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Ich weiß, was du willst

■ Neue Programme sollen das Suchen im Internet erleichtern. Vor allem sind sie ein gutes Geschäft für die Werbebranche

Wann immer Nicholas Negroponte aus dem Flugzeug steigt, um den Cyberspace zu preisen, werden früher oder später zwei Worte fallen: „Intelligent Agents.“ Gemeint sind listige, kleine Software- Gesellen, die uns ganz genau kennenlernen wollen. Je länger man mit ihnen arbeitet, desto besser wissen sie, was man will.

Am Media Lab des Massachussetts Institute of Technology (MIT) in Boston, das Negroponte leitet, wird seit drei Jahren an solchen Programmen gearbeitet. Sie sollen ungefähr das können, was Negropontes Schwägerin kann. Die ruft der Netzpapst nämlich immer an, wenn er ins Kino gehen will. Sie kennt erstens alle neuen Filme und hat sich zweitens gemerkt, welche Filme Negroponte in der Vergangenheit gefallen haben. Mit diesen Parametern trifft sie immer seinen Geschmack.

Drei MIT-Absolventen haben nun ein Programm geschrieben, das sie als „Agenten für jedermann“ anpreisen (http://www.ffly .com). „Firefly“, wie das Angebot im WWW heißt, funktioniert wie Negropontes Schwägerin. Am Anfang empfahl es zwar nur Schallplatten; die Version 2.0, die zwei Monate später fertig war, schlägt auch Filme vor. Demnächst sollen Websites und Bücher dazukommen. „Wir haben die Mundpropaganda automatisiert“, heißt es auf der Homepage, und das ist mehr als ein Werbespruch. Wer sich einloggt, muß erst einmal eine Reihe von Schallplatten beurteilen. So lernt das System seinen User kennen. Wer zum Beispiel Led Zeppelin und anderen Schwerarbeitern gute Noten gibt, ist ein Heavy-Metal-Fan. Dann vergleicht Firefly diese Titel mit denen der übrigen User, und empfiehlt Platten, die andere Fireflyer mit ähnlichem Musikgeschmack ebenfalls gut finden: eine Art musikalischer Rasterfahndung.

Seit das System im Februar ans Netz gegangen ist, haben sich bereits 350.000 Surfer angemeldet. Pressesprecher Ted Kamionek weiß, daß sie nicht nur sehr viel Zeit damit verbringen, nämlich im Durchschnitt um die 20 Minuten. Viele von ihnen kommen außerdem mehr als zweimal in der Woche zurück, auch die Zahl der Frauen liege über dem Netz- Durchschnitt. Sie können gleich zur Tat schreiten, indem sie die Platten, die ihnen empfohlen werden, mit einem Mausklick online bestellen – „Firefly“ ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, auf dem der Cyberspace zur virtuellen Shopping-Mall wird.

Nachrichten als Pausenfüller

Eigentlich sollte Negropontes Lieblingsidee ein anders Problem lösen. Am MIT wurden Intelligent Agents entwickelt, um der unüberschaubaren Informationsflut des Internet Herr zu werden. Sie sollen das Netz nach Nachrichten durchsuchen, die für ein bestimmtes Thema interessant sind. Die kalifornische Firma Pointcast machte daraus einen Pausenfüller. Ihre Software stellt aus aus Agenturmeldungen eine persönliche Zeitung nach Interessengebieten des Users zusammen und zeigt sie als Bildschirmschoner, wenn am Computer nicht gearbeitet wird.

„Firefly“ geht noch einen Schritt weiter: Es lernt nicht nur seinen Benutzer immer genauer kennen, sondern kombiniert seine Vorlieben mit dem kollektiven Geschmack des ganzen Systems. Je mehr Netzsurfer sich beteiligen, desto genauer werden die Empfehlungen. Außerdem können die User „Firefly“ mitgestalten: Sie dürfen Rezensionen von Platten oder Filmen veröffentlichen oder ein eigenes „Zimmer“ einrichten, um mit anderen über ihre Lieblingsmusik zu chatten.

Bei einem Besuch Ende März herrschte in der „Luciano-Pavarotti-Konzerthalle“ beredtes Schweigen, aber im „Funky Shack“ diskutierten tatsächlich ein japanischer und ein norwegischer Hip-Hop-Fan über Coolio. Demnächst soll auch eine Online-Musikzeitung namens „Flypaper“ erscheinen.

„Firefly“ wurde am MIT von der Belgierin Pattie Maes entwickelt. Unter dem Namen „Ringo“ lief es zwei Jahre auf dem Campus von Boston. Dann gründete Maes mit zwei Kommilitonen „Agents Inc.“, um richtig Geld zu verdienen. Die Firma vertreibt auch CDs, doch die Haupteinnahmequelle für „Firefly“ ist die Werbung. Im ersten Monat haben bereits 20 Markenartikler Anzeigenplatz gekauft – aus gutem Grund: Das Firefly-Programm treibt seine Kunden der Werbeindustrie direkt vor die Flinte. Je nach Alter, Geschmack, Heimat, Computer und Browser kann die Reklame maßgeschneidert werden. Eine Anzeige könnte zum Beispiel nur dann erscheinen, wenn sich jemand einloggt, der über 21 ist, in Boston wohnt und auf Rap steht. Das Beispiel wird Schule machen: Auch „Hotwired“, die Online-Verlängerung des amerikanischen Trendmagazin „Wired“, experimentiert mit Anzeigen, die nur erscheinen, wenn die Adresse aus einem bestimmten Land aufgerufen wird. Anzeigenleiter Rick Boyce sieht voraus: „General Motors könnte zum Beispiel in den USA für seine GM-Autos werben, in England für Vauxhall und im Rest von Europa für Opel.“ TilmanBaumgärtel

(100131.2223@compuserve.com

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