piwik no script img

„Ich will sagen, wie es wirklich war“

Marion Michael wurde in den fünfziger Jahren mit ihrer Rolle als fast nacktes Dschungelmädchen „Liane“ zum Jungmännertraum. Ihren Aufstieg und ihren tiefen Fall hat nun Horst Königstein verfilmt  ■ Von Jan Feddersen

Sie leidet an Lampenfieber. Immer hat sie sich danach gesehnt, ihre Geschichte zu erzählen. „Ich will sagen, wie es wirklich war.“ Aber wenn sie dann Auskunft geben kann, zittert sie. Wie jetzt, in ihrer Dreiraumwohnung an der Ostberliner Karl-Marx-Allee, in der sie mit ihrem Mann lebt.

Sie steckt sich eine Zigarette an, verschüttet, als sie die Kaffeetasse an ihren Mund führt, ein wenig Flüssigkeit. Neben ihr, in diesem gemütlichen Wohnzimmer mit vielen Büchern, einem Samowar auf dem Schrank und der Rose auf dem Tisch, sitzt Freimut Patzner, ihr Mann, einst Mitarbeiter im Ministerium für Glas- und Keramikindustrie der DDR. Er ist ihre Lebensversicherung. Ohne ihn, das sagt sie unumwunden, hätte sie sich nicht so lange halten können. „Früher“, sagt sie, da sei sie „alle Vierteljahr krank gewesen“.

„1982 bin ich diagnostiziert worden“, teilt Marion Michael im Passiv mit. Endlich hatte sie einen beglaubigten Anhaltspunkt für ihre Launen und ihre Suche nach dem, was andere Leute für ein ruhiges Leben halten. Was ihr die Mediziner sagten, war, daß sie manisch- depressiv sei. Eine Diagnose, mit der sie sich selbst nun besser erkennen kann. Ihr Mann weiß sich auf diese Krankheit einzustellen. Marion Michael: „Ein Mann, der nicht meckert, wenn mal die Küche nicht so ordentlich ist.“ Freimut Patzner guckt sie bei diesem Satz liebevoll an, nimmt seinen Blick auch nicht zurück, als sie sagt: „Bei depressiven Stimmungen muß ich schlafen, immer schlafen.“ Er läßt sie dann in Ruhe. Sie meint: „Das macht man nur aus Liebe.“ Und dann stecken sich beide die nächste ihrer vielen Zigaretten an.

Männerphantasien flossen ungefiltert ins Drehbuch

Sie scheint angekommen. Ihre Rastlosigkeit hat sich ein wenig gelegt. Endlich einer, der nur auf sie aufpaßt und sie nicht gefügig machen will. Sie hat diese Erfahrung erst spät in ihrem Leben machen können – oder wollen. 1956 jedenfalls wollte sie keine Chance, in Ruhe zu überlegen, was sie eigentlich will, und wem sie vertrauen kann. Damals war sie, besser: ihr Gesicht, ihr Körper und ihre zarte Aussprache, in den Phantasien der pubertierenden Jungmänner der Republik so mächtig wie die geheimste Verlockung: „Liane – das Mädchen aus dem Urwald“.

Mit einer einzigen Rolle brannte sie sich in die Alltagsträume junger Proleten. Das Dschungelmädchen – blond und von unschuldiger Art, wird im Urwald von wohlmeinenden Weißen aufgestöbert, von ihnen in die europäische Heimat entführt, um ihr dort alle afrikanischen Flausen auszutreiben. Männerphantasien flossen ungefiltert in das Drehbuch ein: So kam dabei eine Art Ethno- Pygmalion heraus.

Mehr als 10.000 Mädchen wollten damals diese in Bild ausgelobte Rolle: Der deutsche Nachkriegsfilm war jung, die Wirtschaftswunderdeutschen hungrig auf neue Gesichter. Und Marion Michael wollte gewinnen. Unbedingt. Was machte es da schon, daß sie als Tochter eines Arztes und einer anthroposophisch inspirierten Mutter auf höhere Kulturgüter getrimmt war? Marion Michaele Delonge – so ihr richtiger Name – übte fleißig an der Ballettstange – für später. Geld war jetzt wichtiger, die mittlerweile vaterlose Familie lebte in ärmlichen Berliner Verhältnissen.

Immerhin brachte sie zu den Probeaufnahmen in den Berliner Arca-Studios eisernen Siegeswillen mit. „Ich hatte immer gefühlt, daß ich Erfolg haben würde“, gibt sie zu. Der Glaube an die eigene Göttlichkeit: Schickte ein Foto an die Filmproduzenten und stach ihre Konkurrentinnen um die Rolle neben Hardy Krüger aus. Der Rest gehört zu den Alltagsmythen der Fünfziger: Marion Michael – der „Bundesnackedei“ (Bild). Eine entblößte Frauenbrust war neu im deutschen Film. Aus der Boulevardpresse troff es: „Sie hat einen schmiegsamen Körper, eine blonde Haarmähne, einen vollen Mund, katzenhafte Bewegungen und beunruhigend schöne Augen, deren Aufschlag unverschämt süß wirkt.“

Etappenziel erreicht. Plötzlich hatte sie alles, wovon sie in ihrer bratkartoffeligen Berliner Dachwohnung kaum zu spekulieren wagten: tolle Kleider, tolle Auftritte, einen Bungalow im Berliner Stadtteil Dahlem, später ein Auto. Bekam körbeweise Post von ihren Fans, weiblichen und männlichen. Baten um ein Rendezvous oder um Lebenshilfe. 1958 stand ihr Kurswert höher als der der ewig tränenumspülten Maria Schell.

Von da an ging's bergab. Marion Michael glaubte tatsächlich, daß ihre Liane sie zu künstlerisch anspruchsvolleren Angeboten schwingen würde. Was für ein Irrtum: Ihr Mentor, Produzent und erster Liebhaber, Gero Wecker, der in ihrer naiven Art das Gold sah, mit dem er seine Filmfirma flott halten konnte, machte ihr schnell klar: „Kunst macht kein Geld.“ Vertraglich war sie sieben Jahre an die Arca-Produktion gebunden: „Liane – die weiße Sklavin“ (mit dem Mütterliebling Adrian Hoven), „Der tolle Bomberg“ an der Seite des alternden Hans Albers. Nichtigkeiten und nichts, um sich für freundliche Erwähnungen in cineastischen Standardwerken zu empfehlen, nichts, um eine Anwartschaft auf die Nachfolge der Duse anzudeuten.

1960 verunglückt sie mit dem Auto auf dem Weg nach Nizza. Kinn zerschmettert, Schnitte im Gesicht. Keine Großaufnahmen mehr. Ihre große kleine Filmkarriere – am Ende. Nun gab's auch kein Geld mehr, von Kultur ganz zu schweigen. 1962 drehte sie für lange Zeit ihren letzten Film, „Jack und Jenny“. Er floppte. Aus der Traum, eine deutsche Brigitte Bardot zu werden oder wenigstens eine, die der Jean Seberg aus „Atemlos“ nahekommt.

Wenige Monate spielte sie dann unter dem Regisseur Oscar Fritz Schuh in Köln. Als sie sich in einen Mann verliebt, der mit ihr nach Island fliehen will, läßt sie die Vorstellungen sausen. Ihr Angebeteter schlägt vor, in Island in einer Fischfabrik zu arbeiten. Plastikkittel statt Nerz? Das ist nichts für sie. Als sie auf dem Flughafen in Reykjavik ankommen, steht dort schon ihr Filmproduzent Gero Wecker. Reumütig kehrt sie mit ihm nach Deutschland zurück. Die Arbeit am Theater kann sie nicht wieder aufnehmen. Die Zeitungen nehmen von ihr überhaupt nur unter einem Stichwort Notiz: „Liane“.

Mit der hat sie sich ausgesöhnt. Angeblich. Diese Figur möchte sie heute ganz anders sehen, als eine wie die des Kaspar Hauser. Liane – eine Naive, die in eine schlimme Welt gerät, die sie nicht begreift? „Ja, so in etwa.“ So wertet sie ihr Dschungelmädchen doch noch auf, um ihren eigenen Ansprüchen zu genügen. Trash? Müll? „Nein, bestimmt nicht.“

Sie hat ihre Umwelt genervt mit dieser Überzeugung. Mögen doch andere hämen. Sie wußte, daß ihre Liane mehr auf dem Kasten hatte. Aber die anderen, die wollten immer nur die Unschuld aus dem Urwald. Am Ende fand sich niemand mehr, der eine Rolle mit ihr besetzen wollte. 1970 besucht sie in Berlin eine Schule, um die Mittlere Reife nachzuholen. Kommt dort durch Mitschülerinnen in Kontakt mit der Studentenbewegung. Marion Michael findet ihren Zugang zur Welt – endlich. Nicht nur sie allein wird von der Welt ungerecht behandelt. Tröstlich.

Ihre siebziger Jahre verbringt sie orientierungslos. Bekommt 1970 ein Kind, Benjamin. Zieht es von den Resten ihrer einst üppigen Gagen auf. Interessiert sich für alles, was nach Aufbruch schmeckt. So gründet sie einen Kinderladen in Kreuzberg, später eine Theaterwerkstatt. Und sie sagt allen, Kommunistin zu sein. „Die Welt verändern“ will sie, mindestens.

Rastlos zieht sie durch Westberlin. Trinkt zuviel, wenn es ihr gut geht. Vom NDR bekommt sie die Chance, die Kindersendung „Emm wie Meikel“ zu moderieren. Doch sie flieht vor dieser Aufgabe, „der Streß war mir zuviel, ich lebte schon in einer anderen Welt“. Sie versucht schließlich, sich aus ihr zu verabschieden. Erfolglos, „darüber bin ich doch sehr erleichtert“. Ihre linke Hand ist seit diesem Versuch, die Pulsadern aufzuschneiden, verkrüppelt. „Sehen Sie“, sagt sie und streckt ihre alte Wunde vor, „der Schnitt hätte vertikal gemußt, nicht horizontal.“ Ihr Bruder und ihre Schwägerin retten sie, sie kommt trotzdem nicht zur Ruhe.

Um sich von ihrem Lebensgefährten Marcel Werner zu lösen, entschließt sie sich 1979, in die DDR auszuwandern. Ins gelobte Land, dorthin, wo keine kapitalistische Falschheit ist. Doch sie wußte nicht, daß sie schon damals auf eine Horde von Zynikern treffen würde, die nichts so fürchteten wie eine Störung des sozialistischen Gangs. „Einmal, in einer Gewerkschaftsversammlung, fragt der Leiter am Schluß, ob noch jemand etwas sagen will. Ich dachte, ja, ich. Habe dann auch gesagt, daß man offen sprechen müsse, Tuschelei ist nicht gut, die löst keine Probleme.“

1979 geht sie in die DDR, um zur Ruhe zu kommen

Diese freundlichen Anmerkungen hat man ihr schnell abgewöhnt. Marion Michael wird zur DDR- Bürgerin. 1982 trifft sie Freimut Patzner. „Man sagte mir, sie sei eine berühmte Filmschauspielerin, aber in meinem Lexikon stand sie nicht.“ Gott sei Dank, endlich zahlte sich aus, daß die Cineasten sie ignorierten.

Ein Mann, für den sie nicht Liane sein muß. Einer, der ihr Halt zu geben verspricht und sich zur Aufgabe macht, sie in Balance zu bringen. Und einer, für den man nach der Wende keine Verwendung mehr hatte. Sie brauchen sich beide. Sie sagt über ihn: „Ein integrer Mensch.“ Er über sie: „Sie ist wahr, absolut.“ Marion Michael ergänzt: „Er ist anständig und für mich als Sponti wie geschaffen.“

Die Verfilmung ihrer Lebensgeschichte durch den NDR-Regisseur Horst Königstein (morgen abend beim MDR) soll ihr aus dem beruflichen Tal helfen. Marion Michael – eine Ikone der illegitimen Kultur? Sie hofft auf weitere Engagements. Vorläufig schreibt sie an ihren Memoiren. Warum? „Aufschreiben, wie es wirklich war.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen