: „Der psychische Druck auf die Gefangenen ist ganz enorm“
■ Vertreter des Hamburger Flüchtlingsrates im taz-Interview über Glasmoor: Drohungen und Besuchsverbote
taz: Der Leiter des Hamburger Strafvollzugsamts, Raben, sagt, die Haftbedingungen in Glasmoor orientierten sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Hamburger Flüchtlingsrat: Das ist zynisch. Diese Knäste sind extra errichtet worden, um Massenabschiebungen schneller durchführen zu können. Dahinter steckt das neue Asylrecht. Unser vorrangiges Ziel ist, daß die Abschiebeknäste abgeschafft werden.
Juristisch handelt es sich bei den Gefangenen in Glasmoor gar nicht um Flüchtlinge ...
Natürlich sind sie das. Es gibt ganz viele Flüchtlinge, die hier sind, und gar keinen Asylantrag stellen. Immer mehr Flüchtlinge leben in der Illegalität. Wenn man sich Zahlen anschaut, sieht man, daß weniger als 40 Prozent der Menschen, die in Abschiebeknästen sitzen, tatsächlich abgelehnte Asylbewerber sind. Der Rest sind Leute, die bei Razzien oder Kontrollen auffliegen.
Es gibt auch Menschen, die nicht weg müssen, sondern weg wollen. Gründe, die zur Flucht veranlassen, sind nicht immer objektivierbar und von deutschen Behörden überprüfbar.
Sie sagen, daß sich zwei Häftlinge bereits seit elf Monaten in Glasmoor befinden. Sind denn wenigstens die Haftbedingungen human?
Welche Haftbedingungen sind schon human! Die Haftbedingungen sind härter als im Normalvollzug. Das ist das gesetzliche Minimum, was da gegeben ist.
Wie sieht denn ein Häftlingsalltag aus?
Die Flüchtlinge hocken 23 Stunden am Tag zu sechst in einer Zelle und dürfen nichts machen. Es gibt noch nicht einmal eine Tischtennisplatte. Morgens haben sie eine Stunde Hofgang pro Trakt, zu unterschiedlichen Zeiten. Es gibt zwar einen Fernseher, aber der empfängt nur deutsche Programme, die sie nicht verstehen. Telefonieren dürfen sie nur alle zugleich an einem Apparat zwischen 16 und 17 Uhr.
Die Gefangenen haben die Möglichkeit, eine Stunde im Monat Besucht zu empfangen. Aber viele Gefangene kennen hier keinen Menschen. Das ist der Hintergrund unserer Initiative. Ohne unsere Besuche hätten die gar keinen Kontakt zur Außenwelt. Leuten aber, die am Zaun stehen und mit den Gefangenen reden wollen, wird mit Besuchsverbot gedroht.
Der psychische Druck ist ganz enorm. In Glasmoor werden unheimlich viele Tabletten genommen. Es gibt Drohungen, sie würden verschoben ins Untersu-chungsgefängnis Holstenglacis. Da ist die Situation wesentlich schlechter.
Nach Auskunft des Strafvollzugsamts steht den Gefangenen ein Sozialpädagoge und ein Pfarrer zur Seite ...
Es hat einen Kontakt zwischen uns und der evangelischen Kirche gegeben. Seit November wird mehr Leuten klar, was das eigentlich für ein Knast ist. Die Kirchen haben den ganzen Dezember über Sonntagsspaziergänge genehmigt bekommen. Da haben auch von denen viele gesehen, was Glasmoor in Wirklichkeit ist.
Auch die GAL erhebt Vorwürfe, daß Häftlinge mißhandelt wurden. Können Sie das konkretisieren?
Wir wissen von einem Häftling, der zwei Tage nach der Protestaktion im November geschlagen wurde. Am selben Tag noch wurde er verlegt.
Das ist aber nur die Spitze des Eisberges. Die Gefangenen haben Angst, davon zu erzählen. Gefangenen wird mit Verlegung gedroht, wenn sie ans Fenster gehen. Viele Gefangene freuen sich zwar über die sonntäglichen Kundgebungen, aber die Angst vor Repressionen ist größer.
Sie fordern für den Flüchtlingsrat ein Besuchs- und Betreuungsrecht in Glasmoor ...
Es sollte so sein, daß ein paar Leute ein Recht auf Besuch zu jeder Zeit haben. Die offiziellen Besuchszeiten sind auf Zeiten beschränkt, wo nur wenige Leute können. Wir wollen den Kontakt aufrechterhalten und gucken, was da passiert.
Es gibt zum einen die Aktionen, die die Gefangenen selber machen. Zum anderen gibt es zunehmend kleinere Aktionen, z.B. daß sich Flüchtlinge selbst verstümmeln, um irgendwie da raus zu kommen. Das häuft sich. Deshalb kommen auch immer mehr Leute dahin, sich einzumischen und Widerstand zu leisten. Fragen: Rainer Schäfer / Fritz Gleiß
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