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Apartheid in bosnischen Wahllokalen

Bei den Wahlen in Bosnien gehen internationale Organisationen vor serbischen Provinzpolizisten in die Knie. Muslimische Wähler werden nicht dorthin gelassen, wo sie wählen möchten  ■ Aus Tuzla Erich Rathfelder

Die Gesichter hinter den Fensterscheiben des Busses sehen ernst, angespannt und verängstigt aus. Zweiundfünfzig Menschen sitzen in dem Bus, der gerade die sogenannte Inter-Entity-Grenze überwinden will. Sie wollen aus dem muslimisch kontrollierten Gebiet in ihre alte Heimatstadt zurückkehren, um zu wählen. Denn es handelt sich um Vertriebene aus Vlasenica, einem Städtchen 80 Kilometer östlich von Sarajevo.

Damals, am 15. Mai 1992, so erinnert sich Amela K., „sind die Tschetniks gekommen. Ich packte meine Kinder unter den Arm und rannte einen Waldweg hinauf. Glücklicherweise wohnten wir am oberen Stadtrand.“ Drei Tage sei sie zusammen mit anderen Flüchtlingen durch die Wälder geirrt, bis sie schließlich in der Region von Kladanj auf sicheres Gebiet stieß. Sie waren gerettet. Anderen ging es nicht so gut. Tausende kamen in die damals entlang der Straße nach Sarajevo eingerichteten Konzentrationslager, Hunderte wurden erschossen oder erschlagen. Die jetzt in der Umgebung ausgehobenen Massengräber zeugen von dem Terror, der damals hier in der Region geherrscht hat.

Die Menschen im Bus müssen warten. Denn die US-amerikanischen Soldaten, die an der Grenze und ehemaligen Frontlinie einen sogenannten Checkpoint eingerichtet haben, sind angehalten, sorgfältig die durchkommenden Fahrzeuge zu durchsuchen. Da wird nicht nur das Gepäck der Insassen überprüft, sondern sogar der Unterboden des Busses.

Hunde, die jegliche Art von Sprengstoff aufzuspüren in der Lage sind, werden am Bus entlanggeführt. Es sei erst der dritte Bus, der bis 12 Uhr mittags hier durchgekommen ist, erklärt ein Sergeant, zwei Busse mit zusammengenommen 35 Personen seien nach Bratunac nahe Srebrenica gefahren worden. „Zusammen mit diesen 52 sind also erst 87 Wähler hier durchgekommen. Das ist doch recht wenig.“

Endlich geht es weiter. Nach einigen hundert Metern jedoch muß der Bus wieder stehenbleiben. Serbische Polizisten in ihren blauen Uniformen beginnen mit ihrer Untersuchung. Überwacht von den schwerbewaffneten GIs, überprüfen sie die ihnen ausgehändigten Papiere. Im Bus ist es still geworden. Alle blicken auf die Serben, die ohne Hast, aber korrekt die Papiere überprüfen. „Da ist mir schon ein Stein vom Herzen gefallen“, wird Amela angesichts dieser Prozedur später sagen. „Die verhielten sich ja normal. Ich brauchte nicht um mein Leben fürchten.“

Die Stimmung im Bus entspannt sich. Jetzt wird sogar der eine oder andere Witz gemacht. Und als der Bus weiterfahren darf, klatschen die Leute in die Hände. „Wir sind gespannt, wie es heute in Vlasenica aussieht“, sagt Mehmedalija Avgadić, ein junger Mann, der als Sprecher der Gruppe fungiert. „Wir sind nicht nur hergekommen, um zu wählen, sondern auch, um endlich einen Blick auf unsere Häuser und Wohnungen werfen zu können.“ Denn viele der Reisenden hätten früher Grundbesitz in der Stadt gehabt. Und einige von ihnen einen Laden oder eine Kafana, wie hier Cafés genannt werden. „Die haben früher einmal ein normales Leben geführt“, flüstert einer der US-Boys verwundert mit Blick auf diese ausgemergelten Gestalten mit ihren grau gewordenen Gesichtern, auf diese Menschen, die seit über vier Jahren in einem Flüchtlingslager leben müssen.

Doch schon nach einem Kilometer wird der Bus erneut gestoppt. Serbische Polizisten blockieren die Straße. Und zwar genau an der Stelle, wo auch zwei Jeeps der US-Armee stehen. Die schwerbewaffneten US-Amerikaner beobachten die Szene. Die Serben fordern den Busfahrer unmißverständlich auf, keinesfalls weiterzufahren. Einer moniert das bosnische Nummernschild des Busses aus Tuzla. Ein anderer erklärt frank und frei, der Zutritt zu der Stadt Vlasenica sei den Muslimen verboten. Und er weist auf ein Haus, das in der Talsenke liegt. Dort sei ein Wahllokal für die Muslime eingerichtet worden. Sie könnten hier wählen und dann wieder zurückkehren.

Von der Stelle, wo der Bus nun steht, ist ein Weg markiert worden, der zu dem Hause führt. Am Eingang steht ein Mitglied der Wahlkommission der Gemeinde Vlasenica. „Dies ist das Wahllokal für die Muslime“, sagt er. Auf der anderen Seite des Hauses sei der Eingang für die Serben. Es werde getrennt gewählt. Bei dem Stichwort Apartheid schmunzelt er nur.

In dem für die Muslime bestimmten Wahllokal ist die Wahlurne aufgebaut, die Wahlzettel sind vorbereitet, und die Wahllisten liegen bereit. Noch hat kein Muslim den Bus verlassen. Um das Haus herum sind Polizisten postiert. In dem für Serben bestimmten Wahllokal scheint alles ordnungsgemäß abgewickelt zu werden. Einige Wähler haben sich hinter den Sichtschutz zurückgezogen.

Im Bus wird heftig diskutiert. Die Gruppe kommt schnell zu dem Schluß, das Angebot, hier zu wählen, auszuschlagen. „Wir wollen“, so sagt der Sprecher Avgadić, „nach Vlasenica, um dort zu wählen. Wir wollen in die Stadt.“ Endlich taucht ein Wagen von Beobachtern der Vereinten Nationen auf. Ein Argentinier versucht den serbischen Polizisten zu erklären, daß nach den Regeln der Wahl die Wähler das Recht hätten, in jedem möglichen Wahllokal der Gemeinde zu wählen. Die Bewegungsfreiheit sei durch das Abkommen von Dayton garantiert. Als auch noch eine Gruppe von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, auftaucht, beginnen die Verhandlungen. Der deutsche SPD-Bundestagsabgeordnete Heinz Kühler rät, die Muslime sollten hier wählen. Weiterzufahren sei ja zu gefährlich.

Und auch die zuständige OSZE-Sprecherin, die US-Amerikanerin Tamya Doni, sieht darin die beste Lösung. Die Leute sollten aufgeben, sagt sie. Und selbst der Sergeant der Ifor läßt sich umstimmen. Zwar hatte er von Anfang an herausgestellt, daß die Bewegungsfreiheit garantiert sei, daß die Leute das Recht hätten, in Vlasenica zu wählen, daß die Ifor- Truppen jedoch keine Sicherheitsgarantie übernehmen könnten. „Wir schützen lediglich die internationalen Polizisten der IPTF und die Mitglieder der OSZE, nicht jedoch diese Leute. Das ist nicht unser Mandat.“ Auf den Vorschlag, einen Wagen mit IPTF-Polizisten vor dem Bus und einen der OSZE hinter dem Bus zu plazieren und dann unter Ifor-Schutz weiterzufahren, will er nicht eingehen.

Die Leute im Bus bleiben hart. Sie kehrten lieber um und wählten nicht, als sich dem Diktat der serbisch-bosnischen Polizisten zu beugen, erklären sie. Die Polizisten umringen weiterhin den Bus. Und einer der serbischen Wahlleiter gibt als Entschuldigung für die Maßnahme der Polizei an, Serben und Muslime könnten niemals mehr zusammenleben.

Inzwischen sind noch weitere internationale Beobachter und Journalisten hinzugekommen. „Hier sehen wir die internationale Gemeinschaft in Aktion“, kritisiert eine Schwedin. „Die Leute wollen nur die ihnen zugestandenen Rechte wahrnehmen. Und die größte und stärkste Armee der Welt und die OSZE, der Zusammenschluß aller europäischen Länder, sind nicht in der Lage, ihnen dabei zu helfen.“

Trotz dieser Kritik tritt Tamya Doni wieder auf den Plan und fordert die Insassen des Busses ultimativ auf, hier an diesem Ort abzustimmen. Für eine Busfahrt nach Vlasenica werde die internationale Gemeinschaft keine Verantwortung übernehmen, sagt die US- Amerikanerin. Wer wolle, könne jedoch einem Vorschlag der Serben gemäß die acht Kilometer nach Vlasenica zu Fuß gehen.

Die muslimischen Wähler lehnen dieses Angebot dankend ab. „Die Weltgemeinschaft rückt angesichts der Forderung einiger serbischer Provinzpolizisten von ihren Prinzipien ab“, sagt Avgadić. Deshalb bleibe den Businsassen nichts anderes übrig, als unter Protest nach Kladanj zurückzukehren. Der Bus wendet und fährt ab. Im Hauptquartier der OSZE, in der 60 Kilometer entfernten ostbosnischen Großstadt Tuzla, will niemand zu dem Vorfall Stellung nehmen.

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