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Folteropfer sind schutzlos

Selbst wenn sie mißhandelt wurden, haben ausländische Flüchtlinge nur geringe Chancen, im Asylverfahren anerkannt zu werden  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Wenn Ismail Baran * von der Vergangenheit erzählen soll, zittert er am ganzen Körper. Nachts quälen ihn Alpträume. Am Tage sackt er oft unvermittelt bewußtlos zusammen. „Posttraumatische Belastungsstörungen“ heißen diese Symptome. Damit umschreiben Mediziner und Psychologen die Folgen von Mißhandlung und Folter. Ismail Baran, Asylbewerber aus Kurdistan, hat im Laufe seiner Therapie im Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer ausführlich geschildert, was ihm in seiner Heimat widerfuhr. Für die Mediziner des Zentrums gehört der Kurde zu den Patienten, deren Schädigung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ auf Folter zurückzuführen ist. Mehrmals wurde Baran von den türkischen Sicherheitskräften inhaftiert, zuletzt steckten sie ihn zehn Tage lang in die Zelle und schlugen ihn bis zur Bewußtlosigkeit. Sechs Rippen hat man ihm dabei gebrochen, die Röntgenbilder belegen es.

All das hat Ismail Baran auch bei der Anhörung über seinen Asylantrag erzählt, genauer, er hat es versucht. Baran ist Analphabet. Der 36jährige Bauer ist im Reden nicht sehr geübt, schon gar nicht in fremder Umgebung und über ein so leidvolles Thema. Immer wenn er ansetzte, hatte der Mann hinter dem Schreibtisch eine Zwischenfrage: „Wann war das?“ „Wo war das?“ Vor allem aber interessierte den Beamten das eine: „Wann und auf welchem Weg sind Sie in die Bundesrepublik gelangt?“ Ganze sieben Seiten umfaßte schließlich das Anhörungsprotokoll – sieben Seiten für das Schicksal einer Verfolgung, durch die körperliche Gesundheit und Psyche zerstört wurden.

Wochen später kam der amtliche Bescheid, zusammengebastelt aus Textbausteinen aus dem Computer. Nicht einmal ein Viertel der Zeilen geht auf Barans individuelles Schicksal ein. 88 Prozent des Textes sind allgemeine Standardsätze. Der Asylantrag ist abgelehnt, „daß der Antragsteller kurzzeitig inhaftiert, geschlagen und gefoltert sein will, kann zu keiner anderen Beurteilung seines Asylbegehrens führen“. Weiter heißt es: „Es wird nicht verkannt, daß derartige Maßnahmen einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen“, doch handele es sich dabei um „Willkürmaßnahmen, gegen die auch Bürger anderer Länder nicht gänzlich gefeit sind“.

Ismail Barans Fall ist einer von vierzig, die der Berliner Arzt Sepp Graessner vom Behandlungszentrum für Folteropfer und der angehende Diplompsychologe Ralf Weber unter die Lupe genommen haben. Unter 200 Patienten des Behandlungszentrums haben sie vierzig ausgewählt, über deren Asylgesuch bereits entschieden worden ist. Fall für Fall haben Graessner und Weber die Protokolle der mündlichen Anhörungen vor dem Asylbundesamt und die Asylbescheide ausgewertet.

Das Ergebnis offenbart eine erschreckende Diskrepanz: Obwohl nach den Erkenntissen des Behandlungszentrums alle vierzig Flüchtlinge Opfer von Folter waren, sind nur sechs definitiv als Asylberechtigte anerkannt. Dreißig bekamen gleich in erster Instanz einen ablehnenden Bescheid. Alle Flüchtlinge hatten bei ihrer Anhörung die erlittenen Mißhandlungen thematisiert, doch dieser Schilderung wurde kein Gewicht beigemessen. In 65 Prozent der Fälle gewährte das Asylbundesamt nicht einmal den bei Gefolterten zwingenden und nach dem Ausländergesetz juristisch gebotenen Abschiebungsschutz.

Das im Behandlungszentrum nachgewiesene Foltertrauma nahmen die meisten Entscheider bestenfalls am Rande zur Kenntnis. Die Anhörungsprotokolle dokumentieren, daß die Befragungen in einer so abweisenden Atmosphäre stattfanden, daß gerade traumatisierte Flüchtlinge kaum Vertrauen fassen, über ihr Schicksal zu berichten. Obwohl alle vierzig ausgewählten Flüchtlinge bei ihrer Anhörung die erlittene Folter in der Haft zur Sprache brachten, fragten die Beamten nur bei einem Drittel der untersuchten Fälle nach. Sachlich knapp, oft genug unsensibel und schroff, arbeiteten sie ihren Fragenkatalog ab. Häufig unterbrachen sie ihr Gegenüber sogar mitten in der Schilderung von Mißhandlungen. Im Durchschnitt nahmen sich die Befrager für jede Anhörung knapp zwei Stunden Zeit, zieht man die Zeit für die Übersetzung ab, reduziert sich das Quantum auf die Hälfte. Vor allem weibliche Flüchtlinge, so zeigt die Studie, werden im Schnellverfahren abgefertigt. Eine der Anhörungen dauerte gerade mal fünfzehn Minuten.

Vanessa Graans' * Anhörungsprotokoll umfaßt nur sechs knappe Seiten, zwei davon widmen sich bloßen Verfahrensformalitäten. Bei ihrer Anhörung hatte die 28jährige Sekretärin aus Nigeria alle Scham überwunden und auch die Vergewaltigung im Polizeigefängnis geschildert. Doch das interessierte niemanden. Das Protokoll vermerkt keinerlei Nachfragen, statt dessen die Floskel: „Welche sonstigen Gründe würden einen Aufenthalt in der Bundesrepublik rechfertigen?“ Im Behandlungszentrum für Folteropfer haben die Fachleute keinen Zweifel daran, daß Vanessa Graans an den Folgen einer traumatischen Verfolgungsgeschichte leidet. Im Asylbundesamt befand man auf Grundlage von sechs dürren Seiten ihren „Sachvortrag“ für „unglaubhaft“, „zu blaß und unsubstantiiert“.

(* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.)

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