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„Wir können jederzeit reden“

■ Schulsenatorin Rosemarie Raab im Gespräch über die GEW, neue Arbeitszeitmodelle, drohende Umsetzungen von Lehrern und Teilzeitarbeit

taz: „Lehrerarbeitslosigkeit vergrößert, Bildungsstandards verschlechtert, Lehrerarbeitszeit verlängert, Unruhe in die Schulen getragen.“ Was sagen Sie zu diesem negativen Fazit, das die GEW über den 95er Schuletat zieht?

Rosemarie Raab: Es ist ein Beleg für die Standortgebundenheit der Wahrnehmung. Richtig ist, daß die Unterrichtsverpflichtung im kommenden Schuljahr für alle Lehrer um eine Unterrichtsstunde verlängert wird. Auch wird die Entscheidung des Senats, den Lehrerstellenplan bis 1997 zu deckeln, Neueinstellungen begrenzen. Aber falsch ist, daß durch die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung die Arbeitslosigkeit zunimmt. Egal welche Umschichtungen wir vornehmen, das Stellenvolumen bleibt gleich. Und falsch ist auch, daß Bildungsstandards verschlechtert würden. Der Grundsatz für diesen Haushalt war, zu verhindern, daß sich Bildungschancen von Schülern verschlechtern. Das habe ich erreicht.

Lehrer fürchten ein „Umsetzungskarussell“ infolge Ihrer Sparmaßnahme. Können Sie uns sagen, wieviele Lehrer 1995 die Schule wechseln müssen?

Das läßt sich abschließend erst im Frühsommer sagen. Aber soviel zum Hintergrund: Wir haben insgesamt eine ausgeglichene Lehrerversorgung – das Defizit beträgt gerade mal 0,2 Prozent. Betrachten wir aber die einzelnen Schulformen, ergibt sich ein ganz anderes Bild. So fehlen uns bei den Grund-, Haupt- und Realschulen 83 Stellen. Dagegen haben wir im Gymnasialbereich ein Plus von 121 Stellen. In den Gesamtschulen steigt das Defizit bis 1997 auf ca. 200 Stellen, während es im Bereich der beruflichen Schulen einen Überhang von etwa 280 Stellen geben wird. Wenn wir nicht gegensteuern.

Also, was tun Sie?

Wir werden zunächst die durch Pensionierung freiwerdenden Stellen an Schulen umschichten, in denen sie gebraucht werden.

Dann fehlen den Gymnasien junge Kollegen, die verhindern, daß der Altersschnitt steigt.

Das wird davon abhängen, wieviele Neueinstellungen wir dort trotzdem vornehmen können. Und das wiederum hängt vom Erfolg der geplanten Maßnahmen ab. In dem Umfang, in dem Lehrer zum Beispiel auf Teilzeitbeschäftigung gehen, können wir Stellen mit jungen Kollegen besetzen. Ein dritter Baustein ist die Bereitschaft der KollegInnen, ganz oder mit einem Teil der Stunden in andere Schulformen zu wechseln. Eine vierte Maßnahme ist die Verlagerung von Aufgaben. Beispielsweise lassen sich Auffangklassen für Ausländer und Aussiedler an Gymnasien einrichten, damit sich dort der Bedarf erhöht.

Zu Zwangsumsetzungen kommen wir ganz am Ende. Wir hoffen sehr, daß alle anderen Maßnahmen ausreichen, damit wir dies verhindern können. Zurück zur Altersfrage: Ich denke schon, daß die Stellenverlagerung das Durchschnittsalter der Gymnasiallehrer erhöht. Die Chance der Kollegien, dagegen etwas zu tun, ist Teilzeitbeschäftigung.

Und dazu ermutigen Sie? Es ist von einem entsprechenden Weihnachtsbrief die Rede.

Das Amt wird in den nächsten Tagen ein Schreiben herausgeben, das unter anderem über Möglichkeiten für Teilzeitbeschäftigung informiert. Zum Beispiel gibt es eine gesetzliche Neuregelung, die Altersteilzeit bereits mit 50 Jahren ermöglicht. Bisher ging dies erst ab 55. Und wir garantieren, daß alle Stellen, die dadurch frei werden, nicht etwa in den großen Spartopf der Hansestadt Hamburg geraten.

In fünf Jahren hat der ,Schülerberg' die Gymnasien erreicht. Besteht der Mangel dann dort?

Nein. Im übrigen sind die Umsetzungen befristet. Wer will, kann dann in die alte Schulform zurückkehren.

Das ist planerisch gewünscht?

Aber ja. Wir haben ja in fünf Jahren eine viel höhere Pensionierungsrate und damit auch weit größere Möglichkeiten, Stellen ohne Personen zu verschieben.

Ende Dezember in der Haushaltsdebatte sagten Sie, Sie hätten frühzeitig Alternativen zur Arbeitszeitverlängerung genannt, nur hätten sich die Lehrerverbände der Diskussion verweigert.

Das stimmt so nicht. Ich habe gesagt, daß ich für das erforderliche Umschichtungsvolumen Alternativen genannt habe: Zum Beispiel die Verkürzung der Ferien statt der linearen Pflichtstundenerhöhung. Und ich habe im Sommer anläßlich der Verkündung der Maßnahmen gesagt, daß ich eine Diskussion über alternative Arbeitszeitmodelle unterstützen würde, wie sie in anderen Bundesländern geführt wird.

Sie betonen, daß es kein Sparen auf Kosten der Kinder geben soll. Wenn Sie nun sagen: wir packen eine Stunde drauf und verteilen das anders, besteht nicht die Gefahr, daß am Ende den Schülern Aufmerksamkeit entzogen wird?

Es gab Äußerungen einzelner Lehrer, die sagten, sie geben es an die Schüler weiter, machen Korrekturen während des Unterrichts oder führen keine Klassenreisen mehr durch. Ich nehme das zur Kenntnis, denke aber, daß sie nicht ernst gemeint sind. Abgesehen davon sollten wir Lösungen finden – da bin ich auch für die Anregungen der GAL sehr dankbar –, wie man Schule so gestalten kann, daß subjektive Belastungen reduziert werden können. Die heutige Organisation der Schule trägt dazu bei, daß sich Lehrer und übrigens auch Schüler hochbelastet fühlen.

Es gibt in der GEW einen Streit, ob man mit Ihnen über Arbeitszeitmodelle verhandeln sollte. Sind Sie überhaupt bereit dazu?

Selbstverständlich. Allerdings mit einer Einschränkung: Es sollte nicht die Illusion bestehen, daß damit das Gesamtvolumen an Unterrichtsstunden, das durch die Erhöhung erzielt wird, reduziert werden könnte. Die Zahl der Unterrichtsstunden muß erbracht werden. Aber wie, darüber kann verhandelt werden.

Ist es nicht zu spät? Die Verlängerung der Arbeitszeit soll ab August gelten.

Nein, überhaupt nicht. Wir können zu jedem Zeitpunkt über neue Arbeitszeitmodelle beraten. Die einzig fixe Größe ist das Volumen der insgesamt zu leistenden Unterrichtsstunden. wir haben zur Zeit 14.153 Stellen, das entspricht rund 354.000 Lehrerwochenstunden. Im Sommer kommen rund 14.000 Stunden hinzu, macht 368.000 Lehrerwochenstunden. Diese Stundenzahl muß erbracht werden. Aber bei der Verteilung der Unterrichtsverpflichtung gibt es Spielraum. Die Frage ist zum Beispiel, ob ein Sportlehrer dieselbe Unterrichtsverpflichtung haben muß wie ein Deutschlehrer. Auch ob ein Gymnasiallehrer 24 Stunden unterrichten muß, ein Haupt- und Grundschullehrer aber 28, ist sehr wohl diskutierbar. Ein anderes Modell sieht vor, Aufgaben, für die zur Zeit individuelle Entlastung gewährt wird, im Rahmen von Präsenzzeitmodellen wahrzunehmen. Das heißt, jeder Lehrer arbeitet von 8 bis 16 Uhr, und in dieser Zeit gibt er Unterricht und leistet alle weiteren Aufgaben.

Da kommen Sie mit dem 38,5-Stunden-Modell der GAL nicht hin.

Doch, doch. Wenn man die Ferienzeiten umrechnet, können sie über 41 Wochenstunden arbeiten.

Seriöse Untersuchungen besagen, daß die Lehrerarbeitszeit bereinigt um die Ferien über 50 Stunden beträgt.

Eine neuere Untersuchung ist mir nicht bekannt. Ich halte diese Debatte auch für vollkommen überflüssig. Eine Alternative ist nur dann alternativ, wenn sie sich auf die Rahmenbedingungen einläßt.

Jeder Lehrer hätte also eine fixe Zeit zu arbeiten?

Ja, und in dieser Zeit wären ein bestimmtes Unterrichtsvolumen zu erteilen und Unterrichtsvorbereitung, Korrekturen, Elterngespräche, Schülerberatung, Fortbildung, Konferenzen, Koordination, die Pflege von Sammlungen und so weiter zu leisten. Man wird die Stundenzuweisung je nach Schulform sehr unterschiedlich vornehmen müssen, da steckt eine Menge Arbeit drin. Wir können nicht sagen, alle arbeiten 38,5 Stunden und das war's. Die Entwicklung eines solchen Arbeitszeitmodells ist ein sehr anspruchsvolles Vorhaben. Deswegen sage ich: Es ist nichts, was die Politik verordnen könnte oder sollte. Das muß von den Schulen auch getragen werden. Die Lehrer müssen am Ende das Gefühl haben, daß es auch gerecht ist.

Das Gespräch führte

Kaija Kutter

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