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DaumenkinoFliegender Albino

■ „Powder“ – Film von Victor Slava

Krankenwagen, Sirenen, Nacht, es regnet: Die Schwangere ist vom Blitz getroffen und stirbt, aber das Kind wird gerettet. Es ist ein Albino.

Auftritt des Vaters – mit schreckgeweiteten Augen. Und das ist garantiert nicht das letzte Mal. Abgang Vater. Auftritt Großvater (liegt tot auf dem Läufer im Wohnzimmer). Abgang Großvater (in Holzkiste). Zweiter Auftritt Albino (traut sich nicht aus dem Keller). Auftritt Sheriff (sehr verständnisvoll), dann die Psychologin (überaus verständnisvoll). Auftritt Physiklehrer (noch verständnisvoller). Auftritt Klassenkameradin (ganz doll verständnisvoll). Auftritt der Schulrabauken (gar nicht verständnisvoll). So geht es weiter.

Was ganz harmlos kasparhausermäßig begann, wird zum Mysterienkuddelmuddel. Denn der Blitz hat aus dem Kinde ein Mischung aus sämtlichen verfügbaren Superhelden gemacht – Uri Geller inklusive: Energie bündeln, Löffel durch die Gegend zischen lassen, Hyperintelligenz, Gedankenlesen, Tote zum Leben erwecken – alles kein Problem, selbst fliegen kann der Albino. Fehlt nur noch, daß er über das Wasser wandelt. Und weil der bläßliche Schlauberger bisher vom echten Leben so entfernt gehalten wurde, ist er auch noch irre wissenshungrig, wie es sich für ein Menschenkind geziemt. Er hat viele weise Weisheiten zu verkünden, weil sein Blick ja noch so unverstellt ist. Die Folge ist, daß sich alle verfügbaren Nettigkeitsinstanzen der typischen amerikanischen Kleinstadt verbünden, damit der Junge ein bißchen von der Zivilisation mitbekommt. Das will er auch, klappt aber nicht. Gefällt ihm gar nicht. Hat Jesus damals ja auch nicht. Und wahrlich, meine Freunde, ich sage Euch, der Scheißkerl fuhr zum Ende hin tatsächlich in den Himmel auf.

Ohne auch nur ein kleines bißchen zu übertreiben kann ich sagen, dies ist das Ärgerlichste, Belämmertste, Dämlichste, Debilste, Dümmste, Erbärmlichste, Hirnloseste, Mieseste, Peinlichste, Schlechteste, Schwachsinnigste, Übelste, Überflüssigste, Unerträglichste, Unfaßbarste, Unglaublichste (in alphabetischer Reihenfolge), was ich seit der Erfindung des Klingelhöschens für Bettnässer gesehen habe. Dieser Film landete beim amerikanischen Rolling Stone gleich hinter „Showgirls“ als zweitschlechtester Film 1995. Ich habe auch „Showgirls“ gesehen und finde, es ist ihm ein großes Unrecht geschehen. Thomas Winkler

Regie und Buch: Victor Slava. Mit Mary Steenburgen, Sean Patrick Flanery, Jeff Goldblum, 111 Min., USA 1995

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