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■ StandbildVertriebenenpoesie

„Vertriebene“, Sonntag, 22.15 Uhr, WDR

„In dieser Straße wohnen Waltraud und Erich“, sagt der Sprecher, „sie sind hier zu Hause.“ Waltraud und Erich treten vor ihre Haustür, fühlen sich vor dem Fernsehteam alles andere als zu Hause und gehen angststeif, von den Fäden der Regie gezogen, zu ihrem Auto.

„Von den Einheimischen sind sie kaum zu unterscheiden“, fährt der Kommentator fort und überzieht den traurigen Anblick des verkrampften Ehepaars mit einer tragisch-geheimnisvollen Patina. Waltraud und Erich sind keine Mutanten, auch wenn die unzarten Intervieweinstellungen das Paar zwischen Sofakuscheltieren und vor Wandteppichen mit lurigen Hirschen gelegentlich so aussehen läßt. Sie kommen nicht aus dem All, sondern aus Masuren. Das ist zwar viel hübscher als ein fremder Himmelskörper, aber scheinbar ebenso weit weg.

Dort, vor den Kirchtürmen, wiegen sich die Wiesenhalme sanft im Gleichtakt zur harten Feldarbeit. Eine zurechtgefilmte Einigkeit von Gott, Mensch und Scholle, mit der die Doku von Ulla Lachauer ganz nebenbei eine nationalreligiöse Berufung Polens herleitet, mit der es auch in Zeiten staatlich verordneter Gottlosigkeit aller Barbarei still zu trotzen wußte.

Lachauer gestaltet ihre Reportage über die Vertriebenen als gemütliche Zeitreise. Sie besucht die Polen Janina und Zygmut, die nach dem Krieg in Erichs Elternhaus einzogen. Sie spricht mit Juchim und Wassil, den einstigen Nachbarn der Polen, und nach ein paar Minuten lassen sich all die Vertriebenenschicksale, all die pittoresk-maroden Gartenzäune, all die urigen Waschbretter und Bauersfrauen kaum noch auseinanderhalten. Und wenn die Interviewten sich mal verheddern, nicht recht wissen, ob ihr Schicksal auf Stalins oder Hitlers Konto ging, oder es mal an Mitgefühl für Schicksalsverwandte hapert, nimmt Lachauer sie alle in den Arm, den Exnazi wie den einstigen Feudalherrn, und verbrüdert sie mit warmen Weisheiten.

Der Film arbeitet mit schlichten Antagonismen und reduziert den Konflikt zwischen Heimat und Fremdheit auf griffige Konstellationen. Erich und Waltraud bedröppelt auf ihrer Hollywoodschaukel, das Bauernpaar in Masuren harmonisch bei der Gartenarbeit. Das tägliche Brot aus dem Supermarkt. Selbstgebackenes in derben Landwirtshänden. Geschichten wie aus dem Poesiealbum. Birgit Glombitza

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