: Geschichte ernster Mahnungen und letzter Verwarnungen
■ Seit 1949 wollen Chinas Kommunisten Taiwan notfalls mit Waffengewalt zurückerobern
Sie sind Todfeinde und stimmen doch in ihrem strategischen Ziel überein. Für die Kommunisten in Peking und für die „Nationalen“ in Taipeh war es immer klar, daß Taiwan untrennbarer Bestandteil Chinas sei und bleiben werde. Chiang Kai-shek, Verlierer des chinesischen Bürgerkriegs von 1945 bis 1949, sah die Insel nur als eine strategische Basis an, von der aus er die Rückeroberung „Rotchinas“ starten wollte. Für ihn und seinen Erben Chiang Ching-kuo stand fest: Die Kuomintang-Regierung in Taiwan ist die einzig legale in China, sie führt die nationale Sache fort, die mit der Revolution des Kuomintang-Gründers Dr. Sun Yatsen 1912 begonnen hatte.
Taiwan war der letzte Rückzugspunkt für Hunderttausende geschlagener Kuomintang-Soldaten gewesen. Der „Generalissimus“ Chiang Kai-shek errichtete auf der Insel, gestützt auf ein Bündnisabkommen mit den USA, seine Militärdiktatur und wartete auf seine Chance. Aber die kam nie. Die kommunistische Staatsmacht versank nicht im Chaos, nicht einmal zu Zeiten der Kulturrevolution. Eine Invasion des „Festlands“ wäre immer ein halsbrecherisches Risiko gewesen.
Bis zu Beginn der siebziger Jahre konnten die National-Chinesen ihren Alleinvertretungsanspruch aufrechterhalten, sie besetzten den Platz Chinas im Sicherheitsrat der UNO. Dann folgte der bittere Niedergang. Die Pingpongdiplomatie des damaligen amerikanischen Außenministers Henry Kissinger führte zur Annäherung der USA an die Volksrepublik, ein Spiel, das 1979 mit deren Anerkennung als einzig legaler Regierung Chinas endete. Damit war die Isolation beendet und dem „sowjetischen Sozialimperialismus“, für die damalige chinesische Führung der weltweite Hauptfeind, ein schwerer Schlag versetzt.
Den Vereinigten Staaten folgten erst deren Verbündete, dann schließlich fast die gesamte Staatenwelt. Ganz wollten die USA ihren ehemaligen Schutzbefohlenen allerdings nicht dem Schicksal überlassen: Der Kongreß verabschiedete, ebenfalls 1979, den „Taiwan Relations Act“, auf Grund dessen die National-Chinesen bis heute mit modernstem Waffengerät der US-Amerikaner versorgt werden.
Auch unter dem jetzigen Präsidenten Lee Teng-hui verbeugt sich die Kuomintang-Regierung in Taipeh vor dem Ein-China-Glaubensbekenntnis. Aber so vollständig die gesamtchinesischen Träumereien der National-Chinesen frustriert wurden, so erfolgreich waren sie dort, wo sie gar nicht hatten bleiben wollen. Taiwan wurde zu einer der führenden Wirtschaftsmächte Südostasiens. Eine neue Generation von kühl kakulierenden Politikern begann die Vorteile der Insellage zu schätzen. Das autoritäre Regime erodierte in den Achtzigern. Die auf Unabhängigkeitskurs steuernde Demokratische Fortschrittspartei brachte es bei den Wahlen im vergangenen Herbst auf ein rundes Drittel der Wählerstimmen.
Alarmzeichen für die Regierung in Peking! Die chinesischen Kommunisten haben seit 1949 nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie Taiwan, wenn nötig auch mit Waffengewalt zurückerobern würden. Aber der jahrelange rituelle Beschuß von Taiwan vorgelagerten Inseln, die in die Hunderte gehenden „ernsten Mahnungen und letzten Verwarnungen“, die zahlreichen Militärmanöver waren nie als Prolog einer Invasion gedacht. Die chinesische Regierung rechnete schon früh mit einer langen Wartezeit bis zur „Befreiung“.
Dieser Politik des Wartens und Drohens folgte in den achtziger Jahren unter Deng Xiaopings Anleitung das konkrete Angebot: „Ein Land, zwei Systeme.“ Will sagen, politische, wirtschaftliche, sogar militärische Autonomie. Und dazu, als Vorspiel, die „Drei Verbindungen“ (Handel, Transport, Post) und die „Vier Austausche“ (Verwandte, Touristen, Wissenschaftler, Sportler). Die National- Chinesen reagierten auf diese Offerten zunächst mit schroffer Abwehr, später flexibel. Nur ein Ereignis konnte die auf lange Sicht berechnete Politik Pekings zum Einsturz bringen: die Proklamation der taiwanesischen Unabhängigkeit. Nur für diesen Fall gilt für die Volksrepublik die Alternative: Verzicht oder Invasion. – Für Chinas Kommunisten eine fatale Wahl. Jetzt schon steht ihr Regime im Verdacht, die Ansprüche auf das südchinesische Meer (als continental shelf) mit Waffengewalt durchsetzen zu wollen. Diese Befürchtungen zu zerstreuen, war das Ziel mehrerer Abkommen und „Verhaltensregeln“ mit Staaten, die dem Asean-Bund angehören.
Auch der – auf dem Papier – niedrig angesetzte Verteidigungshaushalt für 1996 entspringt dieser Beruhigungsstrategie. Eine Invasion Taiwans, deren militärischer Ausgang zudem noch unsicher wäre, würde die südostasiatische Staatenwelt gegenüber China auf Dauer antagonisieren und einer Politik der Öffnung gegenüber den USA ein jähes Ende bereiten. Chinas Kommunisten hoffen auf ihre verfeindeten Brüder jenseits der Formosastraße. Christian Semler, Berlin
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