: Die zwei Seiten der Enthospitalisierung
■ Kaum eröffnet, ist ein Projekt für psychisch Kranke schon wieder gefährdet
Und wieder eine Investition, die möglicherweise in den Sand gesetzt wird: 220.000 Mark investierte der Bezirk Treptow in den Secondhand-Recyclingbetrieb „Kinder-Kram“, ein Psychiatrieprojekt, das heute eröffnet. Aber aufgrund der angekündigten Mittelkürzungen des Bezirks um ein Drittel ab 1997 scheint das Projekt bereits bei seiner Einweihung gefährdet.
Wegen einem „Stop-and-Go“ bei der Bewilligung und Verfügbarkeit von Geldern dauerten die Vorbereitungen und der Ausbau des Zuverdienstprojektes zwei Jahre. Im Rahmen der Enthospitalisierung finden hier 12 Menschen, die entweder lange in der Psychiatrie waren oder immer wieder dorthin müssen, die Möglichkeit, je nach individuellen Fähigkeiten einfache Teilzeitarbeiten zu verrichten. „Gerade für diese Drehtürpatienten ist es besonders wichtig, daß sie schrittweise und ohne Rehabilitationsdruck und Fristen wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden“, sagt die Leiterin des Vereins „Allgemeine Jugendberatung e. V.“, Ellen Müggenburg. Der Verein ist Träger des Projektes. Unter Anleitung einer pädagogisch geschulten Textilfacharbeiterin arbeiten die psychisch gestörten Menschen gemischten Alters vier bis fünfzehn Stunden in der Woche daran, gebrauchte Kinderkleidung zu reparieren und zu verkaufen. „Die drei Mark Aufwandsentschädigung für die Klienten sind nicht viel, aber dafür werden sie hier nicht nur stupide beschäftigt wie in der Arbeitstherapie“, erklärt Müggenburg. Es sei ein langwieriger und schwieriger Prozeß, die jahrzehntelang im Krankenhaus erlernte Unselbständigkeit und Kontaktarmut aufzubrechen.
Der Bettenabbau in psychiatrischen Kliniken schreitet zügig voran – laut Krankenhausplan 1993 sollen bis Ende 1998 weitere 1.000 psychiatrische Betten in Berlin verschwinden. Gleichzeitig sind aber die ambulanten Projekte, die die ehemaligen Patienten aufnehmen sollen, in ihrem Bestand akut gefährdet. Vor zwei Wochen kritisierte der Paritätische Wohlfahrtsverband an dem neuesten Berliner Psychiatrieentwicklungsprogramm (PEP) vom Juni das Fehlen von verpflichtenden Mindeststandards wie Platzkontingente und Personalschlüssel in den ambulanten Einrichtungen. Außerdem müsse man den Projekten die Pflichtversorgungsaufgaben in den Bezirken nehmen und unbedingt die dringend notwendigen langfristigen Leistungsverträge geben. Sonst drohe den psychisch Kranken ständig Langzeitarbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit.
In dem Gebäude, in dem „Kinder-Kram“ untergebracht ist, befindet sich seit fünf Jahren eine Kontakt- und Beratungsstelle für die überwiegend in therapeutischen Wohngemeinschaften lebenden Klienten. „Hierher können die Leute kommen, wenn sie sich nicht in der Lage sehen, zu arbeiten.“ Eine Psychologin und eine Sozialarbeiterin betreuen sie. Das Projekt ist bewußt unmedizinisch: Kein Psychiater wacht hier über den Krankheitsverlauf. Die meisten sind chronisch psychotisch.
Die jährlichen Zuwendungen des Bezirkes für beide Projekte belaufen sich auf etwa 330.000 Mark pro Jahr. Würden sie, wie angekündigt, um ein Drittel gekürzt, droht beiden die Schließung. Die Bezirksstadträtin für Gesundheit in Treptow, Angelika Buch (PDS), gibt zu, es sei schwierig, derartige Einrichtungen zu retten. „Ich bin angehalten, bei allen Projekten pauschal zu kürzen.“ Tim Köhler
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