: Reform im Zentrum der Macht
Die japanische Regierungskoalition plant das bisher Undenkbare: Das seit 1869 unantastbare Finanzministerium soll zerlegt werden ■ Aus Tokio Georg Blume
Unscheinbar und grau steht das japanische Finanzministerium im Herzen des Tokioter Regierungsviertels Kasumigaseki. An seiner Eingangspforte finden sich nur drei in Stein gehauene, kaum lesbare Schriftzeichen. Wörtlich übersetzt heißen sie: „Ministerium des großen Reislagers“ (Okuracho). Diesem alten Sprachgebrauch folgen die JapanerInnen noch heute bei der Bezeichnung ihrer mächtigsten Regierungsinstitution. So unangetastet von aller Kritik und ausländischen Einflüssen war das Okuracho bisher, daß nicht einmal ein englisches Namensschild – wie sonst an jedem Ministerium in Tokio üblich – den Sitz des Zentrums der japanischen Bürokratie ausweist.
Doch mit der ungestörten Machtausübung, die dem japanischen Finanzministerium den Ruf der einflußreichsten Behörde in der industrialisierten Welt eintrug, ist es nun ein für allemal vorbei. Gestern trafen sich die Generalsekretäre der drei Koalitionsparteien in Tokio, um das bisher Undenkbare zu beraten: die Reform und Auflösung von Japans ältestem und angesehenstem Ministerium. „Die Regierung wird ein Projektteam für den Umbau des Finanzministeriums einsetzen und noch in der andauernden Sitzungsperiode des Parlaments ein entsprechendes Gesetz vorlegen,“ kündigte Yukio Hatoyama, Generalsekretär des kleinen Koalitionspartners „Pioniere“ an.
Das würde bedeuten, daß sich Japans oberste Finanzbeamte noch in diesem Jahr unter verschiedenen Dächern wiederfinden könnten. In diese Richtung denkt auch der größere Koalitionspartner, die Liberaldemokratische Partei (LDP): Drei unabhängige Regierungsagenturen sollen nach den Vorstellungen von LDP-Generalsekretär Koichi Kato in Zukunft über Banken, Börse und die internationale Finanzindustrie wachen.
Das verkleinerte Finanzministerium wäre dann noch für die Aufstellung des Staatshaushalts, die Einsammlung der Steuern und die Zentralbank zuständig. „Bank-, Börsen- und internationale Finanzaufsicht sollten nach Osaka wechseln. Dann wäre Osaka die Stadt der Wirtschaft und Tokio die Stadt der Politik – wie Washington in den USA“, präzisierte Kato seine Vorschläge.
Bisher war der oberste japanische Finanzbeamte in Tokio für Staatshaushalt, Zentralbank und die private Finanzindustrie allein verantwortlich – eine Macht- und Aufgabenhäufung, die als ein Auslöser der andauernden Wirtschaftskrise in Japan inzwischen allgemein anerkannt ist.
Vor allem das Problem der faulen Kredite im Bankwesen, die noch heute mit einer geschätzten Summe von fast 1.000 Milliarden Mark die japanische Volkswirtschaft belasten, geht auf eine Fehleinschätzung des Finanzministeriums zurück. Es erkannte Ende der achtziger Jahre die entstehende Spekulationsblase im Finanzsektor nicht rechtzeitig, weil es von den rasant steigenden Steuereinnahmen unter der Spekulation selbst profitierte.
Andererseits aber verbarg sich hinter dem hundertjährigen Aufstieg des 1869 gegründeten Finanzministeriums, der nur von der Macht der Militärs im Zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde, ein einmalig erfolgreicher Versuch, die Kräfte des Kapitalismus staatlich zu kontrollieren. Nach dem Krieg gelang es den Finanzbeamten, die Sparguthaben der BürgerInnen in strategisch wichtige Industrien umzuleiten und sie so von der ausländischen Konkurrenz zu beschützen. Damit war die Grundlage für Japans eigenständigen Wirtschaftserfolg geschaffen. Das Rezept der Bürokraten funktionierte erst dann nicht mehr, als Japan den Westen in den achtziger Jahren eingeholt hatte. Plötzlich fehlte den Beamten das westliche Vorbild, um eine sichere Wahl der Zukunftsindustrien zu treffen. Zudem waren die meisten japanischen Unternehmen im Zuge der Globalisierung der staatlichen Obhut entwachsen.
An der Entschlossenheit der japanischen Koalitionsparteien, die Machtfülle des Finanzministeriums aufzubrechen, darf noch aus anderen Gründen nicht gezweifelt werden: Da im neuen Staatshaushalt Steuergelder für den Abbau von faulen Krediten im Bankwesen vorgesehen sind, benötigt die Regierung dringend einen Sündenbock für die verfehlte Finanzpolitik der vergangenen Jahre.
Da trifft es sich gut, daß die über Jahrzehnte untadelig funktionierende Institution im letzten Jahr durch hausgemachte Affären auffiel: Ein Spitzenbeamter mußte wegen seiner dubiosen Kontakte zur Privatwirtschaft vorzeitig in den Ruhestand entlassen werden – ein in Japan bis dahin undenkbarer Präzedenzfall. Premierminister Ryutaro Hashimoto aber kommt der öffentliche Ärger über die Beamtenschaft gerade recht: Sonst stände er als ehemaliger Finanzminister womöglich selbst im Zentrum der Kritik.
Das Vorhaben seiner Regierung erscheint dennoch vielen als unrealistisch. „Das Okuracho ist der wichtigste Kern der japanischen Machtstruktur und hat sich 50 Jahre lang nicht bewegt. Deshalb glaubt keine der Regierungsparteien, daß eine Reform einfach ist,“ räumt LDP-Generalsekretär Kato ein.
Dabei geht es um viel mehr als eine transparentere japanische Finanzpolitik, wie sie sich vor allem die Anleger aus dem Ausland wünschen. Die Reform des Finanzministeriums sei „der Schlüssel zu einer neuen Politik fürs nächste Jahrhundert“, meint Seiichiro Saito von der Rikkyo-Universität. Es gehe um die schlichte Frage, wer Japan regiert: Ein „großes altes Ministerium“ oder die demokratisch gewählten PolitikerInnen.
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