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NachrufO süßes Lamm vom Kaukasus

■ Ein wodkareicher Abgesang auf das versunkene „Sewastopol“

An einer jener sibirisch kalten Februarnächte verschlug es mich ans Schwarze Meer. Doch Sewastopol lag nicht mehr am Schwarzen Meer. Was war geschehen? Hatte die Russen-Mafia zugeschlagen? Welches Schicksal hatte diese Stätte russischer Freundlichkeit und Kochkunst genommen?

Sewastopol: Ein Ort, an dem die Bedienung in Sowjetuniformen die Bestellung aufnahm und rote Kunstsamtdecken mit Brandlöchern tolstoische Ge-schichten zu erzählen wüßten. Ein Ort, dessen Wände und Nischen mit sozialistischen Götzenbildern und westlichem Kitsch geschmückt waren. Ein Ort, wo das Lesen der Speisekarte auch nach dem dritten Mal mindestens soviel Spaß machte wie ein Dick-und-Doof-Film. Wie sehr vermisse ich das süße Lamm vom Kaukasus. Oder Robotnitschik, die kleine Mahlzeit zwischen den Wodkas. Ein Gemenge aus Fisch, einem Schuß saure Sahne und Bier und anderen Geheimnissen, das trotz seines fragwürdigen Aussehens vorzüglich schmeckt. Oder... aber das gehört der Vergangenheit an. Das Sewastopol, Bremens einziges russisches Restaurant mit sprödem Sowjet-Flair, gibt es nicht mehr.

Wo sollte ich nun hin mit meiner Wodka-Laune? Ich streifte durchs Viertel doch all die Kebab- und Rollo-Läden konnten mich nicht locken. Ich wich verzweifelt auf stillere Nebenstraßen aus. Da plötzlich stutzte ich. Über der Gasse hängt Lenin, vier mal vier Meter groß. Ich sehe hinauf und entdecke den Schriftzug Oblomow über einer kleinen Kneipe. Rotes Schummerlicht, russische Arbeiterlieder, von einem vielkehligen Chor gesungen, dringen aus der halbgeöffneten Tür. Ich betrete den kleinen Raum und begegne wiederum Lenin, diesmal mit einer Wodka-Flasche in der Hand. Genau das Richtige für meine verhinderte russische Seele. Ich quetsche mich durch die Menchenmassen, setze mich an die Theke und brülle der Bedienung „ein Wodka“ ins Ohr. „Welchen denn?“, kommt als Antwort mitsamt der Getränkekarte. Die versetzt mich in Staunen: 40 verschiedene Wodka-Sorten a 20 Gramm sind hier im Angebot. Von der „weißen Schokolade unter den Wodkas“ über das „koschere Wässerchen aus Polen“ bis zur „UN-Währung in den koratischen Kriegsgebieten“. Ich entscheide mich zunächst für das Wässerchenm nach dem „selbst Blinde wieder sehen“ sollen.

Von meinem Tresennachbarn erfahre ich, daß heute der Jahrestag der russischen Revolution ist. Zur Feier gibt es Soleier, der Legende nach Lenins Leibgericht. Eine gute Grundlage für die nächsten Wodkas. Die Gäste feiern die Vereinigung der Arbeiterklasse, bis schließlich der Koch aus der Küche kommt und den Roten Wedding singt.

Kann es Zufall sein, kann der Besitzer des Oblomow auch der des Sewastopol gewesen sein? Es gibt keine Zufälle auf der Welt. Ulrich „Mick“ Mickan, der sich noch in finstersten DDR-Zeiten im Kofferraum aus Bautzen schmuggelte und im kapitalistischen Westen die sozialistischen Accessoires vermißte, hatte vor zwölf Jahren das Oblomow und vor neun Jahren das Sewastopol eröffnet. Seither waren sie Treffpunkt für alle Bremer KommunistInnen und solche, die es für einen Abend sein wollten. Nomen est Omen! Aber Sewastopol wurde nicht von der Russen-Mafia oder von deutschen Panzerverbänden heimgesucht, sondern vom unbändigen Elan seines Gründers. „Öfter mal was Neues“, lautet Micks Motto. Deshalb eröffnete er gleich zwei neue Restaurants. Schade aber um das Sewastopol. Ich vermisse das süße kaukasische Lamm sehr.

Birgit Köhler

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