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Zu Hause ankommen

■ Sogar die Telekom bietet ihren Online-Kunden Platz für eine private Homepage an. Aber was soll nun drinstehen?

Der Klammeraffe, der noch im letzten Jahr als Ausweis der kreativen Persönlichkeit auf der Visitenkarte galt, gehört bereits ins Museum. Das Internet-Magazin „Pl@net“ feiert ihn zwar noch als Zeichen des Jahres. Endlich sei das „@“ aus den Klauen der Buchhalter befreit, schreibt das Magazin und bittet um Zusendung herausragender Exemplare. Das Pl@net-Team will aus den schönsten Kreationen ein Museum aufbauen.

Das ist gewiß verdienstvoll, denn das Zeichen, das noch schlicht als Kürzel für das englische „at“ gelesen werden konnte, ist ein unverzichtbares Element der Internet-Kultur. Nur ist es längst nicht mehr das einzige, das Popularität über die engeren Kreise der Computerspezialisten hinaus genießt. Kaum jemand widmet sich heute noch seiner kreativen Neugestaltung, die E-Mail-Adresse auf der Visitenkarte hat Konkurrenz bekommen. Wer etwas auf sich hält, unterzeichnet mit einer für Laien noch schwerer zu durchschauenden Zeichenkette, der sogenannten Web-Adresse („http://www.ir gendwo.de/user/ irgendwer“). Sie weist den Inhaber als Besitzer einer eigenen Homepage im World Wide Web aus, potentiell erreichbar von geschätzten 40 bis 50 Millionen Usern.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Um die Verbreitung der Mail- Adresse mußte man sich noch selber kümmern, jetzt sitzt man wie die Spinne im Netz. Das Verfassen der persönlichen Website muß deshalb als Vorbereitung der bürgerlichen Existenz im Cyberspace gesehen werden. Mit der Homepage schließlich, die allem voransteht, ist der formelle Beitritt zur Netzgemeinde, zur der virtuellen Gemeinschaft des Global Village, vollzogen. Es gilt, die richtige Mischung zu treffen zwischen narzißtischer Selbstdarstellung und Inhalten, die auch andere interessieren könnten – eine Gratwanderung, deren Schwierigkeit kaum zu überschätzen ist.

Soeben hat die Deutsche Telekom den 1,2 Millionen Nutzern ihres Online-Dienstes auf ihren Servern Platz für private Homepages eingeräumt. Sie stehen damit vor mehreren bestürzenden Problemen, deren größtes keineswegs der Inhalt ist. Nur schlichte Charaktere – im Netz kaum vertreten – begnügen sich mit ein paar persönlichen Daten auf einer einzigen Seite. Schließlich müssen möglichst alle Aspekte des Ichs ihren Platz finden: die Arbeit, die Hobbys, der letzte Urlaub, die Bilder vom Hund und vielleicht auch noch der Bericht vom Entwicklungsstand des Aquariums. Weil wir alle derart komplizierte Naturen sind sind, wird die Sache aber bald ziemlich unübersichtlich. Wie soll sich nun ein Gast aus dem Universum der Daten durch alle diese Facetten hindurchfinden? Weit schwieriger als die Sammlung der Inhalte erweist sich deshalb die Frage ihrer Gestaltung. Das Design bestimmt das Sein im Web, und wer den gerade aktuellen Stil verfehlt, läuft Gefahr, im Nirgendwo ungelesen zu verkümmern.

Anders als im Buch, in dem noch von Hand geblättert werden kann, müssen die Verbindungen zwischen den Seiten selbst definert werden, etwa durch den Einbau anklickbarer Schaltflächen. Spätestens jetzt lohnt sich ein Blick in den sogenannten Cache, jenen Sammelbehälter, den die gängigen Surfprogramme auf der Festplatte automatisch anlegen, um dort (neben Texten) auch allerlei Bildchen, Symbole, Pfeile, Punkte zu speichern. Der Cache spart Übertragungskosten- und -zeiten, weil ständig wiederholte Bestandteile einer Website nicht jedesmal neu vom Fernrechner abgerufen werden müssen. Aber er ist auch eine Fundgrube, in der sich mit Sicherheit mindestens das eine Symbol auftreiben läßt, das wirklich niemals fehlen darf: das Home-Icon.

Home, Heim, Heimat: Niemand weiß mehr, wer zuerst das Bild eines kleinen Häuschens als Zeichen mit der Bedeutung „Zurück zur Leitseite“ verwendet und damit einen – glücklicherweise unschädlichen – Virus in die Welt gesetzt hat. Er breitet sich unaufhaltsam weiter aus, infiziert jede Web-Seite und nimmt immerzu neue Formen an. Die gesamte Geschichte des symbolisierenden Gestaltens scheint noch einmal auf dieser wenige Qaudratzentimeter großen Fläche wiederholt werden zu müssen. Der Weg beginnt beim Abbild einer Wirklichkeit: Die möglichst realitätstreue Darstellung des US-amerikanischen Landhauses ist ein beliebtes Motiv, meistens mit, manchmal ohne Garage. Andere Bildchen sind von Kinderzeichnungen inspiriert: ähnlich dem Punkt-Punkt-Komma-Strich des typischen Gesichts besteht so ein Logo aus Fenster-Fenster-Tür- Dach und manchmal noch etwas, was dem Verfasser wichtig schien, etwa einem übergroßen Telegrafenmast, der die Notwendigkeit des „Being Wired“ unterstreicht.

Die nächste Stufe der Gestaltung führt zum Zeichen, zum Piktogramm, das in seiner abstrahierten Form ein Haus nur noch andeutet. Auf der Ebene der Zeichen setzt das Design ein (und die Urheberrechte), das Zeichen wird Gegenstand künstlerischen Schaffens und gewinnt ästhetische Qualität. Vom Haus bleibt unter Umständen nur noch ein Dach (vereinzelt sieht man Bemühungen, das „@“ als Zitat in die neue Welt des „Home“ zu integrieren).

Schließlich die fotgeschrittensten, rein typographischen Lösungen: Das Wort „Home“ wird graphisch umgesetzt – wir sind in der Gutenberg-Galaxie angekommen.

Von der Regel, ein Haus als Symbol zu verwenden, gibt es wenige, aber beeindruckende Ausnahmen: etwa die Weltkugel, bei der möglicherweise der ökologisch korrekte Imperativ eine Rolle spielt, wonach wir uns keine andere Heimat als die Erde wünschen sollten. Doch auch andere Interpretationen sind zulässig: Wir blicken auf die Erde, unseren Ausgangspunkt, auf dem wir unseren physischen Körper in Warteposition zurücklassen müssen, wenn wir in den Cyberspace, die virtuelle Welt hinter dem Monitor, eintreten. Dort sitzt er normalerweise auf einem wenig bequemen Bürostuhl, Anlaß genug für eine weitere kreative Umgestaltung des Home- Logos: Ein dicker Polstersessel lädt dazu ein, nach Hause zu kommen – wer dabei an die Couchpotatoes der Fernsehgemeinde denkt, ist ein Miesmacher! Bald, so prophezeien zumindest die Produzenten der Unterhaltungsindustrie, wächst sowieso zusammen, was zusammengehört: Zappen und Klicken wird eins in unserem volldigitalen Home... Claudia Klinger

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