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Zeitgleich tagten in Düsseldorf und Frankfurt die Vereine langer und kleinwüchsiger Menschen. Die Probleme im Alltag sind unterschiedlich, die Interessen gleich: Sie fordern die stärkere Berücksichtigung ihrer aus der Norm fallenden Erscheinung im Alltag. Rund 100.000 Menschen gelten hierzulande als kleinwüchsig; sie sind unter 1,50 Meter groß. Etwa drei Prozent der Bevölkerung sollen großwüchsig sein – dazu werden Frauen über 1,80 Meter gerechnet und Männer über 1,90. Von Heide Platen

Außerhalb jeder DIN-Norm

Phil Henrici knickt das linke Knie ein, beugt die Schultern, neigt sich vor. Er macht sich klein. So kommt er gerade auf die Schreibhöhe des Pultes an der Rezeption des Düsseldorfer Dorint-Hotels herunter. Die luftighohen Lämpchen pendeln dabei immer noch in gefährlicher Nähe seiner Schläfen. Phil Henrici ist Delegationsleiter vom britischen „Club langer Menschen“ und zum alljährlichen Europa-Kongreß angereist. Immer mehr „Lange“ kommen in das Foyer. Der auf einmal winzig kleine Hotelchef Arjang Marabi verschwindet bis zu den Haarspitzen im lärmenden, lachenden Pulk. Lange Menschen, sagt Europa- Präsident Uwe Seyler, „sind entweder sehr schüchtern oder ganz besonders selbstbewußt“.

Diejenigen, die sich organisiert haben, scheinen allesamt zu letzterer Sorte zu gehören. Seyler ist seit 1961 Mitglied. Allein in Deutschland gibt es mittlerweile 27 Vereine, 22 im Westen, fünf in der Ex-DDR mit über 4.000 Mitgliedern. In 14 Ländern vor allem Nord- und Mitteleuropas haben sie sich nach US-Vorbild organisiert. Bei der Gründung 1953 sei das „noch eine schlichte Interessengemeinschaft gewesen“: „Es ist sehr teuer, etwas länger zu sein.“ Das gilt im Alltag nicht nur für Anzüge, Kleider, Schuhe und Hotelbetten. Die DIN-Norm für Haustüren, Treppen, Autos, Fahrräder, Straßenbahnen, Küchen, Sanitäranlagen ist nun einmal nicht auf die Club-Maße zugeschnitten: mindestens 1,80 Meter für Frauen und 1,90 Meter für Männer. Die Ostvereine haben sich Namen und Eigenständigkeit bewahrt und schreiben in den „Clubs der Großen“ je fünf Zentimeter mehr vor.

Angesichts der auffällig vielen angereisten Paare betont Seyler: „Wir pflegen auch die Geselligkeit, aber wir sind kein Heiratsclub.“ Eine Meldung, daß die Vereine Druck auf die Industrie zur Änderung von DIN-Normen ausüben wollen, hatte Wirbel ausgelöst. Seyler dementiert: „So einfach ist das alles nicht.“ Clubleiter Lothar Haan hat den DIN-Kontrollausschuß kontaktiert und erfahren, daß die Großen und die Kleinen, je zehn Prozent oben und unten, bei den Messungen nicht berücksichtigt werden. Das Mittelmaß errechnet sich aus den restlichen 80 Prozent: „Es ist nicht sinnvoll, da Energie einzusetzen.“

Daß die Menschen heutzutage größer werden als in den Generationen zuvor, hilft den Langen dabei gar nichts. Sie liegen immer darüber: „Die Norm rückt nur näher.“ Inzwischen aber ist der Sohn von Uwe Seyler (2,03 Meter) auch schon wieder größer als sein Vater: „Große Eltern bekommen fast immer noch größere Kinder.“ Woran das liegt, weiß auch er nicht: Die bessere Ernährung? Erhöhter Zuckerkonsum? Mehr Vitamine? Jedenfalls sei das allgemeine Wachstum in 50 Jahren von 1,71 auf 1,79 Meter angestiegen. Forscher, so Haan, hätten immerhin festgestellt, „daß die Natur sich selbst behilft“. Das Größenwachstum werde nicht linear so weitergehen, sondern sich in Europa nach der Jahrtausendwende auf hohem Niveau einpendeln und wieder sinken.

Vorbild der Vereine sind die USA, in denen Übergrößen („Überlängen“ nennt es Haan), ganz normal sind. Die hiesigen Hersteller sind in diesem Jahr für die Mitglieder zum ersten Mal in einem Katalog aufgelistet. Seyler: „Wir wollten nicht mehr, daß mit Übergrößen überhöhter Profit gemacht wird.“ Ein geplanter Musterprozeß zur Steuerermäßigung für Sonderausgaben sei aber angesichts der allgemeinen Sparstimmung verschoben worden. Gegenüber kleinwüchsigen Menschen fühlen sich die Langen benachteiligt. Seyler: „Ein Kleiner ist behindert, und ein Großer eine stattliche Erscheinung.“

Aber es gibt auch Vorteile. Das hat eine Untersuchung gezeigt, die den Zusammenhang zwischen Körpergröße und Leitungsfunktionen erforschte. Große Männer werden bei Einstellungen bevorzugt. Da haben es Frauen schwerer. Die, so Karin Krüger aus Dresden, „brauchen einen toleranten Chef. Denn wer will auch im Konfliktfall nach oben schimpfen müssen?“ Heute kümmert sich der Verein nicht nur um Einkaufsmöglichkeiten und die DIN-Norm, sondern auch um spezifische Krankheiten großer Menschen, um psychologische und medizinische Betreuung von Kindheit an. Das Wachstum per Hormonbehandlung zu bremsen wird jedoch abgelehnt. Vermittelt wird aber die frühe Behandlung von möglichen Wirbelsäulenschäden, Herz- und Knochenerkrankungen. „Hebammenhände“, überlange, dünne „Spinnenfinger“, können bei Früherkennung vermieden werden. Auch eine spezifische Bindegewebsschwäche tritt nur bei langen Menschen auf. Das Gewebe kann, so Seyler, „platzen wie ein überdehnter Luftballon“: „Die Leute dürfen sich nicht aufregen, weder negativ noch positiv.“ Auch kleine Kinder haben Probleme, wenn sie zu den großen gehören. Meist werden sie für älter gehalten und sind überfordert.

In der Hotelhalle kämpft ein Langer mit dem Telefon. Die Plastikhaube über dem Apparat hängt ungefähr einen halben Meter unter dem Kinn. Er langt mit der Hand darunter und versucht, die Tasten durch den rauchgrauen Schirm zu erkennen. „Da haben wir es wieder“, wendet er sich brummend ab und haut mit dem Kopf fast an den oberen Rand der Fahrstuhltür.

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