Zwischen den Rillen: Es gibt sie, es gibt sie nicht...
■ Ideenflucht ahoi! Vagabundierendes Neuseeland mit The Chills und The Clean
Daß die neuseeländischen Chills mit R.E.M. viel gemein haben, kann man nicht gerade behaupten. Doch einen langfristigen, gar über sieben Alben gehenden Kontrakt bei der WEA, den hatten Ende der Achtziger auch sie in der Tasche, wobei dieser finanziell sicherlich ungleich bescheidener vergütet wurde. Obwohl Popmusik aus Neuseeland einige Zeit ein ziemlicher Renner war, blieben die Chills die einzigen, die es zu einem Industriedeal brachten: Für das Busineß erwiesen sich praktisch alle neuseeländischen Bands in ihrem Vagabundentum und ihrer Diskontinuität als zu sperrig. Als 1986 der „Tuatara“-Sampler, der Gitarrenpop aus Neuseeland erstmals einem etwas größeren Kreis von Interessierten erschloß, herauskam, existierte ein Großteil der auf ihm vertretenen Bands schon nicht mehr. Man spielte in neuen Projekten und Vereinigungen oder war verstreut in der Welt. Unter dem Modell „Band“ war der Sound von Neuseeland nie leicht zu orten (für Fans) und zu vermarkten (für Plattenfirmen). Bei den Chills war das nicht anders: Schon auf ihrer 1984/85 aufgenommenen „Lost E.P.“ hatten sie die „Phase acht“ der Bandgeschichte erreicht. Die beiden Alben, die bei der Industrie herauskamen, erschienen erst nach langwierigen Produktionsprozessen, und sowieso bestand diese „Band“ immer nur aus einem Mann: aus ihrem Songschreiber, Sänger und Gitarristen Martin Phillipps.
Vier Jahre war Funkstille, nun hat er wieder mal ein Album veröffentlicht, bei Flying Nun, dem alten Label. Ein Soloalbum, wenn man so will, wiewohl er auf den Namen Chills wieder nicht verzichten mag. Was war, was ist, woher die Geschichten von Krankheit, Tod, innerer Einkehr, die Phillipps zeit seiner Karriere begleiteten, das Info der Plattenfirma verrät es uns nicht.
Wenn man „Sunburnt“ hört, hat man das Gefühl, daß Phillipps wieder zu Hause angekommen ist, daß er sich auf die Frühphase des Chillsschen Schaffens besonnen hat. Das Bemühte, das etwas zu Perfekte, all das, was das letzte Album „Soft Bomb“ etwas blutarm klingen ließ, ist gänzlich verschwunden.
Auf „Sunburnt“ sind einfache, unaufdringliche Songs, die Glücksgefühle verströmen: „Uh, oh my heart's been hit“, heißt es im fröhlichsten und lockersten Stück, und das läßt man sich auf „Sunburnt“ nicht nur einmal gefallen. Selbst der traurigste und wehmütigste Song, eine Ballade auf das Altern, läßt die Herzen höchstens in die Hosentaschen purzeln: „Lost In Future Rains“.
Hinter den neuseeländischen Landsmännern von The Clean stecken bekanntlich zu zwei Dritteln das Brüderpaar Kilgour und Robert Scott. Als The Clean kümmerten sie sich bisher um alles mögliche, bloß nicht darum, eine gut funktionierende Band zu sein (Album, Tour, Album, Tour etc).
Der eine Bruder spielte zeitweise recht krudes Material ein, der andere widmet sich unter anderem Tätigkeiten wie Malen und Dekorieren, und Robert Scott nimmt seit Jahren – man muß sagen, recht stetig – mit einer Combo namens The Bats wunderschöne und völlig unbeachtete Alben auf. So gibt es auch The Clean, gibt es sie nicht, gibt es sie... und in fünfzehn Jahren Bestehen haben sie es jetzt mit „The Unknown Country“ auf ganze drei Alben gebracht. Wie immer ist es Pop und auch wieder nicht. Arglos auch hier der Einsatz von Keyboards und E-Pianos, der neuseeländische Bands immer auszeichnete: Man läßt diese Instrumente die Songs sogar führen, verwendet sie nicht nur als verschämte Verzierung oder überzogenen Manierierismus. „The Unknown Country“ hört sich vielgestaltig, uneinheitlich und bunt an, Ideenflucht ahoi, man merkt die drei eigenständigen Songwriter: Hübsch-exotische Instrumentals gibt es da, obskure Songs wie „Get The Liquid“, der wie eine Kassette kurz vorm Bandsalat klingt; irgendwie ländliche Songidyllen,you only know from New Zealand; und eckige freudestrahlende Mini-Bolzer, die den Eindruck entstehen lassen, The Clean hätten erst gestern entdeckt, daß Musik das Leben erträglicher macht. Da macht es nichts, daß der Opener „Wipe me, I'm lucky“ sich auch gut auf U2s „The Unforgettable Fire“ gemacht hätte.
Unbeeindruckt vom hektischen trendy Treiben um sie herum wirken Phillipps, Kilgour, Kilgour und Scott wie störrische, aber glückliche Spielkinder, die auf ewig gewillt sind, nur den eigenen Wünschen nachzugehen. Da folgt (und lauscht) man nur allzugern, und ein bißchen Lebenshilfe ist auch dabei: Wenn man mal wieder gar arg misanthropisch eingestellt sein sollte, seine Problemchen mit sich und der Welt hat: Leute, die diese Musik mögen, können einfach keine schlechten Menschen sein. Gerrit Bartels
Martin Phillipps & The Chills: „Sunburnt“; The Clean: „The Unknown Country“
(Flying Nun/Rough Trade)
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