■ Klassik-CD-Kritik: Rolf Liebermann: Freispruch für Medea
Rolf Liebermann: Freispruch für Medea (Musikszene Schweiz/Helikon)
Die Oper Freispruch für Medea, das letzte große Werk des ehemaligen Intendanten der Hamburg Oper, Rolf Liebermann, fühlt sich nach Altmännerzorn an. Der Schweizer Komponist, in Wirklichkeit die Liebenswürdigkeit in Person, führt hier immer wieder die Erwartungen des Hörers mit lieblichen Tönen oder faszinierendem Klangsortiment zum Innehalten, um die wohlige Ahnung dann in krachenden Tutti, wilden Rhythmik-Clustern oder atonalen Linien bersten zu lassen. Dieses hohe musikalische Konfliktpotential steht im Kontext der Parteilichkeit, die sich Liebermann und seine Librettistin Ursula Haas für dieses Auftragswerk der Hamburg Oper, das Ruth Berghaus noch kurz vor ihrem Tod hier inszenierte, vorgenommen haben.
Wie auf einem Satellitenfoto betrachten sie den Urstoff: von ganz fern, hoch oben und zweidimensional, um auf dieser Struktur eine Neuerfindung der Medea-Figur zu schaffen. Medea ist hier nicht die schuldbefleckte Mörderin, nicht die wahnsinnige Hexe, aber auch nicht das arme Opfer männlicher Willkür. Sie ist eine Figur der selbstbewußten Entscheidung, die an einer fremden Kultur scheitert, ohne zu zerbrechen. Folglich sind Macht- und Kulturkampf hier auch Thema der Musik. Wobei die Entwurfsverfasser nicht die thematische Trennung suchen, die die Herabsetzung des einen auf Kosten der anderen ausschließt. In dieser Oper ist das männliche Prinzip klar das zerstörerische, das weibliche das vernünftige.
Gleich für den Eintritt hat sich Liebermann einen Zusammenstoß musikalischer Welten ausgedacht, der beweist, daß derartig zweifelhafte Parteinahme in der Musik weit besser verdaut werden kann als im Libretto. Ein Gamelan-Orchester beginnt mit zarter Melodik, den ersten Auftritt Medeas einzuleiten, die gesungen von Francoise Pollet vielleicht etwas zuviel melancholische Weichheit erfährt. Mit der Ankunft Jasons (Aage Haugland) übermalt Liebermann diese Stimmung dann radikal mit Orchesterabschlägen und wilden Perkussionszuckungen.
Gott sei Dank ist Liebermann klug genug, um diese pädagogische Sendung nicht in starrer Feierlichkeit durch das Werk zu ziehen. Sein virtuoser, oft jazziger Einsatz der vielfältigen Schlaginstrumente, die Freispruch für Medea zwischen viel zitathafter Klangmalerei das Gesicht geben, sucht sich im weiteren Verlauf Stimmungen, nicht Personen.
Gerd Albrecht müht sich bei dieser Live-Einspielung mit seinen Philharmonikern recht erfolgreich, das abwechslungsreiche Klangspiel transparent und ausbalanciert erscheinen zu lassen, auch wenn die gelegentliche Überbetonung der Schlaginstrumente eher störend wirkt.
Till Briegleb
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