„Gelogen, vertuscht, getäuscht“

■ Nach internen Vulkan-Unterlagen wurden die Ost-Betriebe systematisch betrogen

„Mehr als tausend Seiten interner Vorstandspapiere, Aufsichtsratsprotokolle und Verträge des Werftenverbundes“ sind in den Besitz der Zeitschrift „Capital“ gelangt. Das Fazit der Manager-Illustrierten nach der brisanten Lektüre, jedenfalls in der Druckvorlage des Freitag erscheinenden Heftes: „Es wurde gelogen und betrogen, getäuscht und vertuscht. Vorstand und Aufsichtsrat haben auf der ganzen Linie versagt.“ Auf neun Seiten will das Magazin das Material darstellen, aus dem sich erstmals einige Einblicke in die interne Verfassung des Vulkan-Verbundes schon lange vor dem Zusammenbruch. Schon 1993 habe das Aufsichtsratsmitglied Hans-Jürgen Nölle in einem Brief an den Vorstand gewarnt: „Die bisherigen Industrieengagements sind per Saldo extrem risikobeladen und erfüllen die Ertragserwartungen nicht.“ Das Geschäftsjahr 1993 schloß dann mit einem Minus von 191 Millionen ab.

Anfang Januar 1994 beschloß der Vulkan-Vorstand dann, in den Jahren 1995 und 1996 jeweils 150-200 Millionen Gewinn zu machen. Solche Planspiele liebte der Vulkan-Chef Hennemann, offenbar überraschte er damit nicht nur die Öffentlichkeit und die Fachjournalisten, sondern auch die eigene Führungsetage. Für Hennemann gab es über Jahre verbindliche Strategien des Konzerns. Die Wirklichkeit hatte damit, wie die jetzt öffentlich vorliegenden Papiere zu zeigen scheinen, nichts zu tun: Für 1995 wird der Verlust an die Milliarde reichen, für 1996 droht der Konkurs. Natürlich deutete sich dieser Absturz schon lange intern an. Im Februar 1995 teilte Finanzvorstand Zinken dem Führungsgremium mit, daß sich „Abweichungen“ gegenüber dem Plan ergeben würden. „Der Netto-Cash-Flow für 1995 und 1996 verringert sich gegenüber dem alten Plan um 692 Millionen“, zitiert Capital die interne Vorlage. Der Konzernumsatz lag im ersten Quartal 1995 um 35 Prozent unter Plan. Nur „abrechnungsbedingt“ sei das gewesen, erklärte Hennemann dem Aufsichtsrat. „Insgesamt hat sich ... die Umsatzentwicklung in etwa planmäßig entwickelt“, formulierte Hennemann am 3. April. Im zweiten Quartal lag der Umsatz um 18 Prozent unter Plan. Schon im April 1995 drohte nach den internen Prognosen für Ende 1995 ein Zustand, bei dem die Aufrechterhaltung der Liquidität „voraussichtlich ab Ende 1995 dauerhaft auf die Aufnahme von Bankkrediten angewiesen“ sein würde. In denselben Tagen verkündete Vulkan-Chef Hennemann vor der Presse, der Konzern könne bald wieder Dividende zahlen: „Wir haben den Turnaround geschafft.“

Nach den der Zeitschrift Capital vorliegenden internen Unterlagen verstärkt sich der Verdacht, daß der Vulkan von Anfang an nicht wirklich in der Lage war, die im Vertrag mit der Übernahme der Ostwerften verbundene Eigenleistung bei den Subventionen zu erbringen. 780 Millionen flüssige Mittel hätte der Vulkan-West in den Osten transferieren müssen. Ohne diese Zusage hätte EU-Kommissar van Miert aber nie die staatlichen Beihilfen für den Vulkan genehmigt. „War Hennemann nur zum Schein auf die Auflagen der Treuhand und der EU eingegangen, um an das Geld zu kommen? Viele Belege sprechen dafür“, formuliert Capital. Am 13. Dezember 1993 analysierte Finanzvorstand Anton Schneider im Vulkan-Vorstand die Lage: „Ohne die Liquidität aus den Ost-Geschäften würden die liquiden Mittel zum 30. September 1994 minus 269 Millionen Mark betragen. Eine erstmalige Unterdeckung ergibt sich per Ende 1993 mit minus 68 Millionen Mark.“ Und dann die Gegenrechnung: „Mit dem Geld der Ostgesellschaften betragen die liquiden Mittel zum 30.September 1994 genau 701 Millionen Mark.“ Damals, kann man nur folgern, war das Geld noch da.

Wenn die Ost-Werften bei ihrer Herauslösung aus dem Konzern auf der Zurückzahlung der von der Treuhand gewährten Ost-Beihilfen von ca. 850 Millionen bestehen müssen, weil sonst die Treuhand-Nachfolge BvS diese Gelder nicht neu auszahlen kann, dann bedeutet das für den verbliebenen Rest-West-Vulkan, daß die Masse für einen Vergleich kaum ausreichen wird: Jeder Gläubiger, der über den Vergleich verhandelt, müßte diese Forderungen auch bedienen. K.W.

Nach Einschätzung des Parlamentarischen Staatssekretärs und Bremer CDU-Landesvorsitzenden Bernd Neumann ist ein Anschlußkonkurs des Konzerns nicht mehr auszuschließen. Trotzdem gehe er davon aus, daß es auch künftig – „wenn auch deutlich weniger“ – Werftarbeitsplätze und Schiffbaukapazität im Land Bremen geben werde, sagte Neumann.

am Nittwoch in Bremerhaven. Die Priorität liege in Bremerhaven, da die Existenz der Seestadt an die maritime Technologie gebunden sei. dpa