: „Es gibt verschiedene Rechtstraditionen“
■ Christoph Tannert, SPD-Abgeordneter im Europaparlament, zum neuen Anlauf für eine Stellungnahme zur Bioethik-Konvention. Die soll die moderne Medizin zähmen können
Im Oktober wird der Europarat in Straßburg voraussichtlich eine Bioethik-Konvention verabschieden, die wegen ihrer Lücken heftig umstritten ist. Beispiele: Es dürfte laut dem Entwurf an Menschen geforscht werden, die das nicht mehr ablehnen können, Datenschutz für Ergebnisse von Gentests gibt es praktisch nicht. Vor zwei Monaten lehnte das Europaparlament eine Stellungnahme dazu ab, die den Europarat zu einer Verschärfung hätte drängen können.
taz: Sie wollen erneut eine Stellungnahme des Europaparlaments zur Bioethik-Konvention erreichen. Wollen Sie das machen, bis sie eine Mehrheit haben?
Christoph Tannert: Das geht natürlich nicht. Aber die Entscheidung des Parlaments richtete sich ja nicht gegen die Bioethik-Konvention, sondern gegen den Bericht des finnischen Liberalen Peltari zu dieser Konvention. Die Entscheidung fiel mit überaus dünner Mehrheit. Das führt formal dazu, daß das Europaparlament zur Bioethik keine Meinung hat. Deshalb ist der Weg, das Parlament mit einer neuen Vorlage zu einer Meinungsäußerung zu bringen, sicherlich der richtige.
Warum ist das so wichtig?
Weil die Menschen erwarten, daß sich die gewählten Vertreter des Europaparlaments zu einem solch grundlegenden Thema äußern. Juristisch ist für die Bioehtik- Konvention der Europarat zuständig, der viel mehr Mitgliedsländer hat als die EU. Aber eine Stellungnahme des Europaparlaments hat moralisches Gewicht, auch im Europarat. Die deutsche Delegation im Europarat hat ihre Zustimmung zu dieser Konvention bisher verweigert. Ich gehe davon aus, daß auch in anderen EU-Ländern neue Überlegungen angestellt werden, wenn das EU-Parlament überzeugend Nachbesserungen am bisherigen Entwurf verlangt.
Was genau wollen Sie ändern?
Die verbrauchende Embryonenforschung muß eindeutig verboten sein, dasselbe gilt für den Handel mit Embryonen, Föten und menschlichem Gewebe. Es muß klarer formuliert werden, daß menschliches Erbgut nicht manipuliert werden darf. Es muß klarer formuliert werden, wie in der Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Personen, also geistig Behinderten, umgegangen werden darf.
Die britischen Labour-Abgeordneten sind nach wie vor gegen eine Verschärfung der Konvention. Glauben Sie, daß die begeistert sein werden, wenn die Sozialdemokraten jetzt noch einmal versuchen, sie zu überstimmen?
Sicher nicht. Man muß eben sehen, daß es verschiedene Erfahrungen und Rechtstraditionen in den Mitgliedsländern gibt. Daß wir Deutschen mit unseren Erfahrungen im Dritten Reich besonders vorsichtig sind, das wird auch von anderen akzeptiert. Auf der anderen Seite werden nach der angelsächsischen Rechtstradition Embryonen erst ab dem 14. Tag geschützt.
Haben sie wenigstens die deutschen Sozialdemokraten hinter sich? Beim letzten Mal haben einige versehentlich gegen die Stellungnahme gestimmt.
Das läßt sich im Augenblick schlecht sagen. Immerhin kommt der Vorschlag ja nicht nur von Frau Gebhard und mir, sondern auch vom Chef der SPD-Gruppe. Ich gehe also davon aus, daß es dafür eine Mehrheit gibt. Interview: Alois Berger
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