsphantasien suggerieren, werden auch absolute Mehrheiten von Grünen in absehbarer Zeit leider weder die kriegerischen Auseinandersetzungen im Kaukasus noch den Völkermord in Kurdistan verhindern können.

Die Realos bei Bündnis 90/Die Grünen drängen, die Bosnien-Debatte macht das sehr deutlich, primär auf eine Kurskorrektur hin zum Mainstream deutscher Politik. Erst sekundär ging es um die Problematik, wie grüne Politik einen Beitrag zur Verhinderung von Völkermord leisten kann. Daß diese Zeichensetzung im Bundestag gelingen konnte, ist nicht nur der dreisten Arroganz der FreundInnen von den Realos geschuldet. Es hatte seine Ursachen vor allem in der Uneinigkeit der linken Strömungen und dem Umstand, daß das Ja zur Politik der Bundesregierung zu einer Gewissensfrage hochstilisiert wurde.

Bei allem Respekt vor dem Gewissen von Parteifreundinnen sei hier die Frage erlaubt, wie sich wohl die lautesten Verfechter des freien Mandats unter den Bedingungen einer Koalition verhalten würden.

Der Parteitag in Bremen hat gezeigt: Es gab nicht die Parteilinke, es gab mindestens zwei. Eine sich konzeptionell definierende und eine prinzipielle. Diese sind zwar vielfältig kommunikations-, aber kaum noch gemeinsam handlungsfähig. Das schlug sich nicht nur in den unterschiedlichen Anträgen nieder, es zeigte sich auch im taktischen Vorgehen vor, auf und nach dem Parteitag.

Während die Realos, patriarchalisch geschlossen, nur einen Antrag vorlegten, zersplitterte sich die Parteilinke in mehreren Anträgen, war nicht in der Lage, einheitlich zu agieren, und schwankte nach dem Parteitag zwischen fundamentalistischer Empörung über den „Verrat“ der Fraktion und nicht minder moralischem Verständnis für die Nöte einzelner Abgeordneter. Die nach wie vor im strikten Lagerdenken des Ihr und Wir verhafteten Realos begriffen dies als Signal durchzuzocken, da sie bei ihrem Bretterkurs angesichts der Uneinigkeit in der Linken keine Absprünge in den eigenen Reihen befürchten mußten. Obwohl es natürlich auch nicht die Realo-Strömung gibt.

Diesen Zustand zu beheben wird weder mit Einheitsappellen noch mit der Übernahme des patriarchalischen Konsensmodells der Realos möglich sein. Notwendig ist vielmehr, sich den Widersprüchen innerhalb der Linken zu stellen.

Dies wird um so nötiger sein, als die in ganz Europa zu beobachtende Renaissance traditioneller, harter Themen Bündnis 90/Die Grünen vor neue Herausforderungen stellt. Die Linke steht angesichts des Trommelfeuers der Standortapologeten und Entsolidarisierer vor der Aufgabe, einer weiteren Desintegration der Gesellschaft zu begegnen, ohne traditionalistisch oder fundamentalistisch zu werden. Dies weniger, weil Traditionen an sich schlecht sind. Und an der Unsitte, konsequente oppositionelle Haltungen als fundamentalistisch zu diffamieren, wollten wir uns nicht beteiligen. Aber eines haben der Neotraditionalismus wie der Neofundamentalismus gemeinsam: die Inszenierung der politischen Niederlage als Beweis der Richtigkeit ihrer Position. Diesen Luxus können wir uns nicht mehr leisten.

Wer die Umwandlung der deutschen Demokratie zum Standort verhindern will, der muß Mehrheiten für eine andere Politik organisieren. Es kann passieren, daß die Bundesregierung zwar nicht bis 1998 kommt. Es kann aber sehr wohl sein, daß Grüne weiter in der Opposition sitzen. Wenn in Europa große Koalitionen (Niederlande, Österreich, Schweiz et cetera) oder aber konservativ-neoliberale Regierungen zur einzigen Alternative werden, dann hat eine ökologische, radikaldemokratische Politik nur noch eine Nischenposition.

So umfassend die Offensive der Standortapologeten, der Deregulierer und Umverteiler ist, so falsch wäre es, dagegen in eine bloße Verteidigungshaltung zu fallen. Gerade wegen der erreichten ideologischen Geländegewinne der Gegenseite ist Stillstand gleich Rückschritt. Die Verteidigung sozialer Rechte ist notwenig, aber nicht hinreichend.

Es geht darum, den Diskurs der Umverteilung nach oben zu wenden. Das wird zu heftigen Kontroversen in der Gesellschaft führen, weil es dabei um handfeste soziale Interessen geht. Will man hierfür Mehrheiten organisieren, muß den für eine Mehrheitsbildung notwendigen Mittelklassen der Vorteil klar sein, den sie davon haben, eben nicht auf die Durchsetzung ihrer Interessen mit dem Ellenbogen zu setzen. Dies wird weder durch Sedativa noch durch abstrakten Katastrophismus möglich sein.

Dieses sind aber die Rezepte der Realos und Neofundis in der Partei. Die ersten reden den Verteilungsspielraum klein, weil sie richtig erkennen, daß das Maß der Belastung in den Mittelklassen (einem Teil unserer Wählerschaft) an den Grenzen des Erträglichen ist, aber sie sich mit den wirklich Mächtigen und Reichen nicht anlegen wollen/können. Die Neofundis erschrecken die Mittelklassen mit dem Schreckensgemälde, wohin für sie perspektivisch eine deregulierte Dreifünftelgesellschaft mit steigender Armut, Kriminalität und autoritärem Staat führt samt der Gefahr des Abstiegs in die unteren zwei Fünftel. Dabei übersehen sie, daß in der individualisierten Gesellschaft von heute die Reaktion auf den Horror üblicherweise im „Rette sich, wer kann!“ und nicht in solidarischem Handeln liegt.

Hiergegen gilt es eine politische Alternative zu formulieren, der das, was wir mit dem ökologisch- sozialen Gesellschaftsvertrag schlagwortartig benannt haben in ein realisierbares politisches Projekt umsetzt. Jürgen Trittin

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