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Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention

■ Experten meinen: Seit der Asylentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bieten internationale Regelungen inzwischen mehr Schutz als das deutsche Recht

Berlin (taz) – Mit seinem Asylurteil hat das Bundesverfassungsgericht selbst die flüchtlingspolitischen Mindeststandards unterschritten, zu deren Einhaltung die Bundesrepublik sich durch internationale Abkommen verpflichtet hat. Die Karlsruher Richter, so der Frankfurter Asylrechtsexperte Victor Pfaff, „haben eine Regelung bestätigt, die das Herzstück der Genfer Flüchtlingskonvention durchbricht. Deutschland ist an mehreren Punkten aus dem internationalen Schutzsystem ausgestiegen.“ Pfaffs geharnischte Kritik beruht auf einer ersten eingehenden Analyse des Karlsruher Urteils, die der Jurist jetzt auf einem Kolloquium in Berlin vortrug. Die Tagung wurde von der Berliner Ausländerbeauftragten und der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz organisiert.

Konkrete Perspektiven aufzuzeigen fiel den versammelten Fachleuten jedoch schwer. Zu viele Einschränkungen hat das Asylgrundrecht im Laufe seiner über 40jährigen Geschichte erfahren, und jedesmal warnten die Kritiker, die neuerliche Restriktion bedeute nun aber endgültig seine Abschaffung. Jetzt sei das bundesdeutsche Asylrecht tatsächlich auf ein Niveau heruntergeschraubt, wo man ernsthaft über seine Verzichtbarkeit diskutieren müsse.

Selbst das Schengener Abkommen, von Flüchtlingsgruppen und Asylexperten einst heftig als Rückschritt bekämpft, bietet Flüchtlingen heute mehr Schutz als die vom Bundesverfassungsgericht abgesegnete Drittstaatenregelung. Nach dem Vertrag von Schengen haben Flüchtlinge zumindest einen Anspruch auf staatliche Überprüfung ihres Asylgesuchs in einem der Vertragsstaaten. Nach dem neuen deutschen Asylrecht können sie ohne rechtliches Gehör in einen Dritt- und von dort in einen Viert- und Fünftstaat bis ins Verfolgerland weitergeschoben werden.

„Ein fundamentaler Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention“, die eine Rückschiebung in den Heimatstaat verbietet, urteilte Victor Pfaff. Der Asylrechtsexperte sprach sich deshalb dafür aus, für internationale Abkommen zu kämpfen: „Wenn man die Genfer Flüchtlingskonvention wirklich einfordert, braucht man dieses Asylgrundrecht nicht mehr.“ Andere Experten warnten, die Bundesrepublik könne eher zum Vorreiter werden, Schutzabkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention zu durchlöchern. „Die Bundesrepublik“, so der Berliner Jurist Professor Peter Knösel, „ist derart weit von zivilisierten Standards entfernt, daß es eine Utopie wäre zu glauben, sie ließe sich auf internationaler Ebene in eine positive Richtung bewegen.“ Vera Gaserow

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