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Frisch gebrochenes Pathos

■ Alles neu macht der April: „Die Sterne“ veröffentlichen ihre neue Platte

Die Anzeigen geschaltet, das Video gedreht, die Zahnlücke geschlossen: Es ist soweit, heute erscheint die neue Platte jener Hamburger Band, auf die sich alle gerne einigen. DieSterne, zwischen Kopf und Bauch, Kitsch und Schmerz und jetzt auf einem großen Label. Ein Gespräch mit Frank Spillker, dem Sänger der Band.

taz: Im Video „Was hat dich bloß so ruiniert“ hast du plötzlich keine Zahnlücke mehr. Wie kam's?

Frank Spillker: Wir haben darüber nachgedacht, wie wir mit der Zahnlücke umgehen und haben uns dafür entschieden, das zum Gag zu machen. So hat der Sänger eine Zahnlücke, die nach dem Erfolg plötzlich weg ist.

Es steckt keine Vorgabe von VIVA und MTV dahinter?

Doch, auch. Es gibt einige Vorgaben, die über Sendung oder Nicht-Sendung entscheiden. Deswegen wird in den Videos auch nicht geraucht oder getrunken. So wie James Bond jetzt keine Affären mehr haben darf, wegen Aids.

Spürst du schon etwas von den Pop-Momenten, den falschen Freunden und Erwartungshaltungen, die sich regen, wenn eine Band über ihren Kreis hinauswächst?

Interessanterweise scheinst du das ja schon zu erwarten. Das hat mich schon auf der Interviewtour fasziniert, denn im Grunde haben wir bis jetzt nichts anderes gemacht als sonst, es gibt ja noch keine Anzeigen, noch kein Video. Das einzige, was die Leute interessierte, war, daß die Platte bei Sony erscheint.

Ist eure Musik, im Gegensatz zu den Texten, ein Versuch, Kontakt herzustellen – im Sinne eines gemeinsamen groovigen Nenners?

Ja, wenn auch nicht im Sinne eines gemeinsamen Nenners. Aber ich kann das nicht getrennt sehen, da die Texte und die Art zu Sprechsingen das ja kontrastieren sollen. Was bei unseren Konzerten passiert, spricht in dem Zusammenhang Bände. Die Leute, die offensichtlich die Stücke kennen, machen sich keinen Kopf mehr über die Texte und tanzen, während andere eher zuhören. Daran kann man auch immer genau sehen, wie laut der Gesang ist.

Gibt es bei dir beim Schreiben von Texten den Gedanken an Peinlichkeit?

Ich würde nicht von Peinlichkeit reden, sondern von Kitsch. Was ich grundsätzlich kitschig finde, ist Sachen zweimal zu sagen. Deswegen kommt es auch zu solchen Brechungen wie:„Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten - wir fanden uns ganz schön bedeutend.“ So gebrochen finde ich Kitsch, oder im positiven Sinne: Pathos, möglich. Ansonsten ist Pathos billig und an jeder Ecke zu bekommen. Was wirklich schwierig zu kriegen ist, ist ein Pathos, auf das man sich noch einlassen mag. Wenn das jemandem gelingt, dann suhle ich mich gerne darin.

Hattest du nie den Wunsch, deine Inhalte mit Krach zu illustrieren?

Dadurch würden die Texte eindimensional. Es gab mal eine andere, lärmige Version von „Insel“, einem sehr kitschigen Stück. Aber der Text bekam dadurch ein ganz anderes Gewicht. Das Stück hat für mich erst funktioniert, als wir diese süßen Melodien damit kombiniert haben. Hinzu kommt, daß der Wortschatz im Bereich der Popmusik viel größer ist als im Lärm.

Warum ist das wichtig?

Bezogen auf die Technik. Weil wir gerne zitieren.

Fragen: Holger In't Veld

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