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Noch gibt es Pferdefrikadellen

Wiederaufstieg programmiert: Als Trainer des 1. FC Kaiserslautern hat Otto Rehhagel mit ähnlichen Erwartungen zu kämpfen wie in München – nur eine Liga darunter  ■ Aus Stuttgart Günter Rohrbacher-List

Daß es im eben angebrochenen Spieljahr 96/97 34mal um Zweitligapunkte geht anstatt um Zähler für Meisterschaft oder Uefa-Cup- Platz, ist manchem FCK-Anhänger erst vorgestern abend bewußt geworden. Nach dem ausgefallenen Heimspiel gegen die SpVgg. Unterhaching brach die rot-weiße Karawane aus ganz Rheinland- Pfalz auf ins Land der Schwaben. Der feine Unterschied: Es ging zwar ins Gottlieb-Daimler-Stadion, aber nicht zum VfB, sondern zu den gerade aus der Regionalliga-Süd aufgestiegenen Kickers.

Nach der großen Depression am 18. Mai war die Stimmung auf dem Betzenberg schnell wieder umgeschlagen. Kein Wort mehr davon, daß der 1. FC Kaiserslautern, sei er erst einmal abgestiegen, nie wieder nach oben kommen würde, wie Fritz Walter einst orakelt hatte. Eine starke Gruppe im Verein, das „Team professionelle Zukunft“, erzwang eine außerordentliche Mitgliederversammlung, auf der das Präsidium um Norbert Thines zurücktrat. Die Satzung wurde geändert und ein Aufsichtsrat mit weitreichenden Kompetenzen gewählt. An dessen Spitze: Jürgen „Atze“ Friedrich und Karl-Heinz Feldkamp. „Wir sprechen mit einer Zunge und mit einem Mund“, tat Friedrich kund und schaffte mit seinen Mitstreitern alle Voraussetzungen für einen professionellen Anlauf zurück in die 1. Bundesliga. „Wir haben uns gefragt, können wir das alles wegräumen, was mit dem Abstieg passiert ist, und sind zu dem Schluß gekommen, nein, es sind zu viele Altlasten, sprich: der Abstieg da“, erklärte Friedrich, der selbst zweimal Präsident des 1. FCK, von 1977 bis 1981 und von 1985 bis 1988, gewesen war. Wer ist der beste Trainer im ganzen Land, lautete die Kardinalfrage. Leidtragender war Eckhard Krautzin, er mußte Otto Rehhagel weichen. Mit ihm, „einem der besten Trainer des letzten Jahrzehnts“ (Friedrich), soll der Aufstieg im Schnelldurchgang gelingen.

Allen schlimmen Prophezeiungen zum Trotz verkaufte der FCK für die zweite Bundesliga nahezu 25.000 Dauerkarten, die Zahl der Mitglieder übersprang die 6.000. Skeptische Konzessionäre revidierten ihre ärgsten Befürchtungen. So wird wie schon seit 30 Jahren der Pferdemetzger Dirk Habermann auch weiterhin mit seinem Frikadellen- und Bratwurststand vor der Osttribüne stehen und Spezialitäten von württembergischen Rössern feilbieten.

Die Assoziationsreihe „Pfaff, Opel, 1. FCK...“ darf man getrost vergessen. Während beim Nähmaschinenhersteller, der längst in chinesischen Händen ist, Hunderte um ihre Arbeitsplätze bangen und beim Automobil-Multi viele Arbeiter Kurzarbeit schieben, hat sich der FCK schnell berappelt, ohne das tiefe, schwarze Loch des Abgrunds jemals ganz erreicht zu haben. Zwar ziehen andere den Bayern diese Saison die Lederhosen aus, doch Kaiserlautern gilt bis Mai nächsten Jahres als der „FC Bayern der zweiten Liga“. Auch wenn Rehhagel das nicht gerne hört. Zwar hat ein Teil der Sponsoren einen Teil der Gelder eingefroren und zahlt diesen erst nach dem wahrscheinlichen und dringend notwendigen Aufstieg aus. Zwar wird der 1. FCK im Fernsehen weniger präsent sein als bisher und deshalb auch weniger Geld bekommen, doch dafür hat der neue Hauptsponsor Bahlsen kräftig geholfen, Pavel Kuka, wie von Rehhagel gewünscht, unter allen Umständen zu halten. „Wenn wir den Aufstieg in diesem Jahr nicht schaffen, müßten wir uns völlig neu orientieren“, ist sich Jürgen Friedrich darüber im klaren, daß Fans und Sponsoren einen Kraftakt wie dieses Jahr kein zweites Mal mittragen würden. Und dann würde der Aufsichtsrat verantwortlich gemacht und mit den gleichen Vorwürfen überhäuft wie das abgedankte Präsidium.

Doch dem sei Otto Rehhagel vor. Auch wenn er keinen Einfluß mehr auf die Zusammenstellung der Mannschaft hatte, die von unsympathischen (Wollitz) und untauglichen (Siegl) Spielern befreit und um vermeintliche Leistungsträger wie den Brasilianer Everson Ratinho und Thomas Franck von Borussia Dortmund ergänzt wurde. Auch nach dem 2:0 bei den Stuttgarter Kickers durch zwei Tore von Uwe Wegmann klagte Rehhagel, ihm sei der Kader wegen der dreifachen Belastung durch zweite Liga, Pokal und Europapokal der Pokalsieger „zu eng“. Auf Stefan Kuntz, das Idol der jüngsten glorreichen Vergangenheit, mußten die Lauterer schweren Herzens verzichten. Ihn zog es aus finanziellen Gründen vom Bosporus auf die Bielefelder Alm. Und zweite Liga und Nationalmannschaft, machte Berti Vogts seinem Veteranen klar, gehen nicht zusammen. So verpaßte der einstige Liebling der Westkurve endgültig, sich in Kaiserslautern ein Denkmal zu setzen und zu einem „zweiten Fritz Walter“ (Friedrich) zu werden.

Aber auch ohne Kuntz, das machten die 90 Minuten von Stuttgart klar, ist der 1. FCK gut für die Plätze eins, zwei und drei. Dafür bürgt schon allein der Name des Trainers. Der hätte seinen guten Ruf wohl verspielt, würde er nach dem Bayern-Gastspiel mit dem Lauterer „Unternehmen Aufstieg“ scheitern. Rehhagels autokratische Aura ist schon allgegenwärtig. Der Mannschaft empfahl er, Andreas Brehme zum Kapitän zu wählen, was diese prompt tat. Dem „demokratischen Diktator“ (Rehhagel über Rehhagel) fügt sich auch Pavel Kuka: „Rehhagel ist einer der besten Trainer. Wir spielen so, wie er will.“ Basta! Keine Fragen mehr! Oder doch? „Hab' ich überhaupt unterschrieben?“ fragte der Coach kürzlich verdutzt in die Journalistenrunde, als er auf eine langfristige Tätigkeit wie bei Werder Bremen angesprochen wurde. „Doch, doch“, konnte Aufsichtsrat Robert Wieschemann letzte Zweifel des Pfälzer Hoffnungsträgers ausräumen.

1. FC Kaiserslautern: Reinke - Brehme - Koch, Schäfer - Greiner, Lutz, Roos (90. Bross), Marschall (20. Wegmann), Wagner (81. Riedl) - Rische, Kuka

Zuschauer: 25.000

Tore: 0:1 Wegmann (45.), 0:2 Wegmann (52.)

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