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Die Massenrückkehr bosnischer Flüchtlinge soll pünktlich zum 1. Juli beginnen. So wollen es die Innenminister, die heute tagen. Trotz der Kritik aus allen politischen Lagern drängen die Ausländerbehörden auf Vollzug, obwohl die Situation in

Die Massenrückkehr bosnischer Flüchtlinge soll pünktlich zum 1. Juli beginnen. So wollen es die Innenminister, die heute tagen. Trotz der Kritik aus allen politischen Lagern drängen die Ausländerbehörden auf Vollzug, obwohl die Situation in den Heimatregionen eine rasche Rückführung undenkbar macht.

Plaudern über Schicksale

ie Einmütigkeit hatte Seltenheitswert. Eine Woche lang waren Landtagsabgeordnete aus Brandenburg von CDU, PDS und SPD durch Bosnien-Herzegowina gereist, um sich ein Bild von der dortigen Lage zu machen. Als die Parlamentarier jetzt zurückkehrten, waren sie sich ausnahmsweise einig: Eine rasche Rückführung der 350.000 in Deutschland lebenden bosnischen Kriegsflüchtlinge ist völlig undenkbar. Der von Bund und Ländern beschlossene Stufenplan für eine Rückkehr muß korrigiert werden.

Die Rückführungspläne ab 1. Juli sind nicht einzuhalten, so lautet auch das einhellige Urteil der Konferenz der Ausländerbeauftragten von Bund, Ländern und Gemeinden, die gestern in Dresden berieten.

Zwei mahnende Appelle in einer Reihe von vielen. Wenn die Innenminister von Bund und Ländern auf ihrer heutigen Konferenz über die Zukunft der bosnischen Kriegsflüchtlinge beraten, sind sie mit einer Flut von Appellen, Fakten und Expertengutachten konfrontiert, die ihnen alle das eine bescheinigen: Ihre Pläne für eine Massenrückführung der Flüchtlinge sind unsinnig, unrealistisch und unmenschlich.

Am 26. Januar hatten die Innenminister auf einer Sonderkonferenz die Weichen gestellt. Vom 1. Juli an, so der Beschluß, soll die verordnete Massenrückkehr nach Bosnien beginnen. In einer ersten Stufe sollen bis Mitte nächsten Jahres 200.000 Flüchtlinge Deutschland verlassen. Als allererste müssen alleinstehende Erwachsene und Ehepaare ohne minderjährige Kinder gehen.

Ungeachtet aller Kritik an diesen Plänen drängen die Ausländerbehörden bereits massiv auf „Vollzug“. In Anlehnung an einen Mustererlaß des Bundesinnenministeriums ergehen derzeit bundesweit die ersten Ausreiseaufforderungen an bosnische Flüchtlinge. Abgelaufene Duldungen und Aufenthaltsbefugnisse werden nicht mehr über den Stichtag 1. Juli hinaus verlängert. Wer der Verpflichtung zur Ausreise innerhalb von drei Monaten nicht freiwillig nachkommt, so die Drohung in den amtlichen Bescheiden, wird abgeschoben.

Die Ausweisungsmaschinerie wird dabei nach einem technokratischen Mechanismus in Gang gesetzt. Alleiniges Kriterium für die verordnete Rückkehr ist der Familienstand der Flüchtlinge, nicht die reale Situation in ihrer Heimatregion. Dabei belegen sämtliche Erhebungen, daß mehr als zwei Drittel der nach Deutschland geflüchteten BosnierInnen aus Gegenden stammen, in die sie auf absehbare Zeit nicht mehr zurückkönnen.

Darüber hinaus haben die Bundesländer in ihren Ländererlassen weitere unsinnige und willkürliche Staffelungen festgelegt: In Bayern beispielsweise werden zuallererst alleinstehende, sozialhilfebeziehende BosnierInnen zur Ausreise aufgefordert. In Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Schleswig- Holstein sollen diejenigen zuerst gehen, die am längsten in Deutschland leben. In anderen Bundesländern, keiner weiß warum, sollen die zuletzt Eingereisten die ersten sein.

Unter den Flüchtlingen selbst haben die Ausreiseaufforderungen für massive Verunsicherung und Angst gesorgt. „Die Traumatisierungen brechen wieder auf“, beobachtet die Müncher Psychologin Maria Zepter, die bosnische Frauen aus dem Schreckenslager Omarska betreut. Auf die Drohung, bald ausreisen zu müssen, hätten einige der Frauen mit Suizidversuchen reagiert, andere mit Panik. „Auch bisher sehr starke Frauen“, berichtet Therapeutin Zepter, „sind plötzlich zusammengebrochen.“

Die Erlasse der Bundesländer sehen zwar vor, daß traumatisierte Personen zunächst weiter in Deutschland bleiben dürfen. Doch diese Regelung, so Maria Zepter, „ist eine Farce“. Denn dafür müssen die Frauen nachweisen, daß sie in ständiger fachärztlicher Behandlung sind. Gerade die wird einem Großteil der traumatisierten Frauen jedoch aus Kostengründen verweigert.

Auch eine andere Regelung steht nur auf dem Papier: ZeugInnen für das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sollen vor einer Ausweisung geschützt sein. Doch das gilt nur für diejenigen, die persönlich vor dem Gerichtshof erscheinen. Wer die Aussagen nur schriftlich zu Protokoll gegeben hat, bekommt keinen Ausreise-Aufschub.

Auch das Versprechen der Innenminister, die Flüchtlinge könnten vor ihrer endgültigen Rückkehr die Lage in ihren Heimatorten erkunden, hat sich als halbherzig erwiesen. Einige Bundesländer wie zum Beispiel Berlin verweigern den Flüchtlingen beharrlich die für solche Orientierungsreisen notwendige Aufenthaltsbefugnis. Andere genehmigen diese Befugnis nur für einen so kurzen Zeitraum, daß die Transitländer den Flüchtlingen die Durchreise verweigern.

Ob die Innenminister heute ihr umstrittenes Rückkehrszenario vom Januar grundlegend korrigieren, ist fraglich. Der Tagesordnungspunkt „Kriegsflüchtlinge“ firmiert nur unter dem unverbindlichen Titel „Gedankenaustausch“. Will heißen: mit Beschlüssen ist kaum zu rechnen. An dem beschlossenen Zeitplan für die gestaffelte Rückkehr werde man festhalten, bekundeten im Vorfeld der Konferenz unisono die Innenminister.

Immerhin deutet sich unter dem Eindruck der anhaltenden Kritik zumindest ein Funken Nachdenken an. Man müsse den Beschluß vom Januar dieses Jahres zwar nicht revidieren, aber „fortentwickeln“, plädiert Baden-Württembergs Innenminister Frieder Birzele (SPD) diplomatisch für Korrekturen. Von der Verschiebung einer „endgültigen Entscheidung“ spricht der Hardliner unter den Innenministern, Günther Beckstein (CSU). Und Hamburgs sozialdemokratischer Innensenator Hartmuth Wrocklage bereitet offenbar schon eine gemeinsame Auffanglinie vor. Eine Innenminister-Delegation, möglichst mit Manfred Kanther an der Spitze, solle erst einmal nach Bosnien reisen, um sich sachkundig zu machen. Vera Gaserow

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