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Partiell bankrott

■ Das Asyl-Urteil ist in erster Linie ein Sieg für die Bundesregierung

Das Asylrechtsurteil scheint zu wesentlichen Teilen auf einem Deal zwischen der konservativen Mehrheit und der progressiven Minderheit des Zweiten Senats zu beruhen. So wurde der Bundesregierung einerseits ein großer juristischer Sieg gewährt, andererseits aber genügend Schlupflöcher in das Urteil eingebaut, um die Abschottung Deutschlands für die schlimmsten Flüchtlingsschicksale doch wieder etwas zu mildern.

Dieser Deal dürfte auch die Grundlage dafür sein, daß das Urteil in vielen wesentlichen Teilen einstimmig oder nur gegen die Stimme des Linksaußen Bertold Sommer erging. Bestätigt wurden in Karlsruhe nicht nur die Verfassungsänderungen als solche, sondern auch die Ausführungsbestimmungen im Asylverfahrensgesetz und fast alle der angegriffenen Gerichts- und Behördenentscheide.

Die von den Anwälten beschworene Verfassungswidrigkeit des neuen Asylrechts wurde nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Damit war das geänderte Grundgesetz Maßstab für die Karlsruher Entscheidung.

Bei der Drittstaatenregelung, die grundsätzlich bestätigt wurde, gab es bisher schon ein größeres Schlupfloch, wenn der Flüchtling seinen Reiseweg erfolgreich verschleiern konnte und sich daher kein Staat bereit fand, ihn „zurückzunehmen“ (siehe nächste Seite). Das Verfassungsgericht hat nun auch für die Flüchtlinge, deren Abschiebung technisch möglich wäre, ein Schlupfloch statuiert. Entgegen der Intention der Drittstaatenregelung können auch sie im Einzelfall eine individuelle Bedrohung geltend machen.

In den konkret geprüften Einzelfällen wurden die Verfassungsbeschwerden jedoch abgelehnt. Griechenland ist als EU-Staat per Verfassungswahrheit sicherer Drittstaat. Hier blieb die Prüfung des Verfassungsgerichts entsprechend dünn. Und bei der Absolution für Österreich, das im fraglichen Zeitpunkt noch Listenland gewesen war, mußte sich das Gericht sogar das Grundgesetz zurechtbiegen. Denn in der mündlichen Verhandlung hatte sich gezeigt, daß Österreich seinerseits sein Nachbarland Ungarn als sicheren Drittstaat anerkennt, in Ungarn aber laut Gesetz nur europäische Flüchtlinge Schutz vor Weiterschiebung genießen.

Soweit ein Flüchtling aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat stammt, sieht schon das Grundgesetz die Möglichkeit vor, daß individuelle Verfolgungsgefahren vorgebracht werden können. Dennoch verschärfte das Gericht die Anforderungen an derartige sichere Herkunftsstaaten. Die Freiheit von politischer Verfolgung und von menschenunwürdiger Behandlung darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern muß „landesweit und für alle Bevölkerungsgruppen“ tatsächlich bestehen.

Allzuviel bringt diese Klarstellung jedoch nicht, denn gleichzeitig räumte die Mehrheit des Gerichts dem Bundestag die Freiheit ein, hier eine Gesamtbeurteilung zu treffen, die von Karlsruhe nur auf ihre „Vertretbarkeit“ geprüft werde. Bertold Sommer und Präsidentin Jutta Limbach wiesen diese richterliche Zurückhaltung in einem Sondervotum zurück.

Auch die Anerkennung Ghanas als sicherer Drittstaat provozierte Sondervoten. Neben Sommer und Limbach protestierte auch der jetzt ausgeschiedene Richter Ernst- Wolfgang Böckenförde. Die Senatsmehrheit berief sich auf den demokratischen Wandel in Ghana und die Abschaffung der dortigen Sondergerichte. Todesurteile würden dort nur „in engem Rahmen und für schwerste Straftaten“ verhängt.

Schließlich kam auch die Flughafenregelung relativ ungeschoren davon. Der Senat erleichterte die Situation der Flüchtlinge nur in zwei „nicht uninteressanten Details“ (Pro Asyl). So soll ein Flüchtling, der unter dem enormen Zeitdruck des Flughafenverfahrens keinen Anwalt finden kann, nicht mehr ohne Rechtsbeistand bleiben. Das Gericht gibt dem Staat auf, an den Flughäfen unabhängige und rechtskundige Asylberater zur Verfügung zu stellen. Außerdem soll die extrem kurze Rechtsmittelfrist von drei Tagen im Einzelfall um weitere vier Tage verlängert werden können.

Gedacht hat das Gericht nicht zuletzt an sich selbst. Seine Belastung durch asylbezogene Verfassungsbeschwerden dürfte in Zukunft deutlich zurückgehen. Dafür ist zum einen das oben erwähnte Schlupfloch verantwortlich, das in die Drittstaatenregelung eingebaut wurde. Wenn auch Drittstaatenflüchtlinge die Gefährdung im Einzelfall vor dem Verwaltungsgericht geltend machen können, dann muß künftig in diesen Fällen nicht mehr Karlsruhe als „Gericht erster Instanz“ herhalten.

Die zweite Änderung ist allerdings weniger flüchtlingsfreundlich, weil die Einlegung der Verfassungsbeschwerde erheblich erschwert wurde. Es wurde bestätigt, daß Flüchtlinge schon dann abgeschoben werden können, wenn das Verwaltungsgericht lediglich das Urteil gesprochen hat, die Begründung aber noch nicht vorliegt. Entsprechend dieser Logik will das Gericht künftig auch mit einstweiligen Verfügungen sparsamer umgehen. Die Verfassungsbeschwerde sei „kein zusätzlicher Rechtsbehelf“. Die RichterInnen Limbach, Sommer und Böckenförde sahen in dieser partiellen Bankrotterklärung des Gerichts Grund für ein weiteres Sondervotum.

Nur eine der eingereichten Verfassungsbeschwerden hatte Erfolg – und auch das aus einem eher kuriosen Grund. Der Togolese, der gegen die Flughafenregelung geklagt hatte, war der erste Asylbewerber überhaupt, an dem diese Regelung exerziert wurde. Der entsprechende Medienrummel um seine Person hätte ihn aber bei seiner Rückkehr nach Togo gefährden können, meinte der Senat. Sein entsprechendes Vorbringen war vom Verwaltungsgericht Frankfurt ignoriert worden, worin das Verfassungsgericht eine „Verletzung rechtlichen Gehörs“ erkannte. Christian Rath

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