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Plazebowirkung und Langzeitschäden

Mit Heilungsversprechen werden Patienten in radioaktive Bergwerkstollen gelockt  ■ Von Klemens Lange

Radioaktivität ist „biopositiv“. Sie ist entzündungshemmend, steigert die körpereigenen Abwehrkräfte und wirkt schmerzlindernd. Diese These, gültig allerdings nur für sehr niedrige Dosen, ist Grundlage der Radonbalneologie, einem Zweig der Heilquellenkunde.

In Kurorten wie Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz oder Badgastein in Österreich pilgern Rheumapatienten oder an der Wirbelsäule Erkrankte jeden Tag in den „Heilstollen“, um die dortigen „Heilkräfte der Natur“, die radonhaltige Luft, zu atmen.

Radon ist ein radioaktives Edelgas, das in der Natur vorkommt. Es löst sich im Grundwasser, das durch radonhaltige Gesteine fließt, tritt als Gas aus dem Boden aus und sammelt sich in Höhlen und Bergwerkstollen, die sich in diesen Gesteinen befinden. Trink- und Badekuren mit dem Wasser aus den radonhaltigen und radioaktiven Heilquellen sind ebenfalls im Angebot der Kurorte.

Die Aktivität der Heilstollenluft ist erheblich: Über 100.000 radioaktive Zerfälle werden pro Sekunde in einem Kubikmeter gezählt. Zum Vergleich: Im radioaktiv belasteten Erzgebirge sind es etwa 100, an der Nordsee lediglich zwei. Da die Patienten sich nur einige Stunden im Jahr der Radontherapie unterziehen, ist die zusätzliche Dosis nicht besonders hoch, führt aber in etwa zu einer Verdopplung der jährlichen Strahlendosis. Viele Patienten kommen schon seit Jahren in die Radonbäder, und die behandelnden Ärzte sind von ihrer Therapie überzeugt. So spricht Peter Deetjen, Professor für Balneologie an der Universität Innsbruck und Aushängeschild des Radonbades Badgastein, auch von einer „Therapie ohne Nebenwirkungen“, die den Patienten Schmerzlinderung verschaffe und mit deren Hilfe die Gabe von Schmerzmitteln reduziert werden könne. Das Urteil von Experten, die nicht am Geschäft mit der Radontherapie beteiligt sind, reicht dagegen von „exotisch“ bis „kriminell“, wenn man sie nach der Radontherapie befragt.

„Viele Medikamente haben Nebenwirkungen, und beim Radon heißt die Nebenwirkung Krebs“, bringt der Marburger Nuklearmediziner Professor Horst Kuni die Position der Kritiker auf den Punkt. „Und Radon gehört zu den wirksamsten krebserzeugenden Substanzen, die wir kennen.“ Kuni, ausgewiesener Experte für die Wirkung niedriger Strahlendosen, widerspricht vehement der Grundfeste der Radonanhänger, die sich von den positiven Wirkungen der Radonstrahlung überzeugt sind und auch von einem Naturheilmittel sprechen. Kunis Meinung ist eindeutig: „Ein Arzt, der Radon anwendet zu vermeintlichen oder tatsächlichen therapeutischen Zwecken, begeht Körperverletzung mit möglicher Todesfolge.“ Bei der Radontherapie handele es sich um „Primitivmedizin“, man schaue nur auf die Wirkung, ohne sich jedoch um die Nebenwirkungen zu kümmern, wie es eigentlich ärztliche Pflicht wäre.

Die Gefährlichkeit des Radon rührt von den ausgesendeten Alphastrahlen her. Sie dringen zwar nur eine sehr kurze Strecke ins Gewebe ein, erzeugen dabei aber erhebliche Schäden in den Zellen. Wie sich Radon und seine Zerfallsprodukte im Körper verhalten, ist unbekannt. Und einen Radon- schwellenwert, unterhalb dessen kein Risiko für Lungenkrebs existiert, gibt es nicht. Dies sagt auch die Strahlenschutzkommission des Bundesumweltministeriums.

Die Ursprünge der Radonbehandlung reichen zurück bis zur Jahrhundertwende. Die damalige Begeisterung auf die neu entdeckte Radioaktivität brachte einige Kurorte auf die Idee, die Heilwirkung ihrer Heilwässer mit ihrer Radioaktivität zu begründen. Bad Kreuznach, Bad Münster, Badgastein und neuerdings wieder einige Orte des Erzgebirges setzen bei der Vermarktung ihrer Kuren bis heute ganz auf die Radon- strahlung. Bad Kreuznach preist seine radioaktive Stollenluft für eine ganze Palette von Erkrankungen an: Arthritis und Arthrosen, Erkrankungen der Wirbelsäule und Gicht, Unterfunktion der Eierstöcke, Beschwerden in den Wechseljahren, Durchblutungsstörungen und selbst bei allergischen Erkrankungen der Atemwege soll die radioaktive Behandlung Linderung bringen.

Dabei ist längst bewiesen, daß es sich bei der Radontherapie um eine Plezebowirkung handelt. Der Münchener Strahlenbiologe Professor Edmund Lengfelder verglich dazu die Heilerfolge des Radonbades Badgastein mit denen des oberitalienischen Thermalbades Abano Terme. Alle Parameter in den Anwendungsräumen, wie Luftfeuchtigkeit oder Temperatur, die Indikationsstellung der therapierbaren Krankheiten als auch die Heilerfolge sind in den beiden Kurorten nahezu identisch. Nur in der Radonkonzentration gibt es erhebliche Unterschiede. Während sich Badgastein mit seinen über 100.000 Bequerel pro Kubikmeter Luft rühmt, sind es im italienischen Thermalstollen lediglich zehn.

„Der staatliche Strahlenschutz ist für die medizinischen Anwendungen nicht zuständig“, erläutert Winfried Meyer vom Bundesamt für Strahlenschutz. Kritiker fordern daher schon seit langem die Genehmigung nach den Arzneimittelgesetz, die es nach wie vor nicht gibt. Eine Genehmigung sei gar nicht nötig, widerspricht Helmut Pratzel, Inhaber eines Lehrstuhls für Balneologie an der Universität München, denn „eine Behörde darf nicht über die richtige Therapie entscheiden. Das ist Aufgabe des Arztes.“

Ein Risiko durch Radon für die Patienten sieht Pratzel nicht. Ganz im Gegenteil: „Die Risikoaspekte sprechen für Radon, denn bisher ist noch kein Krebstod auf die Radontherapie zurückzuführen gewesen. Von den Rheumamedikamenten, die als Alternative in Frage kommen, ist dies aber bekannt.“

Kritiker finden bisher wenig offizielle Unterstützung. Auch einer der obersten Strahlenschützer der Republik, der Direktor des Instituts für Strahlenhygiene am Bundesamt für Strahlenschutz, Professor Werner Burkhart, möchte biopositive Strahlenwirkungen nicht ganz ausschließen. „Radon kann man im weitesten Sinne zu den Naturheilmittel zählen“, erläutert Burkhart, „und wie bei den meisten ist auch immer Giftigkeit dabei, weil sie stimulieren und damit wirksam sind. Aber ein Strahlenschutzproblem ist die Radontherapie nicht.“

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