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Der Machtkampf rivalisierender vietnamesischer Banden in Berlin hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Sieben Tote wurden aufgefunden - regelrecht hingerichtet. Mit dem illegalen Handel von Zigaretten werden in Deutschland Millionengewinne erz

Der Machtkampf rivalisierender vietnamesischer Banden in Berlin hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Sieben Tote wurden aufgefunden – regelrecht hingerichtet. Mit dem illegalen Handel von Zigaretten werden in Deutschland Millionengewinne erzielt. Berlin gilt als Zentrum der Banden. Wer sich der „Zigarettenmafia“ in den Weg stellt, sich weigert, Schutzgeld zu bezahlen, wird umgebracht.

Ein Mordsgeschäft mit Fluppen

Der Tatort hätte anonymer kaum sein können. In einem 18geschossigen Plattenbau im Berliner Bezirk Mahrzahn wurden am Sonntagabend die Leichen von sechs Vietnamesen gefunden. Die Männer waren mit Kopfschüssen regelrecht exekutiert worden. Zeugen für die Tat, die vermutlich schon Tage zurück liegt, gibt es nicht. Kein Bewohner der 136 Mietparteien will etwas gehört oder gesehen haben. Landsleute hatten die Opfer in dem Appartement im neunten Stock entdeckt.

Die Auseindersetzungen zwischen rivalisierenden vietnamesischen Banden haben damit einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit Dezember 1992 sind in Berlin 32 Vietnamesen getötet worden (siehe dazu die Spalte rechts). Die Polizei geht davon aus, daß sich die Banden einen blutigen Kampf um den illegalen Zigarettenhandel liefern und auf diese Weise ihre Reviere abstecken, um Schutzgelder zu erpressen.

Die Schraube der Gewalt dreht sich immer schneller. Allein in diesem Jahr sind bereits 12 Todesopfer zu verzeichnen. Auffällig ist, daß die Taten sich häufen, seit der Berliner Senat damit begonnen hat, die Wohnheime für die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam aufzulösen. In ihren neuen, zumeist in den Plattenbau- Regionen der Bezirke Mahrzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen gelegenen Wohnungen gibt es kaum eine soziale Kontrolle. „Damit sind die Vietnamesen schutzlos jeglicher Verfolgung preisgegeben“, weiß Magnar Hirschberger, Mitarbeiter der „Reistrommel“, einer Beratungsstelle für Vietnamesen. „Damit wurde auch die ganze Händlerszene zerschlagen. Ihre Lebensbedingungen haben sich dramatisch verschlechtert, und die Konkurrenzsituation ist größer geworden.“

Die Polizei schätzt, daß es in Berlin über eintausend illegale Zigarettenhändler gibt. Illegal heißt, daß sie in anderen Bundesländern als Asylbewerber gemeldet sind oder von Schlepperbanden nach Deutschland geschleust wurden. Sie leben in großer Zahl auf engstem Raum in ganz kleinen Wohnungen und zahlen an den Hauptmieter horrende Mietpreise.

Vom Verkauf einer Stange unverzollter Zigaretten bleiben dem Straßenhändler drei bis sechs Mark. Im Nacken sitzen ihm die vietnamesischen Banden, die für die Standplätze saftige Schutzgelder abkassieren. Die Polizei schätzt, daß es ein halbes Dutzend „Köpfe“ gibt. Die Ermittlungen werden nicht nur dadurch erschwert, daß sich die Strukturen in den vergangenen Jahren verändert haben. Festgenommene Vietnamesen sind sehr vorsichtig, sie belasten aus Angst vor Sanktionen nur selten ihre Landleute, weiß ein Kenner der Szene. „Hauptsache leben und hier sein“ sei das, was in diesen Kreisen zähle. Mit der „Illegalität ihres Handels“ hätten sie keine Probelme, weil sie zu Hause nur so überleben könnten.

Eingeführt werden die Zigaretten meist von Deutschen und Polen. In Freihäfen wie Rotterdam kaufen in der Schweiz, Panama, Liechtenstein und Zypern ansässige Scheinfirmen ganze Container auf. Der Zwischenhandel wird immer mehr von ehemaligen Drogenhändlern organisiert, die aus Angst vor harter Bestrafung ausgestiegen sind, weiß ein Zollfahnder. Oftmals zahlen sie für die Stange weniger als zehn Mark. Über die wahren Absahner im Hintergrund gibt es bislang keine Informationen.

Unter dem Vorwand, den Tabak nach Osteuropa ausführen zu wollen, fahren die Lastwagen nach Deutschland und entladen ihre Ware in einsamen Landstrichen. Anhand gefälscher Zollpapiere wird später vorgegaukelt, der Transport habe Deutschland wieder ordnungsgemäß verlassen. Auch der „Ameisenverkehr“ ist eine beliebte Methode, die unverzollten Glimmstengel mit Schlauchbooten über die Neiße von Polen nach Deutschland zu schmuggeln. Die Höhe des Umsatzes ist nicht bekannt. In Berlin wurden allein 1995 44 Millionen Zigaretten beschlagnahmt.

Kenner der Szene berichten von einer Ausweitung des illegalen Handels in Berlin. Bei den vietnamesischen Banden habe sich herumgesprochen, daß mit Funktelefonen gute Geschäfte zu machen seien: „Man kauft von einem untreuen Mitarbeiter der Telecom für 500 Mark eine freigeschaltete Telefonkarte und verkauft dann billige Ferngespräche.“ Bis die Karte gesperrt sei, könnten manchmal Ferngespräche von an die 25.000 Mark geführt worden sein. Plutonia Plarre, Berlin

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