: Italiens Poebene wartet auf den Sturm
Am 15. September will Umberto Bossi die Unabhängigkeit Norditaliens ausrufen. Doch viele der Anhänger des Chefs der Liga Nord haben mittlerweile Muffe vor den Folgen der Sezession ■ Aus Varese Werner Raith
Einen Mangel an Freigebigkeit können ihm seine Freunde derzeit nicht vorwerfen: Kanisterweise verschenkt der Architekt Bettino Ganci das Benzin, das er für seine zwei Geländewagen immer in Hundertlitereinheiten in seinem abgelegenen Wochenendhäuschen in den Vareser Alpen vorrätig hat. Zur Freude seiner Frau hat er auch die Berge von leeren Wein- und Bierflaschen, die ihr beim Putzen immer im Wege waren, zum Recyclingcontainer gefahren. Doch auch andere Gegenstände fielen seiner Entsorgungswut zum Opfer, etwa die drei Wattepakete im Medizinschränkchen der Familie. „Alles das muß weg“, knurrt er, als er auch noch ein paar Feuerzeuge in den Müll wirft.
Wie Bettino durchforsten zur Zeit viele Oberitaliener ihre Vorräte auf Dinge, die schon bald kompromittierend sein könnten: Flaschen, Benzin und Watte könnten als Rohstoffe für Molotowcocktails interpretiert werden.
Bettino möchte am 15. September an den Demonstrationen zur „Befreiung der Poebene“ teilnehmen – „und da brauchst du dann nur in eine Straßensperre der Carabinieri kommen, die halten deine Personalien fest, und passiert irgendwas, kommen sie zur Hausdurchsuchung, und schon bist du ein Terrorist“. Sein Mailänder Ferienhausnachbar Manfredo denkt ähnlich: „Irgendwas finden die immer.“ Er hat seine zwei Jagdflinten verkauft und die Quittung dafür beim Notar deponiert.
Hysterie grassiert in vielen Städten des Nordens. Der 15. September, den Umberto Bossi, Chef der Liga Nord, zum „Tag der Geburt der Republik der Po-Regionen“ ausgerufen hat, sollte nach Ansicht Bettinos „eigentlich nur eine riesige Willensbekundung zugunsten des Föderalismus“ werden, „aber nun weiß niemand, ob nicht am Ende alles außer Kontrolle gerät“.
Daß viele Kaufleute und Händler, mittelständische Unternehmer und auch nicht wenige Arbeiter im Norden eine größere Unabhängigkeit vom zentralistischen Staat haben wollen, ist unbestritten, schließlich hat die Liga Nord in vielen Gemeinden bis zu 40 Prozent Wählerstimmen eingefahren, zwei Dutzend Städte werden von Bürgermeistern aus ihrer Partei regiert: Man „möchte halt das behalten, was man besitzt, und nicht alles diesen Haien in Rom in den Rachen schmeißen, die sich dann selbst bedienen oder ihre Klientel im Süden damit füttern“, meint Bettino. Doch aus der Forderung nach „ökonomischem Föderalismus“ ist nun für die meisten eine eher bedrohliche Forderung geworden: Sezession.
Die Situation könne sich „überstürzen“, fürchtet Marianna, die Frau Bettinos, die vorsichtshalber schon bei einer Verwandten südlich von Rom nachgefragt hat, ob die Familie dort unterkommen könne, wenn „hier der Bürgerkrieg losgeht“. Seit Liga-Chef Bossi Anfang August angekündigt hat, man werde die Sendemasten des Staatssenders RAI sprengen, nachdem die Neubesetzung der dortigen Chefposten wieder nicht die versprochene Regionalisierung gebracht hat, sind auch seine eigenen Anhänger ziemlich verwirrt. Zwar hat Bossi das mit dem Sprengen Tags darauf zurückgenommen. Aber die Polizei ist in höchster Alarmbereitschaft, „und das kann natürlich wieder Reaktionen bei unseren Betonköpfen hervorrufen“, wie Manfredo die allzu fanatischen Anhänger seines Parteichefs nennt.
Natürlich haben sie die Idee ihres Sektionsvorsitzenden Elio sofort verworfen, heimlich zusammen mit den Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten, um jede Eskalation zu verhindern: Die Polizei, das ist auch für bloße Föderalisten klar, gehört „denen in Rom“. Elio, Besitzer einer großen Gärtnerei, hebt resignierend die Schultern. „Aber was machen wir dann?“ Er zupft eine Reihe Gräser aus dem Tomatenbeet Battinos.
Manfredo stammt nicht wie Bettino und Elio aus Mailand, sondern aus dem Venzien. „Und da sind wir über die Frage der Sezession sowieso ganz anderer Meinung.“ Die Drohung könne man ja ausstoßen, soviel räumen die Venezier ein, „aber danach muß man sofort verhandeln.“ Doch da erntet er auch bei den moderaten Bossi- Anhängern nur Hohngelächter: „Verhandeln? Wäre ja schön. Aber wer weigert sich denn zu verhandeln? Doch die in Rom!“
Das ist nicht zu leugnen. Allerdings führt Manfredo den Umstand weniger auf den Unwillen der seit Mai amtierenden Mitte- Links-Regierung zurück, sondern darauf, daß „die derzeit alle ihr Hirn in Urlaub geschickt haben. Die haben das Problem doch gar nicht erkannt.“ Elio unterbricht das Unkrautjäten im Garten Bettinos und schiebt die Hände nach vorne: „Sommerpause? Problem nicht erkannt. Ja Mensch, seit wann reden wir denn von Föderalismus? Ein volles Jahrzehnt. Und seit wann hat Bossi den 15. September angekündigt? Seit Anfang Juni!“ Da läßt sich schwer etwas dagegen sagen. Und, sieht man die Bilder im kleinen Fernseher der Ferienwohnung, da weiß auch die Regierung nicht viel dagegen einzuwenden. Ministerpräsident Romano Prodi erscheint mit salbungsvollem Gesicht – „zum Reinhauen“, kommentiert Elio – und erklärt in seiner gewohnt einschläfernden Art, er wolle „das Wort Sezession überhaupt nicht hören“. Elio schaltet den Fernsehapparat ab und seufzt.
Jedenfalls sind sich die drei klar darüber, daß sie nicht untätig im kühlen Bergurlaub bleiben können, während sich unten in der Poebene allerhand zusammenbraut. Sie beschließen einen Besuch bei einem der Flieger, die am 15. September über die Poebene schweben und lange Transparente mit der Aufschrift „Padania Indipendente“ hinter sich herziehen sollen. Unterwegs erklärt Elio den beiden den vorläufigen Aufmarschplan der Liga: Neben den zwanzig „Luftaufklärern“ sollen auf dem Po unzählige Schiffe demonstrieren, am Ufer soll eine Menschenkette all die am Po gelegenen Orte verbinden, vom Quellort Piano del Re bis Ariano Polesine, wo das mächtige Mündungsdelta beginnt. „Getauft“ werden soll der neue Staat mit dem Quellwasser des Flusses. Liga-Chef Umberto Bossi wird auf einem Katamaran den Fluß hinabdümpeln, dann in Chioggia eine erste und in Venedig eine zweite Versammlung abhalten. Bei der ersten sollen als „erster Akt zivilen Ungehorsams“ die Abonnementsheftchen des staatlichen Fernsehens RAI öffentlich verbrannt werden. Während der zweiten Kundgebung sollen die Anwesenden feierlich die Treue zur Po-Regionen-Republik schwören. Beamte der Europäischen Union und der UNO sollen der Veranstaltung staatsrechtliche Höhe verleihen. Bisher haben sich die „Padanier“ allerdings nur Abfuhren geholt. Doch Bossi ist nicht der Mann, der sich durch so etwas umstimmen läßt.
Dennoch ist Manfredo nicht so ganz wohl. „Und was machen wir, wenn plötzlich Autonome daherkommen und uns mit ihren Steinschleudern beschießen oder mit Mollis bewerfen?“ Da kriegen die Augen Bettinos plötzlich einen neuen Glanz: „Das wäre natürlich genau der Anlaß, den sich die in Rom wünschen: Die Schuld würde am Ende bei uns bleiben.“ Elio vermutet gar, die Geheimdienste im Sold der Zentralherrscher würden bereits Attentate vorbereiten, „um sie uns dann in die Schuhe zu schieben“. Ähnliches hat bereits Bossi behauptet: Ihm läge ein Dossier vor, das genau diese Absicht belege. An diese „Enthüllung“ wird sein Gefolgsmann Elio jedoch nicht so gerne erinnert: Tags danach hatte sich herausgestellt, daß der Liga-Chef lediglich ein uraltes Pamphlet seines früheren Vordenkers Gianfranco Milgio, eines siebzigjährigen Verfassungsrechtlers, mit einem Dossier verwechselt hatte. Irene Pivetti, bis Mai Parlamentspräsidentin und im Norden derzeit einzige bekannte und beherzte Antagonistin der Sezessionisten, hat die Sache sofort aufgenommen. Sie erklärte Bossi zum Paranoiker und belegte gleichzeitig, daß die Mannen des Liga-Führers ihr gegenüber immer öfter zum Telefon greifen und sie bedrohen. Manfredo zeigt deutlich Sympathie für Frau Pivetti. Elio findet „diese Infiltrantin des Vatikan“ dagegen „abscheulich“. Tatsächlich hatte die junge Politikerin seinerzeit einen Großteil des katholischen Wahlvolks zur Liga gebracht – und macht nun, im Einklang mit dem zentralistischen Vatikan, Front gegen Auflösungstendenzen Italiens.
Der Flugzeugverleiher ist höchst erfreut über den Besuch der drei. Nicht weil er mit ihnen Strategien für die Unabhängigkeit ausbosseln will, sondern weil er die Hose gestrichen voll hat und mit jemandem reden muß. „Was machen wir denn, wenn uns die Behörden die Flugerlaubnis entziehen?“ fragt er. „Trotzdem starten!“ verfügt Elio ungerührt. „Fein. Und wenn meine Fluglizenz dann perdu ist?“ Elio schüttelt den Kopf: „Dann geben wir dir eine neue. Du vergißt, daß wir am 15. die Macht übernehmen.“ Pietro, der Flugzeugbesitzer, nickt mit dem Kopf und schüttelt ihn abwechselnd: „Nein, so geht das nicht. Die Flugerlaubnis für die Demo bringt gefälligst ihr mir.“
Ratlosigkeit. Auch Manfredo, der Bossis Kurs nicht mitträgt, aber für einen akzentuierten Föderalismus ist, möchte den Flugzeugkorso, allerdings lieber mit dem Spruch „Padania autonoma“ statt „Padania indipendente“. Aber die Schlepptransparente sind längst gedruckt. „Schade“, sagt Manfredo, „hätte mir viel geholfen.“ Da sieht ihn Elio an und schüttelt den Kopf, sagt aber dann nichts. Aber Manfredo hat schon verstanden: Guter Himmel! Und mit Typen wie dir wollen wir die Unabhängigkeit ausrufen!
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