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■ Der europäische Umwelt-Musterknabe in Theorie und Praxis – und in den Zeiten der sozialen KriseDie grünen Deutschen

Ein Engländer, ein Franzose und ein Deutscher treffen sich an einem herrlichen Sommertag zum Picknick. Der Engländer wirft die Angel aus und fängt eine schöne Forelle. Der Franzose haut sie in die Pfanne und verspeist sie mit einem Glas Sancerre. Der Deutsche holt das Chemie-Besteck und analysiert Haut und Gräten auf toxische Reststoffe. Arbeitsteilung in Europa. Sind sie so, die Deutschen? Ein Volk in Moll, umstellt von entnadelten Wäldern, von Rinderwahnsinn, Reaktoren und Raketen? Die Weltmeister der Umweltangst? Die ökologischen Saubermänner?

Unbestritten haben die Deutschen unter den großen Industrienationen noch das ausgeprägteste Umweltbewußtsein. Nirgendwo sonst haben die Grünen als ökologische Partei einen ähnlichen Einfluß. In keinem anderen Land sammelt Greenpeace mehr Geld und Applaus. Auch Ozonloch und Treibhaus, Tschernobyl, Bhopal und Seveso haben in Deutschland mehr Emotionen ausgelöst als in anderen Ländern. Und wo sonst wird mit soviel Hingabe Müll sortiert, Papier recycelt, für Kröten gebremst?

Nur: Keiner weiß so recht warum. Alle Versuche, der Nation auf die grünen Schliche zu kommen, bleiben seltsam vage. Unsere Natur- und Umweltliebe wird im Berliner Umweltbundesamt als moderne Fortsetzung des deutschen Idealismus gedeutet. Die Werte des Idealismus, ebenso wie die der deutschen Romantik, zählen an unseren Schulen bekanntlich zum Standardrepertoire.

Mit Sigmund Freud ließe sich dann über den zwanghaft-analen Charakter der Deutschen spekulieren. Dieser Menschentyp ist auf seine (auch industriellen) Ausscheidungen fixiert, die ihn ängstigen und ständig beschäftigen. Historiker wiederum sehen eine Sehnsucht nach der Opferrolle, die uns Deutsche an die Umweltkatastrophe bindet: Endlich weg von der Täterrolle von Auschwitz. Der Spiegel fragte, ob „die Bestrafungserwartung nach dem kollektiven Ausrasten von 1933–1945 nicht erfüllt ist“ und deshalb so ängstlich auf die drohende Umweltkatastrophe geblickt wird. Womöglich ist das Umweltbewußtsein der Deutschen auch nur eine natürliche Gegenbewegung zur Technikgläubigkeit, die nach dem Krieg die Führergläubigkeit abgelöst hat. Bleibt schließlich noch das deutsche Gen des Rigorosen und Besonders-Gründlichen, das unauslöschlich in unseren Erbanlagen zu schlummern scheint und sich jetzt in der Rettung der Umwelt austobt. Soweit die Theorie.

In der Praxis sieht alles ganz anders aus. Schon beginnen die Widersprüche. Die Deutschen sind nämlich nach Angaben von SIPRI auch der zweitgrößte Rüstungsexporteur der Erde. Sie produzieren in ihren drei großen Chemiekonzernen BASF, Hoechst und Bayer das meiste Gift und stellen dank ihrer exportaggressiven Automobilindustrie den Globus mit stinkenden Blechungetümen aus heimischer Wertarbeit voll. Allein im vergangenen Jahr exportierten die deutschen Autobauer 2.466.000 Pkws in alle Welt, neun Prozent mehr als im Vorjahr. Naturverbrauch, Ressourcenplünderung, Energievergeudung, Müllexport – auch hier zählen die Deutschen zur Spitze. Das Statistische Bundesamt beziffert den jährlichen deutschen Export von Sondermüll auf 900.000 Tonnen. Beim Giftmüll- Tourismus sind die Deutschen damit Pro-Kopf-Weltmeister.

Wie verträgt sich das mit ihrem glorreichen Umweltbewußtsein? Vielleicht so: Wer als Öko-Moralist gilt, tut sich entschieden leichter, wenn er gleichzeitig Autos, Gift und Kanonen verkaufen will. Zudem gilt es, Unfälle und Katastrophen zu verhindern, weil jeder GAU die Exportchancen für potentielle Killergüter empfindlich einschränkt.

Der internationale Vergleich zeigt: In der EU liegen die Deutschen hinter Dänemark, den Niederlanden und Schweden mit ihrer Umweltbilanz im oberen Mittelfeld, so eine Studie des „National Center for Economic Alternatives“. Auch die Bundesrepublik ist weit davon entfernt, den Niedergang der Umwelt in ihrem Land zu stoppen. Längst steht fest, daß die Regierung Kohl ihr großes Versprechen einer 25-30prozentigen Reduzierung des Klimakillers Kohlendioxid bis 2005 nicht einhalten kann.

Schuld daran ist auch der immer monströsere Verkehr. Im vergangenen Jahr wurde die Schallmauer von 40 Millionen zugelassenen Pkws auf deutschen Straßen durchbrochen. Eine Studie von BMW beziffert die wirtschaftlichen Verluste durch Dauerstaus auf jährlich 200 Milliarden Mark. Das ist sehr hoch gegriffen – BMW will mit solchen Zahlen mehr Straßenbau durchsetzen –, aber es zeigt die Größenordnung an. Auch die Chemie- und Giftproduktion nimmt weiter zu. Alle drei großen Chemiekonzerne meldeten zuletzt üppige Rekordzahlen und Gewinnsprünge.

Inzwischen sind in Deutschland die Ökologen unübersehbar auf dem Rückzug. Soziale Verschlankung heißt die Parole der Stunde. Wenn es um Massenarbeitslosigkeit und soziale Demontage geht, hört der Öko-Spaß ganz schnell auf. Dann nimmt die Umwelt eine Auszeit. Wir konstatieren: Ökologie bleibt für die Regierung Kohl und große Teile der SPD eine grüne Garnierung, die auf Zeiten der Prosperität beschränkt ist.

Im Trend der Zeit stellen inzwischen selbst die Grünen, die ihre Existenz der Umwelt- und Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre verdanken, die Ökologie in die zweite Reihe. Die wichtigsten Partei-Veröffentlichungen der letzten Jahre widmen sich eher der Außen- und Sozialpolitik. Bosnien, Bundeswehr-Einsätze, Rente und Neuverteilung der Arbeit hießen die Themen. Und dort, wo die Grünen mitregieren, wie in Nordrhein-Westfalen und Hessen, ist auch nicht gerade die Öko-Revolution ausgebrochen. Die wenigen Veränderungen sind kaum spürbar. Rot-Grün wird immer grauer. Konzepte sind Mangelware.

Wie geht es weiter mit den umweltbewußten Deutschen? Trotz des gegenwärtigen Rollbacks der grünen Werte gibt es auch Grund zum Optimismus. Unabhängig von der Bonner Politik haben nämlich Umwelt und Natur die Nation tatsächlich infiziert. In den Medien, in Bilderbüchern, Werbeanzeigen, Schulbüchern, an Stammtischen, bei Kaffeekränzchen, in Talkshows, Hörsälen, Kirchen und Kindergärten sind Natur und Umwelt omnipräsent. Und trotz der alles bestimmenden sozialen Debatte halten noch immer 26 Prozent aller Deutschen Umweltpolitik für die wichtigste Aufgabe. Ob dieses Bewußtsein in der Krise Bestand hat? Manfred Kriener

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