piwik no script img

Das Fischbrötchen, der Mathelehrer und ich Von Susanne Fischer

Heute ist der Tag des gewagten Vergleichs. Folglich konstatiere ich: Klassentreffen sind wie Fischbrötchen, und zwar solche, die mit warmem Backfisch belegt sind und vor Remouladensoße triefen. Hm, lecker! Etwas wird auf jeden Fall schiefgehen beim Essen, wir wissen nur vorab nicht, wen oder was es trifft: den ahnungslosen Nachbarn, dem ein wohlgezielter Remouladenstrahl mit einem Klatsch das Brillenglas verschmiert, weshalb er vor den Bus stolpert – oder doch nur die eigene weiße Jeans, auf der ein Gutteil fettig panierter Fisch landet, während wir gerade auf dem anderen Brötchenende herumkauen. Äh, widerlich!

Nun haben sich also leicht angedickte, faltige Exschüler in den modrigen Hallen wieder eingefunden, sogar jene, die sich frühzeitig geschworen hatten, nie wieder! den Ort ihrer Schmach zu betreten. Selten verläßt da die Konversation den ebenso sicheren wie prekären Rahmen persönlicher und beruflicher Entwicklungen „danach“. Nehme ich die Anwesenden meines Abiturjahrgangs als repräsentativen Durchschnitt der Bevölkerung, dann leben anscheinend keine Homosexuellen, keine Niedrigverdiener und keine unglücklich Verheirateten in Deutschland – allein zwei Frauen legten Wert darauf, glücklich geschieden worden zu sein. Dann lauern da natürlich noch die Erinnerungen, die aufgewärmt werden müssen, und zwar ungefähr auf Backfisch-im-Brötchen-Temperatur, damit sich niemand die Zunge verbrennt. Zum Beispiel gab es da, was haben wir gelacht, die lustige Kissenschlacht auf der vorletzten Klassenreise oder den Mathematiklehrer N., der uns stets zur inneren Einkehr riet: „Ihr solltet alle einmal eine Weile ins Kloster gehen, damit ihr lernt, euch zu konzentrieren!“

Leider kann man vorab nicht sehen, ob ein Fischfilet mit Nematoden durchzogen ist. Mein Klassentreffen litt an einer Milieukrankheit namens Marketing, die viele der Mitschüler hinterrücks überfallen hatte. Es scheint sich dabei um eine Geheimwissenschaft mit angeschlossener Gelddruckmaschine zu handeln, doch worum es sich genau dreht, konnte mir niemand erklären. Daß ausgerechnet die mathematischen Vollversager von einst in diesem Bereich reihenweise reüssiert haben, läßt darauf schließen, daß es sich um einen zwar lukrativen, aber eher faulen Zauber handeln muß. Die launige Morgenansprache des Lehrers – „Komm mal nach vorne, du zarter Schüler, und löse uns folgende entzückende Rechenaufgabe!“ – versetzte die Erfolgsmenschen einst regelmäßig in die Hysterie allzu hoffnungsfroher Lottospieler: Könnte diesmal 227 die richtige Zahl sein? Oder doch minus 13,5? Die richtige Zahl der Kinder jedenfalls, das wissen inzwischen alle Exmitschüler, liegt bei eins oder zwei. Null oder drei gelten als asozial, mehr als Naturkatastrophe.

Der Remouladenklecks mußte diesmal übrigens durchaus auf meiner Hose landen. Von allen denkbaren Peinlichkeiten widerfuhr mir ausgerechnet jene, den schönen T. nicht nur nicht wiederzuerkennen, sondern sogar komplett vergessen zu haben. Dabei war er ein durchaus bemerkenswerter Mitschüler, der schon damals mit Gebrauchtwagen handelte, und überhaupt, es gab ja ein Leben nach der Kissenschlacht. Hätte ich einst auf meinen Mathematiklehrer gehört, wäre mir das jedenfalls nicht passiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen