: Meuterei bei 1860 München
Alte Fans und neue Feinde werfen dem Präsidenten vor, er verwandle den traditionsreichen Verein in einen straff geführten „FC Bayern light“ ■ Von Thomas Pampuch
Horst Wurm sieht nicht aus wie Leo Trotzki. Eher wie Robert Lembke, was nicht verwunderlich ist, denn der heitere Beruferater war sein Onkel. Horst Wurm ist ein freundlicher Münchner in den mittleren Jahren, Inhaber einer PR-Agentur in München und dazu Professor für Öffentlichkeitsarbeit in Mainz. Glaubt man seinen Feinden, so ist Horst Wurm aber vor allem Kopf einer konspirativen Gruppe, die Umstürzlerisches im Sinn hat. Was insofern stimmt, als Wurm einem Präsidenten ans Leder will.
Karl-Heinz Wildmoser sieht Josef Stalin sehr entfernt ähnlich, was wohl an seinem imposanten Schnurrbart liegt, der im Gegensatz zu dem des Georgiers allerdings entschlossen nach oben zeigt. Karl-Heinz Wildmoser ist von Beruf Kaufmann. Er hat mehrere Immobilienfirmen, betreibt zwei berühmte Wirtshäuser in München und auf dem Oktoberfest eine Hendlbraterei. Seit 1992 ist er Präsident des Münchner Bundesligavereins TSV 1860. Die Sechziger haben in diesen Jahren einen imposanten Durchmarsch von der Bayernliga bis zum 8. Platz der Bundesliga geschafft. Präsidentenschnurrbart und Erfolgskurve der „Löwen“ weisen somit eine erstaunliche Parallelität auf. Glaubt man seinen Feinden, so ist Karl- Heinz Wildmoser allerdings so etwas wie ein autokratischer Machtmensch auf dem Egotrip.
„Der Erfolg heiligt nicht alle Mittel. Das Format eines Menschen zeigt sich, wenn er Macht hat.“ Es sind bedeutungsschwere Sätze, die Wurm als ehemaliges Mitglied des Wirtschaftsbeirats und immer noch Delegierter des TSV 1860 Mitte September in einem Hinterzimmer des Restaurants „Firenze“ am Isartor den etwa 40 Anwesenden vorträgt. Eigentlich hätte das Treffen eine außerordentliche Delegiertenversammlung werden sollen – nicht im „Firenze“, sondern im traditionsreichen Löwenbräukeller: „Die Wahrheit über die derzeitige Situation und die Konsequenzen aus den unzähligen Rechtsstreiten unseres Vereins“ und „die Wahrheit über die gesamte Scientology-Hysterie beim TSV 1860“ hatte Wurm verbreiten wollen. Doch da kannte Wurm seinen Karl-Heinz Wissarwionowitsch schlecht. In seinem Bestreben, Wurm zu zertreten, hatte der Präsident einiges in Bewegung gesetzt. So berichtet Wurm, daß ihm die Geschäftsstelle von 1860 standhaft die Adressen seiner rund 180 Mitdelegierten verweigert habe.
Der Löwenbräukeller sagt den Meuterern ab
Und als er dennoch den Löwenbräukeller anmietete, um die für ihn erreichbaren Delegierten dorthin einzuladen, erhielt er kurz nach der Bestätigung aus der „Höhle des Löwen“ (Eigenwerbung des Löwenbräukellers) ein zweites Schreiben, in dem ihm der Wirt erklärte, man sei nicht bereit, „das sehr gute Verhältnis und die Zusammenarbeit mit dem Präsidium des TSV 1860 München zu gefährden“. Nun sitzt man also inoffiziell beim Italiener.
Es knirscht im Organisationsgefüge des nach dem FC Bayern zweiten Münchner Bundesligaclubs. Wird da die Stalinisierung des seit eh und je proletarisch- bodenständigen Giesinger Vereins vorangetrieben? Läuft da eine beleidigte Leberwurst Amok, oder entfaltet sich wieder einmal jenes uralte Drama des Tyrannensturzes in Tateinheit mit Vatermord, wie es jede nennenswerte erfolgsorientierte Organisation irgenwann einmal erlebt?
Viel ist an dem Abend im „Firenze“ vom verlorengegangenen „Wir-Gefühl“ des „Volksvereins“ die Rede. Aber Wurm, der stolz darauf verweist, er habe dem Verein 10.000 neue Mitglieder zugeführt, erhebt auch konkrete Anschuldigungen: Wildmoser habe (ohne den Wirtschaftsbeirat zu informieren) einen für den Verein ausgesprochen nachteiligen Vertrag über den Vertrieb von Fanartikeln ausgehandelt, den später wieder gekündigt, und nun käme auf den Verein eine Prozeßlawine mit Schadenersatzforderungen von über 8 Millionen zu. 1860 sei zu einem „TSV Wildmoser“ geworden, „geführt wie ein Thekenverein“. Mängel im Management würden durch Personenkult ersetzt, es werde gemobbt und verleumdet. Ihm, Wurm, habe Wildmoser angehängt, Mitglied bei Scientology zu sein und ihn zudem auch noch beim „Löwen-Renntag“ auf der Trabrennbahn Daglfing hinausschmeißen lassen, was alles ein gerichtliches Nachspiel haben werde.
„Von der charakterlichen Disqualifizierung des Präsidenten“ und von „180 Kilo Lebendgewicht“, die halt nicht genügten, um einen Verein zu führen. Aber auch Wurm bekommt von den anwesenden Wildmoserfans sein Fett: „Leit wie Sie, des san die Gefährlichsten“ und daß er um sich schlage „wie ein waidwundes Tier“. Die Wurmschen Reformvorschläge interessieren nur mäßig. Im Vordergrund steht die persönliche Feindschaft zwischen einem Präsidenten und einem ausgebooteten Mitstreiter, der sich wehrt. „Ja, ich bin nachtragend“, gesteht Wurm.
1860 München hat eine lange und bewegte Vergangenheit. Man mußte schon immer ein bißchen Masochist sein, um diesem liebenswerten, aber chaotischen Verein die Treue zu halten. 1966 unter Trainer Max Merkel noch Deutscher Meister stieg der Verein bereits 1970 erstmals aus der Bundesliga ab und mußte auf lange Zeit die Triumphe dem verhaßten FC Bayern überlassen. Der eilte von Meisterschaft zu Meisterschaft und stellte bald die halbe Nationalmannschaft. Da war es den Löwen wenig Trost, daß der Giesinger Franz Beckenbauer als Sechziger angefangen hatte. Wegen einer Watschen vom Trainer war er zum Rivalen übergelaufen und dort zum „Kaiser“ geworden, was eine besondere Perfidie darstellte, hatte doch der überaus beliebte Sechzigertorwart Peter Radenkovic – einer der ersten Gastarbeiter im deutschen Fußball – in den damals üblich werdenden Fußballerschlagern noch bescheiden gesungen „Bin i Radi, bin i König“.
Indes wetteiferten sportliche Mißerfolge und Mißwirtschaft miteinander, bis es schließlich dem CSU-Haushaltsexperten und Präsidenten Erich Riedl gelang, die Sechziger bis in die Amateurliga herunterzuwirtschaften. Mit acht Millionen Schulden wurden die Löwen 1982 zwangsweise in die Bayernliga eingewiesen, wo sie neun lange Jahre schmorten. Trotz allem blieben die Fans dem Verein treu. „Einmal Löwe, immer Löwe“ lautet die blutsbrüderliche Losung der Giesinger.
1992 tauchte dann – nachgerade als Lichtgestalt – Karl-Heinz Wildmoser auf. Er stellte den resoluten Trainer Werner Lorant ein (inzwischen als Vertreter der „Einmanndemokratie“ bekannt) – und unter dem Duo infernal kam der Verein atemberaubend schnell nach oben. Heute gehen die Sechziger wieder erhobenen Hauptes durch die Stadt. Das traditionsreiche Sechz'gerstadion in Giesing freilich haben sie – auf Wildmosers Betreiben – verlassen und müssen sich nun mit ihrem Erzfeind, den Roten, die „öde Leichtathletikschüssel“ des Olympiastadions teilen.
Das brachte den ersten Knick in die Popularitätskurve Wildmosers, insbesondere beim harten Kern der Sechzigerfans. Deren Fanmagazin Löwenzahn stellte aus Protest gegen den Umzug das Erscheinen ein und rief zum Boykott des Olympiastadions auf. Inzwischen hat eine neue Zeitschrift namens Breitseite den Kampf aufgenommen. Und es sind keineswegs nur jugendliche Hitzköpfe, die sich da versammeln. Sie werfen „Heinzi“ vor, 1860 zu einer „Billigkopie des FC Bayern“ machen zu wollen: „Altlöwen und Traditionalisten finden den Ausverkauf der Löwenwerte zum Kotzen, während sogenannte Neufans und VIPs es gar nicht erwarten können, bis auch die letzten nach Tradition und Proletariat riechenden Reste beim – ,FC Bayern light‘ verschwinden.“
Ob es zwischen dem „Modernisierer“ Wurm und den Volkstümlern der Breitseite-Fraktion zu einer Allianz gegen „die marktwirtschaftlichen Fundamentalisten im Präsidium“ kommt, ist sehr die Frage. Auch Wurm war immer für den Umzug, er will ihn nur wirtschaftlich besser nutzen. Bislang eint die Opposition allein ihr Haß auf „Wildmoser und seine Kamarilla“ und dessen „Sonnenkönigtum“.
Spricht man mit Wildmoser selbst, so scheint das alles an ihm abzuprallen: „I hab' einigen Erfolg g'habt, und jetzt hänga sich die Leit natürlich alle an mir auf.“ Der Wurm ist ihm schlicht „wurscht“. „Der hat viel gesprochen und nichts getan.“ Darum sei der Wirtschaftsbeirat aufgelöst worden. Daß Wurm Scientologe ist, habe er nie gesagt, und deswegen brauche er auch nichts zurückzunehmen.
Wildmoser fühlt sich stark, stark wie noch nie
Er habe Wurm auch nicht in Daglfing hinausgeschmissen, die Rennleitung habe Wurm gebeten zu gehen. Freilich hätte er in Zukunft schon gern erst eine Gästeliste, wenn wieder ein Löwenrenntag sein sollte, „weil des kann ja ned sein, daß unter den Ehrengästen einer ist, der im Verein einen Zirkus macht wie einen Sturm im Wasserglas“. Ohne den Stadionwechsel wäre Sechzig heute nicht in der ersten Liga, „weil wir die damalige Mannschaft hätten schon gar ned halten können. Der (Mittelfeldstratege) Peter Nowak wär' heit in Japan und ein Borimirov immer noch in Sofia.“
Borimirov hat in den letzten beiden Spielen gegen Freiburg und Rostock drei Tore geschossen. 1860 liegt gut im Mittelfeld. Das Derby gegen Bayern ist schon seit langem ausverkauft. Die Zahlen, die 1860 schreibt, sind laut Wildmoser „kohlrabenschwarz. Wenn i a Geld brauch', brauch' i ja bloß einen Spieler verkaufen.“ In der Beleidigungssache Wurm gegen Wildmoser am Mittwoch vor einer Woche würdigten sich die beiden keines Blickes und lehnten einen Vergleich ab. Die Prozesse gehen weiter.
„The battle rages on...“, verspricht auch die Breitseite. Die Hardcore-Löwenfans bekennen sich inzwischen geschlossen zur „Liontology.“ Die neue Hymne von 1860 heißt „Stark wie noch nie“.
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