piwik no script img

Die Weltordnung im kleinen

Staaten rangeln um Standorte für Botschaften. Reiche Länder drängen in die Mitte oder ins Grüne. Grundstücke für arme Länder zu teuer  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wenn Paolo Faiola, Generalkonsul von Italien, von der alten Residenz an der Tiergartenstraße spricht, kommt er ins Schwärmen. Doch nicht die alten Zeiten des kriegsbeschädigten Botschaftsgebäudes, das von 1938 bis 1942 entstand, interessieren ihn. Faiola beschäftigen vielmehr die Renovierungsarbeiten für das monumentale Monstrum, in dem noch im Mai 1945 Mussolinis Botschafter Anfuso im Luftschutzkeller Champagner schlürfte.

„Natürlich werden wir die historische Erscheinung nicht durch Anbauten verändern, denn der Bau und sein Innenhof stehen unter Denkmalschutz.“ Das Innere aber werde nach den Plänen des römischen Architekten Vittorio De Feo saniert und „weitgehend“ zeitgemäß gestaltet. In zwei, drei Jahren, so hofft er, könnte die italienische Botschaft wieder einziehen und alle Räume nutzen. Sicher? „Wann kommt die Bundesregierung nach Berlin?“ lautet seine Gegenfrage, und der Generalkonsul lächelt.

Für die Mehrzahl der Staaten, die ihre Missionen im Tiergartenviertel, am Pariser Platz sowie nahe der Straße Unter den Linden ansiedeln wollen, bedeutet der Übersiedlungstermin von Parlament und Regierung vom Rhein an die Spree das Alpha und Omega für ihre eigenen Umzugspläne. So habe die Erklärung der Bundesregierung Ende vergangenen Jahres, den nächsten Bundespräsidenten 1999 im fertiggestellten Reichstag zu wählen und das Außenministerium in das frühere ZK-Gebäude am Schloßplatz zu stecken, einem wahren Aktivitätsschub bei den 154 Staaten ausgelöst, die bei der Bundesregierung akkreditiert sind, erinnert sich Faiolo.

Während für die 6.000 bis 7.000 Botschaftsangestellten die Wohnungsfrage noch als sekundär betrachtet wird, loten die Konsulate für ihre Missionen hektisch repräsentative Standorte aus. Architektenwettbewerbe werden ausgeschrieben, Villen besichtigt und Kanzleibüros am Kurfürstendmm oder in Mitte ausgeguckt. Insbesondere im alten Diplomatenviertel am Tiergarten, wo die Filetgrundstücke bereits verteilt sind, zurren die Staaten ihre Pläne für Aus- und Neubauten fest.

Acht Länder besitzen dort aus der Vorkriegszeit Liegenschaften: Neben Italien arbeitet das Außenministerium Spaniens derzeit an der Auslobung eines Bauwettbewerbs zur Sanierung des 8.000 Quadratmeter großen Botschaftskolosses an der Lichtensteinallee. Greifbar nahe erscheint der Umzugstermin auch für die fünf skandinavischen Botschafter. Auf dem 7.200 Quadratmeter großen Areal am Klingelhöfer Dreieck soll bis 1999 ein gemeinsames Botschaftsensemble für Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark und Island entstehen: einzelne kleine Residenzen in nordisch-kühler und moderner Handschrift – mal aus Holz, mal aus Glas, mal aus Stahl – mal dreieckig, mal geschwungen, mal verzweigt.

Ebenso wie bei der Schweizer Botschaft im Spreebogen, deren Erweiterung erst nach der „Deckelung“ des Tiergartentunnels erfolgen kann, laufen auch die Bauvorbereitungen der Esten und Griechen auf Hochtouren. Zur Ruine verkommen waren deren Niederlassungen an der Hiroschimastraße im dornröschenhaften Zeitenstillstand zwischen 1945 und 1989. Vegetation wucherte in den verlassenen Gemäuern, Müll vergewaltigte die Gärten, Hunde wurden vor den Türen dressiert. „Wir hoffen, in diesem Jahr den Architektenwettbewerb ausschreiben zu können“, so Maria Marinake, Generalkonsulin von Griechenland. Ob das verfallene Palais aus dem 19. Jahrhundert gerettet werden kann, werde danach entschieden.

An die Tiergartenstraße zurückgekehrt sind auch die Türkei, Südafrika und Ägypten, die nach millionenschweren Zukäufen ihre Grundstücke neu bebauen wollen. Damit im historischen Diplomatenviertel die Botschaften sich nicht Hauswand an Hauswand drängen, ließ der Senat für das 22 Hektar große Gelände ein Bau- und Landschaftskonzept erarbeiten, das Architektur und Natur in ein vernünftiges Verhältnis bringen soll. Zwar muß das Robinienwäldchen weichen, für deren Erhalt sich der Bezirk Moabit und die Bündnisgrünen eingesetzt haben. Das Konzept, erklärt der Planer Heinz Tibbe, sehe jedoch keine hohe bauliche Dichte, sondern eine offene Bauweise mit einzelnen Palais und Gärten zur Tiergartenseite vor.

Den wenigen Raum dort teilen sich bereits Österreich, die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Bundesländer Bremen, Schleswig- Holstein. Erst in dieser Woche ergatterte Baden-Württemberg vom Bund für 28 Millionen Mark eine 5.700 Quadratmeter große Parzelle für seine Ländervertretung. Ambitionen für einen Logenplatz nahe dem zukünftigen Regierungsviertel signalisieren Argentinien, aber auch Mexiko, dessen Außenstellenleiter es als seine „Hauptaufgabe“ ansieht, einen Botschaftsstandort zu suchen.

Fast scheinen die Standorte der Missionen die Weltordnung im kleinen zu spiegeln, teilen sie sich doch in erstklassig bis mäßig, reich bis ärmlich, in erste, zweite und dritte Lagen. Am Pariser Platz logieren – wie vor dem Zweiten Weltkrieg – die Supermächtigen und -reichen: Die USA, England und Frankreich heben für ihre wuchtigen und postmodernen Architekturen noch in diesem Jahr die Baugruben aus. Einen Steinwurf weiter ducken sich – noch ganz Symbole politischer Abhängigkeit – die Konsulate Ungarns, Polens und Tschechiens im Schatten der russischen Botschaft an der Straße Unter den Linden. Deren weite Hallen sind heute ebenso verwaist wie die sowjetische Diplomatenstadt an der Behrenstraße. Wo einst mehrere hundert Angestellte und Mitarbeiter der Botschaft wohnten, leben heute noch knapp dreißig Staatsbeamte.

Während sich im noblen Pankower Dichterviertel die wirtschaftlichen Aufsteiger niederlassen wollen – China etwa besitzt in der Arnold-Zweig-Straße ein 16.000 Quadratmeter großes Grundstück, Indien möchte an den Majakowskiring – bleiben für die armen Länder rund 60 Etagen- oder Gemeinschaftsbotschaften am Pankower U-Bahnhof Vinetastraße und in Hohenschönhausen. Denn fünf Millionen Mark für eine Villa in Pankow – das ist das Mindestangebot der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG), die die Gebäude aus dem Bundesbesitz veräußert – können kleine lateinamerikanische und afrikanische Staaten wie beispielsweise Burkina Faso kaum aufbringen. Daß die politischen Underdogs ins abgewickelte DDR-Botschaftsviertel abgedrängt werden und fernab vom politischen Establishment und den Partys mit Wirtschaftsführern sowie den Botschaftergattinnen die dritte Geige spielen müssen, belegt einmal mehr die Hierarchie im großen wie im kleinen.

Für diese Länder – wie für andere diplomatische Zielgruppen – haben der Bund und der Senat zwei „Botschaftsbörsen“ eingerichtet, um die Suche zu managen. „Wir liefern Informationen über die Vergabe von Immobilien oder Grundstücken, machen Sightseeings, vermitteln Kontakte zu potentiellen Anbietern und stellen Finanzierungsmodelle vor“, betont Robert Lindner, Mitarbeiter der Botschaftsbörse beim Landesverband freier Wohnungsunternehmer. Allerdings seien bislang auf die Präsentation von Gebäuden lediglich Anfragen eingegangen, so Lindner, – was daran liegen mag, daß die Börse noch recht jung ist und die Grundstückspreise, Villen und Mieten „aber viel zu teuer sind“, wie die Generalkonsulin von Burkina Faso jüngst monierte. So wird die Zukunft der Botschaftsbörse wohl darin liegen, reicheren diplomatischen Vertretungen ihre Wünsche zu erfüllen. Für die ärmeren Länder ist dagegen der Bund gefordert, ihnen hilfreich mit sogenannten Gegenseitigkeitsvereinbarungen (der Bund stellt in Berlin eine Immobilie zur Verfügung und erhält im Gegenzug vom Partner in dessen Land ein Grundstück) unter die Arme zu greifen.

Diplomaten sind angeblich distinguierte Menschen, die sich vom niemals fertigen Berlin und dem Getümmel der Großstadt noch nie so recht angezogen fühlten. Diplomatie ist eine Sache des Hinterzimmers – oder der kulturellen Selbstdarstellung, die sich in kleinen Städten à la Raumschiff Bonn nicht übel gestalten ließ. „Diplomaten, die um das Jahr 2000 von Bonn nach Berlin kommen, werden vielleicht feststellen, daß man einige Zeit braucht, um sich an diese größere, vielfältigere und vielleicht weniger komfortable Stadt zu gewöhnen“, meint Rosemary Spencer, Leiterin der Britischen Botschaft. So ist es nicht verwunderlich, daß sich heute ein dritter Standort für Missionen in Berlin herausschält, an dem es schon immer etwas ruhiger und gepflegter zuging.

In Konkurrenz zum Tiergarten, zu Mitte und zu Pankow entwickelt sich im Südwesten der Stadt – meist hinter hohen, begrünten, schmiedeeisernen Zäunen – ein drittes Botschaftsquartier, das quasi die Stadtentwicklung beeinflußt. Im Grunewald und in Wilmersdorf wollen sich Australien, Kuweit, Neuseeland und Äthiopien mit ihren Residenzen niederlassen. Ein Drink im Garten einer alten Villa, mögen sich die Botschafter gesagt haben, schmeckt doch besser als nahe der Staublunge Potsdamer Platz.

Über die Streuung der Missionen frohlockt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung natürlich. Ihre Standortplanung zielte immer gegen eine räumliche Konzentration und die „Monokultur der Botschaften“. Zur Entghettoisierung der Botschaften und ihrer Bewohner indessen gehört mehr als eine geschickte Verteilung im Stadtgrundriß. Solange Botschaften als exterritoriale Fluchtburgen, Paßstelle oder Spionagezentralen fungieren, bleibt ihre urbane Bedeutung marginal.

Im Berlin-Pavillon, Straße des 17. Juni, ist derzeit eine Ausstellung über die neuen Botschaften zu sehen. Öffnungszeiten täglich außer Montag von 11 bis 19 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen