: Ende einer Erfolgsstory
Wie der Bayer-Konzern in Japan durch sein Stillschweigen im Skandal um HIV-infizierte Blutpräparate seinen guten Ruf verspielte ■ Aus Tokio Georg Blume
Wolfgang Plischke, der Chef von Bayer Yakuhin in Osaka, ist derzeit ein vielbeschäftigter Mann. Am Freitag befand sich der Vorsitzende der pharmazeutischen Japan-Niederlassung des deutschen Bayer-Konzerns in pausenlosen Sitzungen mit den japanischen Anwälten der Firma. Übers Wochenende wollten die Herren in der Tokioter Bayer-Zentrale beraten, wie sich das ramponierte Image des Konzerns in Japan noch retten läßt. Kein einfaches Unterfangen, nachdem Bayer in den letzten Tagen unversehens ins Zentrum des japanischen Bluter-Skandals rückte.
Dabei kam es so, wie es kommen mußte. Zehn Jahre des unerbittlichen Stillschweigens unter den Bayer-Verantwortlichen in Osaka, Tokio und Leverkusen sorgen jetzt dafür, daß der deutsche Konzern mit dem Schwarzen Peter in der Hand vor der entrüsteten japanischen Öffentlichkeit steht. Nur noch Bayer und der US-Konzern Baxter wehrten sich am Freitag gegen einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag, der der größten Medikamentenkatastrophe in der japanischen Geschichte ein leidliches Ende bescheren würde.
Angst vor dem moralischen Offenbarungseid
Dabei dauert der Prozeß, den 400 HIV-infizierte Bluter seit 1989 in Tokio und Osaka gegen Bayer, vier weitere Konzerne und die japanische Regierung führen, schon sieben Jahre zu lange. Von den 2.000 Blutern, die sich durch das Verschulden von Firmen und Behörden zwischen 1983 und 1985 mit dem Aidsvirus infizierten, sind heute bereits 400 verstorben. Jeden fünften Tag stirbt ein weiteres Opfer, ohne in den Genuß der für alle Betroffenen angestrebten Vergleichslösung zu kommen.
Dennoch zögert Bayer, mit gutem Grund. „Der Vorwurf, Bayer Yakuhin sei mitverantwortlich für HIV-Infektionen durch Blutplasmaprodukte, ist nicht begründet“, heißt es in einer Stellungnahme aus Leverkusen vom Donnerstag. Dagegen verlangt der letzte und nicht mehr verhandelbare Vergleichsvorschlag, den die Gerichte von Tokio und Osaka ebenfalls am Donnerstag vorlegten, einen Offenbarungseid der Bayer-Chefs: „Die Angeklagten, nämlich Staat und Unternehmen, sollen die gemeinsame Verantwortung übernehmen, die riesigen durch die Infizierung entstandenen physischen und psychischen Schäden wiedergutzumachen“, schrieben die Tokioter Richter. Noch deutlicher wollte es das Gericht in Osaka wissen: „Wir verlangen von den Angeklagten, die die Verantwortung tragen, den Opfern zu helfen und ihre Probleme zu lösen, und zwar mit einer tiefen Selbstkritik und dem Willen, ähnliche Schäden durch Medikamente in Zukunft zu verhindern.“ Wer den Duktus japanischer Rechtsprechung kennt, versteht die Drohung: Stimmen die Angeklagten dem Vergleich nicht zu, drohen ihnen harte Strafen.
Doch auch bei Annahme des Vergleichs, über den das Unternehmen in der kommenden Woche entscheiden muß, türmen sich für Bayer neue Probleme auf: Wie ließe sich dann den amerikanischen Bluter-Opfern eine ähnliche Entschädigung weiterhin vorenthalten? Dabei hatte Bayer in den USA bisher sämtliche Prozesse in gleicher Sache gewonnen.
In Japan hatte erst eine beispiellose Aufklärungskampagne in Presse und Parlament dafür gesorgt, daß die Verantwortlichen zur Rede gestellt wurden. Mitte Februar gestand das Tokioter Gesundheitsministerium schließlich seinen Teil der Schuld ein. Behörden und Firmen waren sich der Aidsgefahr für die Bluter-Patienten bewußt gewesen. Die US-Regierung hatte bereits im Frühjahr 1983 unbehandelte Blutpräparate aus dem Verkehr gezogen – die japanische Regierung reagierte erst zwei Jahre später.
Für Bayer erwies sich dieser Zeitraum als ein Eldorado im Blutgeschäft: Blutprodukte, die sich in den USA und Europa bereits nicht mehr verkaufen ließen, gingen in Japan noch zu Höchstpreisen über den Ladentisch. Für ein Blutprodukt, das 1985 in den USA 12.500 Yen kostete, bezahlte man in Japan 24.000 Yen. Tatsächlich bestreitet Bayer Yakuhin heute nicht, daß man mit der tödlichen Ware damals äußerst gut verdient habe. Doch habe Bayer stets „in Einklang mit bestehenden Vorschriften und dem Stand der Technik entsprechend gehandelt“.
Letzteres bezweifelt inzwischen auch die Tokioter Staatsanwaltschaft, die eine Sondereinheit zur kriminellen Untersuchung des Bluter-Skandals gebildet hat. Im Zentrum der Untersuchungen steht Professor Takeshi Abe, der als Leiter der Aidsforschungsgruppe im Gesundheitsministerium zwischen 1983 und 1985 die rechtzeitige Einführung behandelter Blutprodukte nach Japan verhinderte. Gegen Abe läuft ein Mordverfahren, weil er einem Patienten noch im Sommer 1985 unbehandeltes Blut verabreichte.
Nun vermutet die Tokioter Staatsanwaltschaft, daß Abe in stiller Übereinkunft mit den Herstellern der Blutprodukte handelte, darunter auch Bayer Yakuhin. Die fünf fraglichen Firmen hatten Abe 1984 jeweils 10 Millionen Yen für seine private Stiftung gespendet.
Das berühmte Aspirin hilft heute auch nicht mehr
Je länger diese Nachforschungen dauern werden, desto klarer erscheint vorab schon ein Ergebnis: Bayer wird in Japan weiterhin für Schlagzeilen sorgen. „Unser Unternehmen könnte seine Erfolgsstory in Japan verlieren“, sorgte sich gestern der Sprecher von Bayer Yakuhin in Osaka.
Tatsächlich zählt der Name des größten deutschen Chemiekonzerns, der heute im Medikamentenbereich zehn Prozent seines weltweiten Umsatzes in Japan erzielt, zu den Göttern hiesiger Industriegeschichte. Nur wenige Jahre nach der Einführung von Bayer- Aspirin in Deutschland im Jahr 1899 wurde die Kopfschmerztablette bereits in Japan gehandelt. Generationen japanischer Ärzte nahmen sich damals an der deutschen Medizin ein Beispiel und folgten bei der Medikamentenverschreibung ihrem Vertrauen in die Firma Bayer.
Doch heute vergleichen nahezu alle japanischen Medien den Bluter-Skandal mit der Minamata-Katastrophe der 50er und 60er Jahre. In der Stadt Minamata in Südjapan hatten damals Chemieunternehmen und Gesundheitsministerium in ähnlicher Übereinstimmung die Verantwortung für die Verschleppung von Quecksilbervergiftungen geleugnet, die Hunderte das Leben kostete. Der Name des hauptverantwortlichen Unternehmens, Chisso, bleibt freilich jedem Japaner noch heute im Hals stecken.
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