: Shopping im Dreiländereck
Wo Paraguay, Argentinien und Brasilien aneinandergrenzen, wird geschmuggelt, was in die Taschen paßt. Tausende Menschen leben davon ■ Aus Ciudad del Este Ingo Malcher
Sieben Uhr morgens auf der brasilianischen Nationalstraße nur wenige Kilometer vor der paraguayischen Grenze. Der Verkehr steht, es geht nichts mehr. Die Gegenfahrbahn ist fast leer. Es regnet, auf der Straße sind große Seen aus braunem Schlamm. Zwei der drei Fahrspuren werden von Reisebussen aus Brasilien besetzt. Die Kennzeichen verraten es, die meisten kommen aus den großen Städten: São Paulo, Bello Horizonte, Rio Grande del Sul.
Genervt ertragen die Fahrgäste den Stau. Zwischen den Bussen bieten Händler lauwarmen, zuckersüßen Kaffee aus Thermoskannen an. Nach einer Stunde Stop- and-go geht es endlich über die Grenze. Ein Riesenschild mahnt, keine Pistolen, Drogen oder brasilianische Zigaretten nach Paraguay zu schmuggeln. Dann kommt das Nadelöhr, das den Verkehr hier täglich zum Stehen bringt: Die „Puente de la Amistad – die Brücke der Freundschaft“, die Brasilien und Paraguay verbindet. Etwa 50 Meter unter ihr schlängelt sich langsam und gemütlich der braune Rio Paraná hindurch.
Bei der Einreise nach Paraguay gibt es an Samstagen keine Kontrollen. Die, die hier herkommen, sind in Ciudad del Este gern gesehen. Die Stadt lebt von ihnen. Es sind die sogenannten „Turistas de Compras“, die Kauftouristen. Morgens um sieben tauchen sie in der Stadt auf und sind gegen Mittag wieder verschwunden. Sie kommen meist aus Brasilien, um in Ciudad del Este Fernseher, Radios, Spielzeug, Zigaretten, Parfum oder kiloweise Kugelschreiber zu kaufen, die sie in den Großstädten Brasiliens auf den sogenannten „Paraguay-Märkten“ wieder verkaufen. Für die meist arbeitslosen Handelsreisenden eine Form des Überlebens.
Doch wer Waren mit einem Wert von mehr als 150 Dollar im Gepäck hat, muß eine Einfuhrsteuer nach Brasilien zahlen, die sich gewaschen hat. Also wird getrickst, größere Mengen werden geschmuggelt. Erst vor kurzem setzte die Regierung auf Druck der einheimischen Elektro- und Spielzeugindustrie die Summe der steuerfrei einzuführenden Güter von 250 auf 150 Dollar herunter.
Alle 40.000 bis 60.000 Reisenden zu durchsuchen, die hier an einem Samstag angereist kommen, ist für den Grenzposten unmöglich. So besteht immer die Chance, nicht geschnappt zu werden. Für Laerte Alvis ist es ein Spiel: „Wenn ich erwischt werde, verliere ich, wenn nicht, gewinne ich.“ Die Grenze kann man nur am Grenzposten am Rio Paraná überqueren. Fast alle Busse, die dort durchwollen, werden von den brasilianischen Grenzwächtern gründlich gefilzt. Wer die Einfuhrsteuer für seine Produkte zahlen muß, hat tatsächlich verloren. Die Reise hat sich nicht gelohnt.
„Ich komme jede zweite Woche hier her“, erzählt Alvis in einer Mischung aus Spanisch und Portugisisch. Seine blaue Jeanstasche ist noch leer, und er sucht noch nach geeigneter Ware. Vor allem Elektroartikel schleppt er über die Grenze. Der 35jährige mit dem grau-schwarzen Schnauzbart, der mit seinem regulären Gehalt nicht hinkommt, verkauft seine Ware in São Paulo an einen Elektroladen.
Die Stadt „ist von den Turistas de Compras abhängig“, sagt Roberto Ayala, Stellvertretender Bürgermeister von Ciudad del Este. 1957 als „Ciudad del Stroessner“ gegründet, gibt es in der erst nach dem Abgang des Diktators 1989 umbenannten 200.000-Einwohner-Stadt einfach nichts – außer dem Handel. Ciudad del Este ist das Einkaufszentrum der Region. Weil Paraguay so gut wie keinen Einfuhrzoll hat und keine eigene Elektroindustrie schützen muß wie Brasilien, ist in der Stadt alles billiger.
„Schweizer Messer – nur zwei Dollar, Amigo!“
Die Grenzlage ist ein strategischer Vorteil. Zigaretten aus brasilianischer Produktion werden von Ciudad del Este wieder zurück nach Brasilien geschmuggelt. Auf diesem Weg sind sie billiger, weil keine Steuer dafür bezahlt wurde.
Soldaten der Nationalgarde patrouillieren mit veralteten Karabinern und glänzenden Stiefeln zwischen den Marktständen. Juweliergeschäfte und Banken leisten sich da schon etwas Moderneres: private Wachmänner mit Maschinenpistolen stehen sich vor ihren Geschäften die Füße platt. Die Händler auf der Straße schützen ihre Stände mit blauen und orangenen Plastikfolien vor dem Regen. Auf dem Gehweg steht ein Stand neben dem anderen. Als Fußgänger kann man sich kaum an ihnen vorbeidrängen. „Original Schweizer Messer – nur zwei Dollar, Amigo“, versucht ein etwa 40jähriger mit dunklen Haaren und faltigem Gesicht ein Plastikding an den Mann zu bringen. Vom Nachbarstand dröhnt aus aufgedrehten Billigboxen Salsamusik herüber. Die Kassette wechselt für nur drei Dollar den Besitzer. Zwischen den beiden Ständen regnet es einen dicken Strahl durch ein Loch in der Plane. Ein bulliger Händler zielt mit einer Luftpistole gelangweilt auf seine Regenschutzplane. Etwas weiter gibt es T-Shirts „Original Boss, Amigo“, oder dürfen sie auch Nike, Adidas oder Lacoste sein? Angelrouten, Pornohefte, Schuhe, kein Begehr bleibt hier unbefriedigt. Und alles zu Schleuderpreisen. Dazwischen schieben sich kleine Mädchen mit Styroporboxen für Getränkedosen an den Menschenmassen vorbei. Nur ein Dollar die Dose. Doch die großen Geschäfte werden ohnehin nicht auf der Straße gemacht. In den Häusern gibt es Markthallen mit Ständen, an denen vor allem Elektroartikel verkauft werden. Viele Läden werden von Chinesen, Arabern und Koreanern betrieben. Ein Fernseher, der in Buenos Aires für 500 Dollar über die Ladentheke geht ist hier schon für 170 Dollar zu haben. In den Markthallen riecht es nach Schweiß. Hier ist es noch viel schwüler als im subtropischen Klima auf der Straße. Die „Turistas de Compras“ schleppen riesige Taschen durch die Gegend, in die drei bis vier Fernseher reinpassen müssen. Wem die Tasche einmal doch zu eng wird, der kann an jeder Ecke neue kaufen. „Zu uns kommen regelmäßig dieselben Kunden“, meint der Inhaber eines Elektroladens, „wer mehr kauft, bekommt Mengenrabatt.“
Die Kleinhändler, die „Turistas de Compras“, müssen über die Brücke, schaffen es aber immer wieder, ihre vier Fernseher und zehn Transistorradios an den Grenzern vorbei zu schmuggeln. Das ist nicht ganz leicht. Doch, „sie sind Genies“, begeistert sich der stellvertretende Bürgermeister Ayala.
Wer aber im großen Stil sein Geld damit macht, packt die Sache anders an. An einer Ecke in einer der Markthallen steht ein zirka zwei Meter großer Blonder. Sein Bauch quillt über den Bund seiner schwarzen Jeans. Das hellgraue T-Shirt ist unter den Armen und auf der Brust durchgeschwitzt. Mit drei anderen Männern und einer Frau paßt er auf einen Berg von riesigen Taschen auf, der in etwa das Volumen eines Öltanks faßt. Er und seine Kumpels wohnen auf der anderen Seite des Flusses im brasilianischen Foz do Iguazu. „Mir arbeide füar an Gschäftsman, der wo die Sach dann schbäda in São Paulo verkeft“, erzählt der deutschstämmige mit hoher Stimme in gebrochenem Schwäbisch. Pro Kopf schleppt niemand aus der Gruppe mehr als 150 Dollar in seiner Tasche in den Linienbus nach Foz do Iguazu. Aber sie fahren mehrmals an diesem Tag. In Foz wird dann alles in einen Lastwagen geladen.
Die Straßen von Ciudad del Este sind voll mit Müll. Da die „Turistas de Compras“ alle mit dem Bus anreisen, wollen sie so wenig Gepäck wie möglich mitnehmen. Die Pappkartons der Fernseher und die Styroporeinlagen fliegen auf die Straße, genauso wie alles andere Verpackungsmaterial. Auf der Straße klebt eine Kruste aus Schlamm und Müll. Braunes Regenwasser schwämmt die flachen Hügel hinunter. Träger schieben auf alten Eisenkarren Kisten mit Whisky und Stereoanlagen durch die Gegend. Nachschub für die Händler, oder Dienst für die Käufer, die sich das Gut zur Bushaltestelle bringen lassen. Geschickt bugsieren die Träger ihre Karren an den Autos vorbei. Auch Kinder ziehen voll beladene Eisenkarren durch die Straßen.
Unter einem kleinen Vordach vor einer Art Duty-Free-Shop, in dem es vom Parfum bis zum Kassettenrecorder alles gibt, sitzen vier Jugendliche erschöpft auf einer Lage Zeitungspapier. Um sie herum liegt ihr Gepäck. Jede Tasche ist etwa so groß wie zwei Umzugskisten. „Wir kaufen Spielsachen für einen Laden in São Paulo“, sagt einer von ihnen. Sein Blick geht ins Leere. An der Grenze hätten sie nie Probleme, „weil unsre Sachen nicht mehr als 150 Dollar wert sind.“ Er grinst. „Immerhin sind wir zu viert.“
Auffallend viele Taxen in der Stadt sind Kombis
Jede Woche kommen sie gemeinsam, um Spielzeug zu kaufen. Die zwölfstündige Busfahrt von São Paulo nach Ciudad del Este mache ihnen inzwischen nichts mehr aus. „Es ist eine Gewohnheit.“ Und irgendwie müssen sie sich ja über Wasser halten. „Es gibt in São Paulo keine Arbeit“, meint der einzige, der Spanisch spricht. Etwa tausend Dollar könnte einer mit der Reiserei pro Monat verdienen. Das ist viel Geld in Brasilien. Für das Busticket gehen pro Wochenende 100 Dollar drauf.
Auf den Straßen der Stadt wird es eng. Die ersten Reisebusse machen sich wieder auf den Weg nach nach Brasilien, der Verkehr in der Stadt steht. Zwischen den Autos werden auf den Eisenkarren noch immer Waren wild durch die Gegend geschoben, bergrauf, bergrunter. Ein System ist nicht zu erkennen. Eilig werden die weißen Taxis beladen. Wer es sich leisten kann, nimmt ein Taxi nach Foz do Iguazu und läßt sich sein Gepäck fahren. Auffallend viele Taxis in der Stadt sind Kombis. Besetzte Taxis erkennt man daran, daß ihre hintere Stoßstange fast auf der Straße schleift. Die Stadt sieht gegen zwölf Uhr mittags aus wie ein riesiger Parkplatz. Genervte Busfahrer drücken minutenlang auf die Hupe. Doch es ist sinnlos. Nichts bewegt sich. Nach der Brücke heißt es im Nadelöhr Grenze für die Busfahrgäste ausladen. Das Spiel beginnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen