: Dreimal täglich
■ Wichtige Nachrichten statt Surfen: Wie ein deutscher Theologe Kambodscha ans Internet angeschlossen hat
Kambodscha im Cyberspace? Als der Theologe Norbert Klein aus Deutschland vor sechs Jahren nach Phnom Penh kam, konnte niemand ahnen, daß der freundliche Herr mit dem weißen Bart eine Revolution ins Land tragen würde: den Sprung ins Internet-Zeitalter.
Der Gedanke allein wäre absurd erschienen. Damals war es noch schier unmöglich, jemanden in Kambodscha telefonisch zu erreichen. Gespräche mußten angemeldet werden, und es konnte Stunden dauern, bis eine Leitung frei war. In der Hauptstadt Phnom Penh gab es kaum mehr als ein paar Dutzend Anschlüsse. Andere Orte waren nur durch Funk zu erreichen. Viele Gebiete hatten nicht einmal Strom. Nach Jahrzehnten von Krieg und Bürgerkrieg war das Land verarmt und zerstört.
Als Entwicklungshelfer für den „Lutherischen Weltdienst“ bewegte sich Klein zunächst in ganz erdgebundenen Sphären: Er organisierte Hilfe für kambodschanische Bauern, ließ Experten für Rinderzucht kommen, kümmerte sich um den Aufbau einer Berufsschule. Heute arbeitet der 62jährige Bayer im „Open Forum for Cambodia“, das der ehemalige Botschafter in der DDR und spätere Außenminister Kambodschas, Phi Thach, im vergangenen Jahr gegründet hat. Ziel der Organisation: Politiker unterschiedlicher Parteien und Experten an einen Tisch zu bringen, um Debatten über die Zukunft des Landes in Gang zu bringen.
Nach der Terrorherrschaft der Roten Khmer und dem von Vietnam eingesetzten kommunistischen Regime „muß Kambodscha eine neue politische Kultur entwickeln“, sagt der Gottesmann Klein. Er will nicht nur darüber reden. Inzwischen hat sich das „Open Forum“ auch zum Herzstück des ersten kambodschanischen Internet-Anschlusses entwickelt – dank der Beharrlichkeit des Norbert Klein.
Mit sichtlichem Vergnügen erzählt er, wie es dazu kam: 1993 hatte ein Mitarbeiter aus dem kambodschanischen Agrarministerium ein Stipendium für ein Aufbaustudium in tropischer Landwirtschaft erhalten – und stand kurz davor, absagen zu müssen.
Legosteine müssen die Laptops kühlen
Denn die Finanzierung war mit einer Bedingung verbunden: Die Teilnehmer sollten auch während der einjährigen Feldforschung in ihren Heimatländern in ständigem Kontakt mit ihren Dozenten in Uppsala, Oxford und Ho-Chi- Minh-Stadt stehen. Eine kaum zu erfüllende Forderung, denn einen Zugang zum Internet oder einen E-Mail-Kontakt gab es in Kambodscha nicht.
Klein: „Wir konnten doch das Stipendium für den Mann nicht verfallen lassen.“ Deshalb habe er überall herumgefragt: Wie baut man eine E-Mail-Verbindung auf?
Schließlich schickte ihm jemand eine Diskette mit einem Programm. „Damit saß ich nun da“, erinnert sich Klein, „ich besaß zwar schon früher in Deutschland einen E-Mail-Anschluß und hatte hier in Phnom Penh auch meinen Computer dabei, aber wie so etwas eingerichtet wird, davon hatte ich nicht den blassesten Schimmer.“
Die nächsten Wochen verbrachte Klein jede freie Minute an seinem Bildschirm. Gemeinsam mit seiner Frau kaufte er sich die notwendigen Geräte zusammen. Die erste Batterie für die Stromversorgung der Computer kam aus einem russischen Lastwagen, der Sohn mußte Legosteine opfern, die zur besseren Kühlung unter die Laptops geklebt wurden. Das „Evangelische Soziallexikon“ wanderte unter den Tisch, auf dem nun die Stapel der Computerhandbücher in beträchtliche Höhen heranwuchsen.
Schließlich der Erfolg: Ab März 1994 hatte Norbert Klein eine tägliche Verbindung nach Oxford. Der Mann aus dem Landwirtschaftsministerium konnte tatsächlich studieren.
Aus dem privaten Hilfsprojekt wurde das „Open Forum Information Exchange“. Klein hat mittlerweile mehrere kambodschanische MitarbeiterInnen und einen zweiten, drahtlosen Telefonanschluß. Zwei Laptops und ein Desktop- Computer schnurren und fiepen im Geräteraum unter seiner Wohnung. Da in Phnom Penh immer noch regelmäßig die Elektrizität ausfällt, läuft die Stromversorgung über Lastwagenbatterien in der Garage.
Insgesamt 127 Teilnehmer, darunter Ministerien, die Universität, internationale und kambodschanische Hilfsorganisationen, UNO- und EU-Büros nutzen den Service heute. Sie schicken ihre Computerpost zuerst durchs Telefon zum „Open Forum“, wo sie in Norbert Kleins Laptops gespeichert und dreimal am Tag weiter nach San Francisco gesandt wird. Von dort gelangen die Briefe an ihre Adressaten in aller Welt. Umgekehrt erhalten die Nutzer auch dreimal täglich auf diesem Weg ihre elektronische Post aus dem Ausland.
Bislang nehmen nur Kunden in Phnom Penh an Kleins Internetdienst teil, doch in den nächsten Monaten werden sich auch Organisationen in der zweitgrößten Stadt des Landes, Battambang, einwählen können.
Fünf Dollar zahlen kambodschanische, 10 Dollar ausländische Institutionen im Monat, dazu 30 Cent (knapp 50 Pfennig) pro tausend Zeichen übermittelter Post. Das ist für Kambodschaner nicht billig (eine vierköpfige Familie braucht in Phnom Penh 150 Dollar monatlich zum Leben). Aber „das System muß sich selbst tragen. Im Einzelfall machen wir es auch mal billiger“, sagt Klein, der die ersten Anschaffungen aus eigener Tasche zahlte. Zudem gehören die Telefongebühren in Kambodscha noch zu den teuersten der Welt.
Surfen im World Wide Web können die Teilnehmer des „Forum“ bisher noch nicht. Sie können nur Nachrichten verschicken und empfangen – denn es gibt keine Standleitung ins Ausland. Doch vielleicht ändert sich das bald: Eine japanische Kommunikationsfirma will dem „Open Forum“ einen Satellitenstrahl kostenlos für zwei Jahre zur Verfügung stellen. „Fünfzig- bis achtzigtausend Dollar brauchen wir“, sagt Klein, „um die Bodenstation einzurichten.“
Ans Netz sollen nicht nur Universitäten und staatliche oder internationale Institutionen. Klein: „Wir wollen auch allgemein zugängliche Räume mit Computern einrichten“ – ähnlich wie öffentliche Bibliotheken oder Internetcafés.
„Internetcafés“ im rückständigen Kambodscha, wo die meisten Kinder nicht einmal zur Schule gehen können, wo es Zeitungen fast nur in der Hauptstadt gibt und wo viele Dörfer völlig ohne Stromversorgung sind? So absurd diese Vorstellung im ersten Augenblick erscheint, so vernünftig ist sie in Wirklichkeit. Jahrzehntelang war die Bevölkerung vom Ausland abgeschnitten, die Roten Khmer zerstörten in den 70er Jahren auch die eigenen Bibliotheken und Schulen. Es wird viele Jahre dauern und ein Vermögen kosten, bis die Buchregale des Landes wieder gefüllt sind. Da können E-Mail und Internet die billigste und schnellste Möglichkeit zur Kommunikation innerhalb Kambodschas und mit dem Ausland bieten.
Der Landwirtschaftsstudent hat mittlerweile sein Examen bestanden. Norbert Klein hat schon wieder etwas Neues vor – in Zukunft soll der Austausch auch mit kambodschanischen Schriftzeichen möglich sein. Klein: „Schließlich können ja nicht alle Englisch.“ Jutta Lietsch
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