: Lippen zwischen allen Gesichtern
■ Theatermann Dieter Seidel inszeniert mit dem Theater N.N. Stücke über das Schauspielerleben
Wie lebt der Schauspieler, immer gespalten zwischen allen Gestalten, die er gibt, allen Monologen, die sein Berufsleben ausmachen und zwischen denen er sich nicht verlieren darf? Glanz und vor allem Elend des Theaters ist ein schönes Theaterthema, und nicht nur Thomas Bernhard hat es sehr gemocht. In Ich, Feuerbach hat auch Tankred Dorst den Spannungs- bogen zwischen Sein oder Nicht- sein des Theatermenschen dargestellt. Der alte Schauspieler Feuerbach wartet da auf einer Hinterbühne auf den großen Regisseur, dem er vorsprechen soll. Nur der Regieassistent hat etwas Zeit für ihn, der Meister läßt ihn warten. Inzwischen prahlt der alte Mime, verstrickt sich in seiner Angst immer tiefer in Gewesenes und Erwünschtes, läßt die Existenznot aus sich ausbrechen – und scheitert schließlich, als der Regisseur dann doch noch kommt, kläglich daran, die Existenznot Torquato Tassos glaubhaft darzustellen. Auch Heiner Müllers Hamletmaschine spielt mit dem Spielen. Fünf Szenen werden hier zur Daseinsbeschreibung des Darstellenden in verschiedenen Kontexten – vom ungarischen Aufstand 1956 bis zu Müllers eigener Rolle.
Regisseur Dieter Seidel, der zuletzt Du bist meine Mutter im Schmidt erfolgreich inszenierte, hat die beiden Dramen zu einem Abend zusammengefaßt, den sein Theater N.N. nun im theatron gibt. „Eigentlich sollte es Stücke über Theater heißen“, erklärt Seidel, der als Regisseur in der DDR anfing und seit 1989 in Hamburg auch als Schauspiellehrer arbeitete.
Seine Anfang des Jahres gegründete eigene Truppe, ein lockerer Zusammenschluß von vierzehn jungen Darstellerinnen und Darstellern zwischen 22 und 28 Jahren, die eben oder vor kurzem ihre Ausbildung beendet haben sowie einigen „gestandenen“ Akteuren, hat sich eben das als Inhalt und Ziel gesetzt: Die Arbeit mit dem rohen Material des Theaters, dem Körper der Darsteller, der leeren, kargen Bühne. Hier soll das Wort wirken und die Kraft derjenigen, die in die Rollen schlüpfen. Kein Wunder, daß genau diese beiden so völlig unterschiedlichen und in der Thematik doch so nahen Texte den Theatermann lockten. „Wir wollten hinter die Kulissen schauen lassen“, sagt er, und das tut man nun auch. Im theatron werden beide Texte auf leergeräumter Bühne zu sehen sein. Nicht einmal die Hinterbühne wird noch verdeckt. Die Illusion wird hier nur durch das gesprochene Wort geschaffen, durch das Spiel miteinander. Meist nachts proben jetzt die Schauspieler – Thomas Griess als Feuerbach, Kai Ramczyk als Assistent, Thorsten Wien als Hamletdarsteller und Vivien Schnepel als Ophelia – ihre komplizierten Rollen. Es bleiben ihnen nur die Nächte: Natürlich kann das neue Theater N.N. niemanden ernähren. Das Geld bring- en Kellnerjobs. Das Glück die Rollen.
Thomas Plaichinger
Premiere heute, 20.07 Uhr, theatron, Glashüttenstr. 115; Aufführungen bis Sonntag
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